Rezension zu Rache

Trauma & Gewalt. Forschung und Praxisfelder, Februar 2010

Rezension von Ira Gäbler

Das Thema Rache scheint so alt zu sein wie die Menschheit selbst. Bereits im Alten Testament findet sich der Gedanke der Vergeltung (»Auge um Auge«, Exodus), und auch aktuell zeigt sich seine hohe Relevanz in den zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen und politischen Krisen, über die täglich in den Medien berichtet wird. Rachephänomene finden sich aber nicht nur im Kontext militanter Gewalt, sondern ebenso als Folge ziviler Traumata, widriger Alltagssituationen oder zwischenmenschlicher Konflikte. Als psychologisches Konzept wurde Rache in der Literatur bisher kaum ausführlich betrachtet, wenngleich sie, insbesondere auch im Kontext psychischer Traumatisierung, ein bekanntes Phänomen ist.

Das vorliegende Buch nun ist eine umfassende Auseinandersetzung mit der Thematik Rache aus psychoanalytischer und psychodynamischer Sicht. Drei große übergeordnete Abschnitte befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten der Ursachen, dem tatsächlichen Ausagieren sowie Möglichkeiten des Verzichts auf Rache und illustrieren diese sehr anschaulich mit Beispielen aus Literatur (z.B. Medea) und Film (weniger klassisch die Star-Wars-Filme), Ereignissen aus Geschichte und Politik sowie alltäglichen Episoden. Die Autoren konzipieren Rache weniger als psychopathologisches Konstrukt als vielmehr als Alltagsphänomen, das sich sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene manifestieren und mit dessen destruktivem Potential jeder von uns jederzeit konfrontiert werden kann. Erklärtes Ziel der beiden Verfasser ist es, im Buch anhand von Extremsituationen psychologische Muster herauszuarbeiten und diese durch Anwendung auf vertraute Alltagssituationen allgemein verständlich zu machen. Plausibel werden Prozesse der »Rachespirale« erläutert und aufgezeigt, wie aus Kränkung, Demütigung und Kontrollverlust Rache als Versuch der Wiederherstellung eines Gleichgewichts entstehen kann. Dabei beleuchten die Autoren weniger die intrapsychische Ebene der Racheprozesse, sondern fokussieren eher auf Rache als gesellschaftliches – und Gruppenphänomen, das sie anhand verschiedener Beispiele aus Kriegsgebieten, politischen Krisenregionen oder Genozid-Szenarien (insbesondere der Völkermord in Ruanda) erörtern. Streckenweise verschwimmt bei diesen Ausführungen allerdings der Fokus auf das Thema Rache im engeren Sinne und es werden vielmehr Prozesse von Destruktivität und Gewalt im Allgemeinen geschildert. Dem Leser wird dafür aber ein umfassender Einblick in die Psychologie der Gruppe vermittelt, der die Entstehung von Rache auf der Gesellschafts- und Gruppenebene verstehbar werden lässt.

Neben diesen gruppenspezifischen Prozessen beschreiben die Autoren auch destruktive Prozesse in Paarbeziehungen und interpersonellen Konflikten und schildern dazu Beispiele aus dem alltäglichen Leben. Da diese allerdings nicht weiter kommentiert werden und die dargestellten Situationen auch als ganz gewöhnliche Reaktionen auf Kränkungen verstanden werden können, bleibt auch hier der Bezug zu Rache im engeren Sinne zum Teil unklar. Wenn zusammenfassend konstatiert wird, dass jede destruktive Situation unterschiedlich stark von Racheaspekten geprägt ist, entsteht leicht der Eindruck eines etwas inflationären Gebrauchs des Begriffs Rache.

Bezüglich der intraindividuellen Ebene der Rache-Mechanismen beschränken sich die Autoren auf eine rein psychoanalytische Sicht und sparen weiterführende psychologische Definitionen und Konzepte (z.B. kognitive Bewertungsprozesse, den Einfluss von Einstellungen und Werten) weitestgehend aus. Für den nicht-psychoanalytisch orientierten Leser stellt es sich dabei teilweise als eine Herausforderung dar, sich auf die psychoanalytischen Begrifflichkeiten und Konzeptionen und die starke Betonung von frühkindlichen Kränkungserlebnissen oder Bindungstraumata einzulassen und diese nachzuvollziehen.

