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Neue Herausgeber:innen für die Internationale Psychoanalyse

Mit dem kürzlich unter dem Titel Frühe Spuren erschienenen Band 18 übernehmen Isolde Böhme und Richard Rink die Herausgabe der Reihe Internationale Psychoanalyse, die jährlich eine feine Auswahl der wichtigsten Artikel des renommierten International Journal of Psychoanalysis in deutscher Übersetzung versammelt. Dieses Interview mit den beiden neuen Herausgeber:innen gewährt einen Einblick in den Entstehungsprozess der Bände.
– Was hat sie dazu bewegt, die Herausgabe zu übernehmen?
Isolde Böhme: Ich bin zunächst gefragt worden, ob ich die Herausgeberschaft übernehmen wollte und mir war rasch klar, dass ich das gern in Zusammenarbeit mit einem Kollegen tun wollte. Mit Richard Rink verbindet mich vieles, was die Arbeit braucht, die wir übernommen haben, Engagement für dieses Projekt, hohe Identifikation mit der Psychoanalyse, Lust an der Sprache. Darüber hinaus ist er ein noch wirklich junger Kollege. Ich bin der Überzeugung, dass wir Psychoanalytiker endlich den jüngeren Kollegen Verantwortung zutrauen und zumuten sollten. In unserer Zusammenarbeit funktioniert das sehr gut.
Richard Rink: Die Aussicht auf die kreative Zusammenarbeit mit Isolde Böhme und der Beiratsgruppe. Wir sind beide seit mehr als 8 Jahren Teil dieses Projekts und haben es spürbar ins Herz geschlossen. Die »Internationale Psychoanalyse«, das Diskutieren und Übersetzen hat mich meine ganze psychoanalytische Ausbildung begleitet und ich konnte (und kann immer noch) mir dabei ein Bild davon machen, auf welche unterschiedliche Weise man Psychoanalytiker*in sein kann – diese Erfahrung der »Vielstimmigkeit« hat mich sehr geprägt.
– Wie läuft die Auswahl der Texte ab?
RR: Wir besprechen jede Ausgabe des Journals einzeln, meist per Videokonferenz ein paar Monate nach Erscheinen. Jeder Jahrgang hat sechs Hefte, also besprechen wir uns sechs Mal über das Jahr verteilt, wobei wir jedes Mal Voten einholen und »Favoriten« festhalten, und zusätzlich einmal im Dezember, um die finale Auswahl der Artikel für den nächsten Band festzulegen.
IB: Immer wieder sind wir auch mit Fragen beschäftigt, wer die Leser der von uns übersetzten Texte sind. Wir denken an junge Kollegen, die vor kürzerer Zeit erst ihre Ausbildung abgeschlossen haben, an Kollegen, die in der Ausbildung tätig ist. Immer wieder kehren wir aber doch zu dem zurück, was uns für unsere klinische und Supervisionsarbeit wichtig erscheint. Artikel, die gut geschrieben sind, originell, aktuell und relevant – das sind für gewöhnlich die, die es in den Band schaffen.
– Sind Sie sich schnell einig über die besten Texte oder wird auch Mal kontrovers diskutiert?
RR: Das ist unterschiedlich: Manche Texte gefallen allen oder keinem, aber andere brauchen mehr Diskussionsraum, weil jedes Gruppenmitglied die Aspekte unterschiedlich gewichtet: das Thema, den Stil, den Fall, die Theorie… Und wenn ein Artikel kritisch gesehen wird, ist vielleicht »aber so etwas liest man so selten« ein Argument, dem Artikel noch eine Chance zu geben.
IB: An dieser Stelle scheint mir wichtig, dass die Kollegen im Beirat zu unterschiedlichen Generationen gehören, unterschiedlich lange im Beirat mitarbeiten, auch einen unterschiedlichen beruflichen Hintergrund haben, etwa einen Bezug zur Universität, aber auch zur Kulturanalyse, zur Gruppenanalyse und zur Kinderanalyse.
– Lesen alle Beiräte alle Texte oder haben Sie sich das International Journal »aufgeteilt«?
RR: Alle lesen (im Idealfall) alles. Jeder hat seine eigenen Interessensschwerpunkte und gerade deshalb ist das gut so.
IB: Die Disziplin, möglichst alle Arbeiten zu lesen, schult uns in meinem Erleben alle sehr. Man kommt in Verbindung mit unterschiedlichen Formulierungen von psychoanalytischen Gedanken, aber auch, wie man die darstellen und klinisch oder kulturell illustrieren kann. Das gilt vielleicht noch mehr für das Übersetzen, das ja in viel höherem Maße fordert, sich in die Arbeiten hineinzubegeben, deren inhaltlich und textile Qualitäten.
– Wie kann man sich ein Treffen des Herausgeberbeirats vorstellen?
