Die Tatsache, daß die Psychoanalyse im Widerspruch mit dieser
Nummer die kürzlich eingegangene Verbindung mit einem Verlagshaus
dokumentiert, bedarf einer Erläuterung zur Entstehungsgeschichte
dieser Zeitschrift. Ende der 80er Jahre regte sich das Bedürfnis
nach internationaler Anerkennung
in der psychoanalytischen Gemeinde der Bundesrepublik Deutschland
mit zunehmender Deutlichkeit − obwohl der Beitritt zur IPV bereits
vollzogen und die spät einsetzende Konfrontation mit der eigenen
Vergangenheit begonnen war. Die Erfüllung dieses Bedürfnisses ging
einerseits mit der Entwicklung von Rechtfertigungsdiskursen und
andererseits mit erheblichen Anpassungsleistungen einher. Es folgte
der Einzug der Langeweile in manche Veröffentlichungen...
Dies wurde durch die heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der
Redaktion des wichtigsten deutschsprachigen Publikationsorgans, der
Psyche, offenkundig. Die Folgen, Abspaltungen und Ausgrenzung, sind
bekannt. Für die erste, 1989 erschienene Nummer unserer Zeitschrift
übernahm Marie Marcks die Umschlagsgestaltung; der Name
»Psychoanalyse im Widerspruch« wurde von Marianne v. Eckardt
vorgeschlagen. Nicht zufällig stehen beide Frauen für
Unabhängigkeit, Witz und Widerspruch – Marie Marcks, eine
Karikaturistin, die undogmatisch dem Feminismus nahe steht, und
Marianne v. Eckardt, eine der ersten Analytikerinnen in der
Bundesrepublik Deutschland nach dem Kriegsende, die, von der
Vergangenheit unbelastet, formell nie einer Gruppierung
beigetreten
ist, eine Frau in der Tradition von Otto Groß, Max und Alfred
Weber, Alexander und Margarete Mitscherlich. Bereits 1990 kam es
auf Anregung von Hans-Jürgen Wirth zu einem Treffen
der Redaktionsmitglieder der Zeitschriften Psychosozial und
Psychoanalyse im Widerspruch.
Es ging bei diesem Treffen in Frankfurt am Main um die
Möglichkeiten der Fusion beider Publikationsorgane. Das Gespräch
wurde wesentlich durch die Anwesenheit sowohl Horst-Eberhardt
Richters wie auch Hellmut Beckers geprägt, des Gründers und
Direktors des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin
und, in Personalunion, des ersten Justiziars der DGPT, der
Alexander Mitscherlich freundschaftlich verbunden war. Beide Gäste
befürworteten eindringlich die Fusion,
nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Stärkung einer
undogmatischen Redaktionspolitik. Damals konnte sich die Redaktion
der Psychoanalyse im Widerspruch zu diesem Schritt nicht
entscheiden. Wir fürchteten eine zunehmende Professionalisierung im
Sinne der Langeweile, von der wir uns gerade mehr oder weniger
befreit zu haben meinten.
Inzwischen hat sich um die Zeitschrift Psychosozial herum ein
Verlagshaus etabliert, das trotz der Professionalisierungstendenzen
innerhalb der psychotherapeutischen Tätigkeitsbereiche gerade auch
Autoren zu Wort kommen läßt, die jenseits von Marketingstrategien
und Populismus an theoretische und gesellschaftspolitische
Diskurstraditionen der Psychoanalyse anknüpfen. So hat nun das
Frankfurter Treffen vor vierzehn Jahren zwar letztlich nicht zu
einer Fusion, aber doch zu einer vielversprechenden Verbindung
geführt.
Daß die Psychoanalyse außerhalb Europas und südlich der
mexikanisch-USamerikanischen Grenze nach wie vor nicht nur als
Therapie mit spezifischen Verfahrensweisen, mit eigener Diktion und
behandlungstheoretischen Weiterentwicklungen betrieben, sondern
auch als Angelegenheit aufgefaßt wird, die sich in
gesellschaftspolitische Aktualitäten einmischt oder von diesen zu
Stellungnahmen
motiviert wird, machen die Beiträge zum Schwerpunktthema der
vorliegenden Nummer deutlich. Die meisten Texte sind unter
lateinamerikanisch-europäischer Doppelperspektive verfaßt – von
Autorinnen und Autoren, die entweder auf beiden Kontinenten gelebt
und gearbeitet oder durch eigene Erfahrung die jweiligen
Besonderheiten der Psychoanalyse »auf dem anderen Kontinent«
kennengelernt haben.
Es versteht sich von selbst, daß nicht alle lateinamerikanischen
Staaten in den Kreis der Betrachtung einbezogen werden konnten. So
gewähren die Beiträge lediglich einen regionalen Einblick in
Vergangenheit und Gegenwart der lateinamerikanischen Lesarten der
Psychoanalyse.
Zwei Texte bilden indes eine Ausnahme, und beide betreffen Cuba.
Der Inselstaat – als politische Entität ebenso wie als Organisator
eines Gesundheitssystem eine bisher einmalige Besonderheit in der
lateinamerikanischen Welt – ist kein Paradies für Psychoanalytiker.
Das spiegelt sich in dem Aufsatz von Wilfredo Pérez Rodríguez
wider, der hier gleichsam als ethnographische Selbstreflexion eines
cubanischen Psychotherapeuten zur Veröffentlichung gelangt. Der
Bericht über die Begegnung zwischen psychotherapeutisch tätigen
Reisenden aus der Bundesrepublik Deutschland und cubanischen
Psychotherapeuten spiegelt seinerseits nur eine geographisch
definierte Sicht der Dinge wider. Man kann auf die Fortsetzung der
interkontinental außeralltäglichen Begegnung in einem
psychoanalytisch offenen Raum gespannt sein.
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