Rezension zu Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehöret ... . Zur Psychoarchäologie des Kindesopfers (PDF-E-Book)

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Rezension von Eugenia Lazaridis

In der psychosozial-Zeitschrift Nr.117 mit dem Schwerpunktthema Mauerfall wird der 20-jährige Geburtstag im Jahre 2009 der wiedervereinten deutschen Staaten der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik aus unterschiedlichen Sichtweisen reflektiert. Verschiedene Ansichten der damaligen DDR, das heutige Verständnis der DDR rückblickend, aber auch das Resümee aus der Deutschen Einheit und die noch immer herrschende Teilung in den Köpfen der Bundesbürger im Osten und Westen, sind Inhalt in den einzelnen Beiträgen.

In den 14 Artikeln und Studien erzählen die Autoren auf ihre ganz eigene Art und Weise, teilweise recht persönliche Erfahrungen, die sie in der DDR und nach der Wiedervereinigung gemacht haben. Diese werden sehr eindrucksvoll und anschaulich beschrieben, wie man sie wohl nur in ganz persönlichen Gesprächen erzählt bekommen würde. Selbstverständlich werden in einzelnen Artikeln die wichtigsten Jahreszahlen wie die der Gründung, des Aufstandes, des Mauerbaus, der Volkskammerwahl eingebettet, die sich zum einen bei diesem Schwerpunktthema nicht vermeiden lassen, zum anderen aber auch ein wenig Orientierung bieten inmitten all der persönlichen Meinungen.
Jakob Hein zum Beispiel beschreibt in »Voll geschäftsfähig« die Geburt der beiden Staaten nach dem Krieg, bis hin zum zwanzigjährigen Geburtstag der wiedervereinigten deutschen Staaten anhand einer Familienkonstellation, die dem Leser ein leichtes Schmunzeln entlockt.
Judka Strittmatter erzählt hingegen in »Ich muss zurückblicken, wenn ich die Gegenwart betrachte« von ihrer eigenen Flucht aus der DDR und dem bis heute immerwährenden Rechtfertigen ihrer ostdeutschen Herkunft. Peter Bender lässt in »Sieben Wunder der Vereinigung« die friedliche Revolution Revue passieren, die schlussendlich in der Wiedervereinigung mündete. Andere Autoren beschreiben die Sicht der Binnenmigranten, greifen auf eine seit dem Jahre 1987 bis heute währende Längsschnittstudie mit jungen Ostdeutschen und deren Sicht auf die DDR zurück oder versuchen die Ursachen der Diskrepanz zwischen der gefühlten und der tatsächlichen Einheit zu ergründen. Auch das unterschiedliche Fernsehverhalten des ehemals gespaltenen Deutschlands findet in »Tickt der Osten anders?« wissenschaftliche Bearbeitung. Roland Kaufhold erinnert abschließend an den verstorbenen Psychoanalytiker Paul Parin.

Für diejenigen, in Ost und West, die zum Zeitpunkt des Mauerfalls so jung waren, das sie nicht auf eigene Erfahrungen aus dieser Zeit zurückgreifen können oder noch nicht geboren waren, stellt dieses Heft Nr.117 eine kompakte Form, zwar persönlich gefärbter, jedoch nicht minder interessanter deutsch-deutscher Geschichte dar, die es sich in jedem Fall zu lesen lohnt. Im Gegensatz zu anderer Literatur, die sich doch mehr dem politischen Procedere dieser Zeit widmet und eher marginal die persönliche Meinung aufnimmt. Gestützt werden diese persönlichen Eindrücke allerdings von den aufgeführten Studien, die diese Eindrücke anhand der empirischen Ergebnisse wissenschaftlich unterstützen.

Durch die einzelnen Beiträge und die Studien wird ganz deutlich, dass es auch heute, 20 Jahre nach dem Fall der innerdeutschen Grenze, auf beiden Seiten, eine noch nicht überwundene Mauer gibt, die nicht einfach wie die steinerne Mauer einzureißen ist. Die Menschen auf beiden Seiten haben unterschiedliche Sozialisationen durchlebt, durch die sie geprägt wurden. Ihre Wahrnehmung und Persönlichkeitsentwicklung sind durch die verschiedenen materiellen und sozialen Umwelten derart ungleich verlaufen, dass es wahrlich nicht verwunderlich ist, das die Einheit in den Köpfen der Leute noch nicht in dem Maße vollzogen wurde, wie es sich die Politik bisher wünscht. Gerade in den empirischen Untersuchungen wird allzu oft deutlich, das eine Mehrheit der ehemaligen DDR-Bürger noch auf Identitätssuche ist und nicht genau weiß wo sie denn hingehört, sie fühlt sich zum Teil auch nach 20 Jahren der Einheit nicht integriert und wünscht sich trotz der heutigen Freiheiten ihren früheren, sie einengenden Staat zurück. Solche Zugehörigkeitsprobleme lassen sich nicht nur auf politischer Ebene lösen, dieser Problematik muss sich ungeteilt die gesamte Gesellschaft annehmen. Erst dann wird es auch zu einem Fall der Mauer in den Köpfen kommen können.

Irina Mohr und Elmar Brähler haben zum Schwerpunktthema »20 Jahre Mauerfall« eine gelungene Mischung persönlicher Aufsätze und wissenschaftlicher Studien zusammengetragen, die das derzeitige Bewusstsein der Ostdeutschen und Westdeutschen Bürger portraitiert. Politisch erscheint die Wiedervereinigung vollzogen, Sinnbild dafür ist die ostdeutsche Kanzlerin, gesellschaftlich hingegen bedarf es noch sehr viel Arbeit, um diese Einheit auch wirklich zu vollziehen.
In jedem Fall eine absolut lesenswerte Zusammenstellung, die ich uneingeschränkt empfehlen kann.




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