Rezension zu Erich Fromm als Therapeut
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Rezension von Jürgen Meier
Wissenschaft des Irrationalen?
Der Band von Rainer Funk gibt Aufschluss über die Arbeit des
Psychologen
»Fromms Schriften haben verhindert, dass ich einem Kommunismus
anheimfiel, wie er vom ideologischen Dogmatismus formuliert wurde,
der für viele Marx-Interpreten typisch ist«, schreibt Gerard D.
Khoury. Lukacs sprach in seinen letzten Schriften von der
»Renaissance des Marxismus«, die diesen Dogmatismus bekämpfen
sollte. Fromm, der mit seiner Schrift »Das Menschenbild bei Marx«
(1961) viele Menschen dem Marxismus gegenüber geöffnet hat, dachte,
wenn er von der »Renaissance des Humanismus« schrieb, in die
gleiche Richtung wie Lukacs. Beide setzten im 20. Jahrhundert
philosophische Maßstäbe, an die Philosophen, Politiker und
Wissenschaftler getrost wieder anknüpfen sollten. Dass Fromm nicht
nur Denker, sondern als Psychotherapeut auch ein weltbekannter,
praktizierender Philosoph war, wird in diesem Buch gezeigt.
Dass Psychoanalyse keine Couch ist, hinter der ein gelangweilter
Therapeut den Assoziationen eines Patienten lauscht, sondern eine
»face to face«-Bezogenheit zweier Menschen, macht dieser wichtige
Leitfaden für eine humanistische Psychologie deutlich.
Eindrucksvoll schildern Schüler von Erich Fromm, zu denen auch
Khoury zählt, dessen »paradoxe« Methode des »Dies bist Du«: »Man
muss das, was der Patient spricht, in sich selbst spüren«, fordert
Fromm und widerspricht damit konformistischen Psychotherapien, die
den Patienten wie ein Objekt behandeln, dass an die »kranke«
Gesellschaft angepasst werden soll. Statt »paradox« könnte auch von
dialektisch gesprochen werden, was Fromm in einem Beispiel aus
seiner Praxis verdeutlicht. Oft sage man ihm, professionelle
Therapeuten würden sich dadurch auszeichnen, dass sie dem Patienten
deutlich dessen Eigenverantwortlichkeit für seine Gesundheit vor
Augen führen müssten. Fromm widersprach. Dies stimme so nicht. Man
müsse für den Patienten Verantwortung übernehmen und auf ihn
bezogen sein. Ohne Verantwortung zu übernehmen würde der Patient in
ein Objekt verwandelt, auf das der Therapeut geringschätzig
niederschaut.
Gleichzeitig sei der Therapeut aber nicht verantwortlich für die
Gesundung des Patienten. Dies klinge zwar paradox, führe aber
letztlich auf den Weg zur Wirklichkeit des Patienten. Verantwortung
und Nichtverantwortung bilden bei Fromm eine dialektische Einheit.
Ihn interessierte in Supervisionen seiner Schüler, was sie als
Therapeuten in der Sitzung mit dem Patienten über sich selbst
gelernt hatten. Was für viele zunächst »paradox« klang. Nur dann,
wenn der Therapeut erkennt, dass alles, was in seinem Patienten
ist, auch in ihm ist, könne er seine Wirklichkeit und die des
Patienten besser erkennen. Nur so werde es in der Therapie nicht
langweilig.
Fromm – dies belegen zwei ausführliche Texte von ihm – ist nicht
einfach als Freudianer zu bezeichnen. Er ist sicher ein Verteidiger
der Freudschen »Psychologie des Es« oder der »Wissenschaft des
Irrationalen«, die er gegen die konformistische »Psychologie des
Ich« verteidigt. Was irrational im Unbewussten schlummert, soll
auch bei Fromm bewusst werden! Aber Fromm ist gleichzeitig
humanistischer Kritiker einer »kranken« Gesellschaft, in der die
Neurose zur Normalität gehört. »Wir können das Unbewusste nur dann
vollständig verstehen, wenn wir kritisch sind und uns der Grenzen
unserer eigenen Kultur und Gesellschaftsmuster bewusst sind«
(Fromm).
Dem Herausgeber ist eine Textzusammenstellung gelungen, die nicht
nur Therapeuten, sondern auch Laien einen Schlüssel zum eigenen
Irrationalen geben kann, das durch Konfrontation mit der eigenen
Rationalität in Schwung geraten kann, um den Weg zum wirklichen
Selbst zu finden. Fromm, dies spürt der Leser in jeder Zeile des
Buches, hat die Psychoanalyse von der Couch ins Leben geholt.
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