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Was ist psychoanalytische Aufklärung heute?

Was ist psychoanalytische Aufklärung heute?
Anlässlich ihres 75-jährigen Bestehens schreibt die PSYCHE einen Preis für die Beantwortung dieser Frage aus.

Die Aufklärung des Verdrängten und die Aufklärung der Aufklärer sind genuine Bestandteile der Psychoanalyse. Sie können ganz unterschiedliche Gestalt annehmen – etwa wenn Freud die Sexualverdrängung seiner Zeit infrage stellte, wenn die Mitscherlichs die Geschichtsverdrängung der BRD mit der Unfähigkeit zu trauern konfrontierten oder Paul Parin den Widerspruch im Subjekt mit der Psychoanalyse gesellschaftlicher Prozesse zusammenführte.

Und heute? Was ist aus der psychoanalytischen Aufklärung mit ihrem kritischen Impuls und ihren praktischen Absichten geworden? Wo ist sie lebendig, welche Beispiele lassen sich finden? Oder kommt sie der Gegenwart abhanden?

Kants Aufforderung zum Selberdenken, »Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! «, ist bei manchen Influencern und »Querdenkern« zur Karikatur verkommen. Das Entwicklungsideal klinischer Psychoanalytiker, von der Abhängigkeit zur Autonomie, wandelt sich zum Wunsch nach Bezogenheit und Beziehungsfähigkeit. Bleibt das »autonome« Individuum überhaupt eine Zielvorstellung psychoanalytischer Aufklärung?

Die 68er-Generation verband mit der Psychoanalyse das Ideal einer Befreiung von Zwängen des gesellschaftlichen Überichs und von Moral als Unterdrückungsmittel. Doch geht es heute nicht um ganz anderes? Etwa um die Bewahrung ethischer Werte, um eine neue Moral, um Verantwortung, Gerechtigkeit, Solidarität und um die Rettung von Demokratie, Freiheit, Umwelt? Wofür wird die Psychoanalyse da gebraucht?

Schließlich der Begriff der kollektiven Verdrängung: Lässt sich heute überhaupt noch davon sprechen, wo doch alles aufgedeckt und aufgeklärt zu sein scheint? Steht heute nicht vielmehr die Verleugnung dessen im Vordergrund, was man nicht wahrnehmen möchte (aber eigentlich wissen könnte) – zum Beispiel der Klimawandel mit all den Ängsten, die er hervorrufen kann? Inwiefern kann die Psychoanalyse hier noch der Aufklärung dienen? Ist die psychoanalytische Aufklärung gegenstandslos geworden? Veraltet die damit verbundene Auffassung von Psychoanalyse, so dass heute andere Begriffe ihre Relevanz markieren? Bleibt die Selbstaufklärung in der analytischen Therapie ihre wichtigste Domäne?

Die PSYCHE lädt ein, zu dieser Thematik einen Text zu schreiben, für den die genannten Fragen eine Anregung sein sollen. Wir möchten auch jüngere Autor*innen mit ihren speziellen Erfahrungshorizonten zur Einreichung ermuntern. Die Texte sollen 20.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) nicht überschreiten. Die drei originellsten und überzeugendsten Arbeiten werden vom Klett-Cotta Verlag mit Sachpreisen ausgezeichnet, bei der Fest-Tagung zum 75-jährigen Bestehen der PSYCHE im Mai 2022 vorgestellt und in einem der folgenden PSYCHE-Hefte veröffentlicht. Die Jury, die die anonymisierten Einreichungen evaluieren wird, ist von Herausgeberschaft und Redaktion unabhängig. Ihr gehören an: Susanne Benzel, Tanja Müller-Göttken, Martin Saar, Benedikt Salfeld, Sabine Schlüter. Senden Sie Ihre Texte bitte bis spätestens 31.12.2021 als Word-Datei im Anhang einer E-Mail an: jury@psyche.de. Aus Gründen der Anonymisierung bitten wir, den eigenen Namen aus Literaturverweisen und Literaturverzeichnis zu entfernen und alle persönlichen Angaben stattdessen als gesondertes Dokument abzugeben. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Herbert Will: herbert.will@gmx.de.
V.i.S.d.P.: PD Dr. Dominic Angeloch, Redaktion Psyche im Klett-Cotta Verlag, Zeil 22, 60313 Frankfurt am Main 

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