Aktuelles
Nachruf auf Stephan Becker

26.06.1949 – 02.06.2019
Stephan Becker verstarb am 2. Juni 2019. Bis eine
Woche vor seinem Tod war er trotz schwerer Krankheit immer noch beraterisch und
therapeutisch aktiv tätig.
Becker wuchs in dem hoch kulturellen Haushalt der Familie von Hellmut und
Antoinette Becker (geb. Mathis) in Kressbronn am Bodensee auf. Die Einflüsse,
denen Becker hier ausgesetzt war, stärkten seine Vorstellung von der Autonomie
des Subjekts gegenüber Institutionen und Konventionen. Dies führte ihn zu der
Arbeit mit Menschen, die gerade wegen äußerst unsicherer psychischer Verfassung
nur ausufernd selbstbezüglich überleben konnten, zu der Arbeit mit ›Autisten‹
und der Gründung des Vereins für Psychoanalytische Sozialarbeit in Tübingen und
seiner therapeutischen Einrichtung in Rottenburg.
Diese Arbeit war dabei nur Teil eines großen Zusammenhangs von Aktivitäten wie
der Netzwerkarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf diesem –
sehr weit verstandenen – Gebiet, wie auch die Beratung von Klient*innen und
Institutionen, damals besonders wichtig die Supervision in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie von Reinhart Lempp in Tübingen. Wichtig war ebenfalls die
Dokumentation und Reflexion dieser Arbeit, die seit 1987 in der
Zeitschrift psychosozial stattfand
und bis heute zu 14 Veröffentlichungen in dem aus der Zeitschrift entstandenen
Verlag führte.
In alledem verfolgte Becker, sicher auch aufgrund seiner Erfahrungen mit
Bettelheim und Ekstein, ein Konzept, Menschen, die sprachlos schienen, ein Setting
zu geben, in denen ihr ›Widerstand‹ ihre ›Symptome‹ nicht pathologisch klinisch
fixiert wurden, sondern eben ihrer Eigen-Art soviel Sinn zugesprochen wurde,
dass über den zunehmenden Eigen-Sinn auch wechselweises Sprechen immer
weitergehender möglich wurde. Dieser Ansatz einer psychoanalytischen Sozialarbeit, die nicht vom Heilen
einer Krankheit, sondern von Hilfen in einer bio-psycho-sozialen Notlage
ausgeht, wurde Becker zum Lebensthema.
Er war nach der Wende und seinem Wechsel nach Berlin einige Semester als
Gastprofessor am Institut für Rehabilitationspädagogik an der
Humboldt-Universität tätig. Gleichzeitig entstand auch dort ein Verein für
Psychoanalytische Sozialarbeit, der sich zeitweise auch um Straßenkinder
kümmerte. Ebenfalls entwickelte sich ein Netzwerk beratener Institutionen und
Becker führte auch weiterhin Einzelfallberatungen durch.
Nach einem weiteren Umzug 2013 nach Hennef beendete Becker seine institutionellen
Aktivitäten und beschränkte sich nur noch auf Institutionen- und Einzelfallberatungen
sowie seine Klient*innen. In dieser Zeit entstand ein großes Archiv minutiöser
Falldarstellungen.
Stephan Becker hinterlässt eine große Familie, für die das Zusammenleben bei
alledem; dem offenen Haus mit vielen Gästen, den tatsächlichen Abwesenheiten
und den emotionalen Wellen, die diese Art der Arbeit bedeutet und die auch im
Privaten nicht ohne weiteres abzuschalten sind, sicher häufig ein familiäres ›Mittragen‹
erforderte. Ein gewisses Gegengewicht hierzu bildete dabei die familiäre
Verlässlichkeit von Becker und die wunderbar bacchantische Art zu kochen und
Feste zu feiern.
von Peter Rödler