Im dritten Teil des Buches befassen sich die Autoren dann ausführlich mit der essentiellen Frage, wie eine Rachespirale sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene unterbrochen werden kann. Es wird dargelegt, dass traumatische Erfahrungen als Kränkung und Entwertung zu verstehen sind, die zu einem Bestreben nach Wiederherstellung des eigenen Wertes führen und somit möglicherweise in destruktiven Rachehandlungen resultieren. In diesem Kontext werden die Bedeutung der Psychotherapie betont und die psychotherapeutischen Ziele in Hinblick auf Rache herausgearbeitet sowie die spezifische Problematik des Auftretens von Rachephänomenen zwischen Patient und Therapeut innerhalb der Psychotherapie diskutiert.

In Bezug auf die gesellschaftliche Ebene setzen sich die Autoren mit Prozessen der Versöhnung und der Rekonstruktion der sozialen Welt (Aufarbeitung, Wiederaufbau von Beziehungen) am Beispiel der Lage nach dem Völkermord in Ruanda auseinander. In diesem Zusammenhang heben sie vor allem die Notwendigkeit institutioneller und sozialer Gegengewichte zu Rache und die Bedeutsamkeit von Gerechtigkeit und Anerkennung von Schuld hervor und betonen besondere Rolle von Versöhnung als wichtiges Instrument zur Verhinderung zukünftiger Rachehandlungen. Für den Leser ist es eine sehr wichtige Erkenntnis dieses dritten Teils des Buches, dass die subjektive Vorstellung, dass die eigenen Leiden durch Rache oder reine Bestrafung der Schuldigen gelindert und die eigenen Verluste kompensiert werden können, eine Illusion ist, und dass die individuelle und gesellschaftliche Anerkennung und Aufarbeitung einer gewaltvollen Geschichte eine unverrückbare Notwendigkeit darstellt.

Es sehr erfreulich, dass uns ein so umfassendes und interessantes Buch über die bisher vernachlässigte aber immens wichtige Thematik Rache präsentiert wird. Die Autoren haben weitgreifende Denkmodelle entwickelt, anhand derer sie die Dynamik von Rache und Versöhnung veranschaulichen. Sie scheinen dabei bewusst auf den Bezug zu bestehenden psychologischen Rache-Theorien zu verzichten und konstatieren, dass gerade Theorien oft dem Irrationalen der Psyche nicht entsprechen könnten. Aus umfassenden Recherchen und einer Vielzahl von Interviews ist ein empfehlenswertes Buch entstanden, das einen breiten Einblick in die Psychologie der Rache vermittelt, auch wenn es den Bezug zur systematischen empirischen Forschung vermissen lässt. Für den psychologisch geschulten Leser bieten einzelne Kapitel, wie die ausführliche Beschreibung der Klassiker der sozialpsychologischen Untersuchungen zu Gruppenkonformität oder Gehorsam (u.a. Stanford-Prison-Experiment, Milgram-Experiment), nicht viele neue Informationen, sind aber dennoch unterhaltsam geschrieben und frischen bestehendes Wissen auf. Lesenswert ist »Rache – Zur Psychodynamik einer unheimlichen Lust und ihrer Zähmung« auf jeden Fall. Das Buch bietet eine Vielzahl anregender Denkanstösse sowie unterhaltsamer Anekdoten. Dass beispielsweise Zimbardo später die Studentin heiratete, die ihn dazu bewegt hatte, das eskalierende und ihr unethisch erscheinende Gefängnis-Experiment abzubrechen, amüsieren und bleiben im Gedächtnis. Einige interessante Themen, wie die Komplexität psychischer Reaktionen auf Traumatisierung oder unterschiedliche Therapieansätze, werden nur knapp angerissen, und einige Fragen bleiben am Ende des Buches offen. So vermisst man beispielsweise eine kritische Diskussion der Thematik Versöhnung als letzte Stufe eines Rache bewältigenden Prozesses. Wenn Versöhnung als das ultimative Ziel dargestellt wird, wird außer Acht gelassen, dass diese nach bestimmten Arten von Traumatisierung (z.B. bei von ihrem Partner missbrauchten Frauen) ebenso destruktiv sein kann, und die einseitige, intrapersonelle Vergebung ohne gegenseitiges Versöhnen möglicherweise als psychischer Entlastungsprozess sogar förderlicher ist. Diese offen gebliebenen Fragen allerdings bieten wiederum einen guten Ansatzpunkt und Anreiz, sich anknüpfend an die Lektüre noch intensiver mit der spannenden und bedeutsamen Thematik Rache zu befassen.

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