RR: Wir genießen die Gesellschaft und gutes Essen … Die analytische Arbeit ist ja häufig eher einsam. Deswegen ist es eine so schöne Tradition, die unsere Vorgängerin Angela Mauss-Hanke begründet hat. Meist kommen wir an einem Freitagabend zusammen, arbeiten dann an den Vormittagen samstags und sonntags, gehen nachmittags in eine Ausstellung und abends in ein Restaurant. Hauptsach, gut gess, sagt meine saarländische Familie immer – das ist auch bei den Beiratstreffen die wirkliche Agenda.
IB: Kleine Expeditionen in die Welt der anderen stärkt die Gruppe, ihre Lust daran, den Gedanken der anderen zu folgen und eigene dazu zu entwickeln.
– Findet eine Zusammenarbeit mit den europäischen Kolleg*innen statt?
IB: Ja, die Herausgeber des International Journals oder die Koordinatorin der European Annuals laden uns zu den Meetings ein, entweder per zoom oder persönlich bei den EPF und IPA-Tagungen. Auch diese Gruppe ermöglicht eine Zugehörigkeit.
RR: Es ist spannend, zu erfahren, was die anderen machen – dass zum Beispiel unsere italienischen Kolleginnen einen Podcast zu ihrer Veröffentlichung machen. Oder zu hören, welche Artikel die anderen besonders interessieren.
– Wie sind Sie zu dem aktuellen Thema »Frühe Spuren« gekommen?
IB: Im Lauf der Sitzungen eines Jahres tauchen immer wieder Gedanken auf, was ein verbindendes Thema unseres Bandes sein könnte. Denken über Psychoanalyse geschieht ja in Verknüpfungen und Abgrenzungen zwischen den Gedanken verschiedener Autoren. Diesmal waren Hustvedts Nabel-Phantome vielleicht der Ausgangspunkt, an den sich andere Gedanken knüpften.
RR: Es haben uns aber verschiedene Aufsätze sehr beeindruckt, die »frühen Spuren« etwa in Geschwisterbeziehungen, im mütterlichen Neid oder in der Kunst nachgegangen sind.
– Was dürfen wir im ersten von Ihnen herausgegeben Band erwarten?
IB: Die Übersetzungen geben den Texten eine neue Bedeutung in unserer Community. Die Übersetzer tragen ohne Frage dazu bei, dass bestimmte bisher kaum repräsentierte Arten psychoanalytisch zu denken und zu arbeiten in unseren Diskussionen auftauchen. Wir haben lange gebraucht, bis wir in Europa die aufregenden psychoanalytischen Konzepte am Rio de la Plata in ihrer Bedeutung zu erkennen vermochten. Das hat uns dazu bewogen, den Text von Maldonado über die Barangers in den Band 18 aufzunehmen.
RR: Es erscheinen ja zurzeit viele gute psychoanalytische Texte – aber man kann leider nicht alles lesen, und will vielleicht auch lieber in der Sprache lesen, in der man auch arbeitet. Also braucht man, dass jemand sagt: »Lass mich dir ein paar sehr gute Artikel ans Herz legen!« - das kann man von Band 18 erwarten!
– Möchten Sie einzelne Beiträge besonders empfehlen?
RR: Häufig überraschen mich Artikel auch später noch mit Aspekten, die ich vorher nicht wahrgenommen habe. Eindrucksvoll war für mich die Arbeit der Schweizer Analytikerin Danielle Bazzi über die Entwicklung der Feldtheorie. Bazzi hat selbst eine deutsche Version des Artikels erarbeitet und dafür ganz selbstverständlich aus französischen und italienischen Quellen übersetzt. Anfangs fanden wir das schwierig (normalerweise versuchen wir, wo möglich, die deutschen Übersetzungen aufzuspüren) – aber dann waren wir zu fasziniert davon, wie sich ihre besondere Position als Schweizerin im Feld der Vielstimmigkeit und Vielsprachigkeit in dieser Arbeit darstellt. In dieser Arbeit etwas über die Reise der feldtheoretischen Ideen von Deutschland und Frankreich über Südamerika in die ganze Welt zu erfahren, ist ein besonderes Erlebnis, finde ich.
IB: Ich möchte Baillys Text Das mütterliche Bündnis hervorheben. Er nimmt Juliet Mitchells Konzept eines Gesetzes der Mutter auf, das sie in ihrer Auseinandersetzung mit der Geschwisterbeziehung entwickelt hat. Er spricht von einem »mütterlichen Bündnis«, das eben nicht wie Lacans väterliches Gesetz dem Subjekt vorangeht, sondern in der unmittelbaren Interaktion zwischen Mutter und Kind entsteht, damit eine eher dyadische Form hat und nicht der Figur des Dritten entspricht. Er zeigt dies eindrücklich auch an überlieferten Formeln, die die feudale Stammesorganisation der Hethiter beschreiben. Man könnte von einer Geschlechterspannung zwischen väterlichem Gesetz und mütterlichem Bündnis sprechen, die die Grundlage sozialen Lebens bildet.