Rezension zu »Ein moralischer Anarchist«. Erinnerungen an den Psychoanalytiker, Schriftsteller und skeptischen Weltbürger Paul Parin (20.09.1916-18.05.2009) (PDF-E-Book)
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Rezension von Eugenia Lazaridis
In der psychosozial-Zeitschrift Nr.117 mit dem Schwerpunktthema
Mauerfall wird der 20-jährige Geburtstag im Jahre 2009 der
wiedervereinten deutschen Staaten der Bundesrepublik Deutschland
und der Deutschen Demokratischen Republik aus unterschiedlichen
Sichtweisen reflektiert. Verschiedene Ansichten der damaligen DDR,
das heutige Verständnis der DDR rückblickend, aber auch das Resümee
aus der Deutschen Einheit und die noch immer herrschende Teilung in
den Köpfen der Bundesbürger im Osten und Westen, sind Inhalt in den
einzelnen Beiträgen.
In den 14 Artikeln und Studien erzählen die Autoren auf ihre ganz
eigene Art und Weise, teilweise recht persönliche Erfahrungen, die
sie in der DDR und nach der Wiedervereinigung gemacht haben. Diese
werden sehr eindrucksvoll und anschaulich beschrieben, wie man sie
wohl nur in ganz persönlichen Gesprächen erzählt bekommen würde.
Selbstverständlich werden in einzelnen Artikeln die wichtigsten
Jahreszahlen wie die der Gründung, des Aufstandes, des Mauerbaus,
der Volkskammerwahl eingebettet, die sich zum einen bei diesem
Schwerpunktthema nicht vermeiden lassen, zum anderen aber auch ein
wenig Orientierung bieten inmitten all der persönlichen
Meinungen.
Jakob Hein zum Beispiel beschreibt in »Voll geschäftsfähig« die
Geburt der beiden Staaten nach dem Krieg, bis hin zum
zwanzigjährigen Geburtstag der wiedervereinigten deutschen Staaten
anhand einer Familienkonstellation, die dem Leser ein leichtes
Schmunzeln entlockt.
Judka Strittmatter erzählt hingegen in »Ich muss zurückblicken,
wenn ich die Gegenwart betrachte« von ihrer eigenen Flucht aus der
DDR und dem bis heute immerwährenden Rechtfertigen ihrer
ostdeutschen Herkunft. Peter Bender lässt in »Sieben Wunder der
Vereinigung« die friedliche Revolution Revue passieren, die
schlussendlich in der Wiedervereinigung mündete. Andere Autoren
beschreiben die Sicht der Binnenmigranten, greifen auf eine seit
dem Jahre 1987 bis heute währende Längsschnittstudie mit jungen
Ostdeutschen und deren Sicht auf die DDR zurück oder versuchen die
Ursachen der Diskrepanz zwischen der gefühlten und der
tatsächlichen Einheit zu ergründen. Auch das unterschiedliche
Fernsehverhalten des ehemals gespaltenen Deutschlands findet in
»Tickt der Osten anders?« wissenschaftliche Bearbeitung. Roland
Kaufhold erinnert abschließend an den verstorbenen Psychoanalytiker
Paul Parin.
Für diejenigen, in Ost und West, die zum Zeitpunkt des Mauerfalls
so jung waren, das sie nicht auf eigene Erfahrungen aus dieser Zeit
zurückgreifen können oder noch nicht geboren waren, stellt dieses
Heft Nr.117 eine kompakte Form, zwar persönlich gefärbter, jedoch
nicht minder interessanter deutsch-deutscher Geschichte dar, die es
sich in jedem Fall zu lesen lohnt. Im Gegensatz zu anderer
Literatur, die sich doch mehr dem politischen Procedere dieser Zeit
widmet und eher marginal die persönliche Meinung aufnimmt. Gestützt
werden diese persönlichen Eindrücke allerdings von den aufgeführten
Studien, die diese Eindrücke anhand der empirischen Ergebnisse
wissenschaftlich unterstützen.
Durch die einzelnen Beiträge und die Studien wird ganz deutlich,
dass es auch heute, 20 Jahre nach dem Fall der innerdeutschen
Grenze, auf beiden Seiten, eine noch nicht überwundene Mauer gibt,
die nicht einfach wie die steinerne Mauer einzureißen ist. Die
Menschen auf beiden Seiten haben unterschiedliche Sozialisationen
durchlebt, durch die sie geprägt wurden. Ihre Wahrnehmung und
Persönlichkeitsentwicklung sind durch die verschiedenen materiellen
und sozialen Umwelten derart ungleich verlaufen, dass es wahrlich
nicht verwunderlich ist, das die Einheit in den Köpfen der Leute
noch nicht in dem Maße vollzogen wurde, wie es sich die Politik
bisher wünscht. Gerade in den empirischen Untersuchungen wird allzu
oft deutlich, das eine Mehrheit der ehemaligen DDR-Bürger noch auf
Identitätssuche ist und nicht genau weiß wo sie denn hingehört, sie
fühlt sich zum Teil auch nach 20 Jahren der Einheit nicht
integriert und wünscht sich trotz der heutigen Freiheiten ihren
früheren, sie einengenden Staat zurück. Solche
Zugehörigkeitsprobleme lassen sich nicht nur auf politischer Ebene
lösen, dieser Problematik muss sich ungeteilt die gesamte
Gesellschaft annehmen. Erst dann wird es auch zu einem Fall der
Mauer in den Köpfen kommen können.
Irina Mohr und Elmar Brähler haben zum Schwerpunktthema »20 Jahre
Mauerfall« eine gelungene Mischung persönlicher Aufsätze und
wissenschaftlicher Studien zusammengetragen, die das derzeitige
Bewusstsein der Ostdeutschen und Westdeutschen Bürger portraitiert.
Politisch erscheint die Wiedervereinigung vollzogen, Sinnbild dafür
ist die ostdeutsche Kanzlerin, gesellschaftlich hingegen bedarf es
noch sehr viel Arbeit, um diese Einheit auch wirklich zu
vollziehen.
In jedem Fall eine absolut lesenswerte Zusammenstellung, die ich
uneingeschränkt empfehlen kann.
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