Rezension zu »Ein moralischer Anarchist«. Erinnerungen an den Psychoanalytiker, Schriftsteller und skeptischen Weltbürger Paul Parin (20.09.1916-18.05.2009) (PDF-E-Book)
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Rezension von Susan Beudt
Angesichts der Fülle an bereits existierenden Schriften über das
schicksalsreiche Jahr 1989 und die vorausgegangenen sowie folgenden
geschichtlichen Entwicklungen, und in Anbetracht der diesjährigen
multimedialen Gedenkflut, könnte der ein oder andere geneigt sein,
der aktuellen Ausgabe des Psychosozial-Verlages wenig Interesse und
Beachtung zu schenken.
Meines Erachtens lohnt es sich jedoch, ein wenig der meist rar
gesäten Zeit in die Beschäftigung mit dieser Ausgabe zu
investieren. Die Herausgeber Mohr und Brähler stellten hier eine
gelungene Mischung aus publizistischen und wissenschaftlichen
Beiträgen zum Thema zusammen und vor allem letztere bieten meiner
Meinung nach einen Mehrwert im Vergleich zu anderen rein
reflektiven Werken.
Die Ausgabe beginnt mit publizistischen Texten, welche mittels
Rückblick auf die geschichtlichen Ereignisse unter anderem Ansätze
zu solchen Themen bieten, die mich am meisten interessierten:
Verständnis der unterschiedlichen Deutungen (vor allem)
ostdeutscher Geschichte, Ideen zum Thema ostdeutsche und deutsche
Identität sowie Vorschläge für den zukünftigen intelligenten Umgang
mit der lehrreichen Geschichte. Es war beispielsweise interessant
zu lesen, welche Erklärungsansätze die Autoren für eventuelles
Verteidigungsverhalten einiger Ostdeutscher in Hinsicht auf die
Bewertung der DDR heranführten.
Eine nette Abwechslung zu rein historischen Betrachtungen wie etwa
in »Sieben Wunder der Vereinigung« von Peter Bender bieten die
Texte der Autorinnen Simon und Strittmatter durch Einbindung
persönlicher Erfahrungen.
Hervorzuheben sind meiner Ansicht nach die wissenschaftlichen
Beiträge, die es dem geneigten Leser aufgrund der Darstellung von
Methode und Stichprobenzusammensetzung eher ermöglichen,
Studienergebnisse in Hinsicht auf ihre Qualität, Repräsentativität
und Aussagekraft kritisch zu prüfen. Denn sicherlich schwirren
oftmals Prozentangaben und dazugehörige unzulässige oder
unzureichende Deutungen in den Medien umher, die einer näheren
Prüfung vielleicht nicht standhalten würden, aber nichts desto
trotz die volle effekthaschende Wirkung entfalten können.
Der Beitrag »Vorwärts und nicht vergessen« versucht auf
wissenschaftlich-objektiver Basis die Themen ostdeutsche Identität
und Ostalgie zu eruieren. Die dargestellten Ergebnisse bieten einen
interessanten Beitrag zur Diskussion und erschweren hoffentlich das
Beibehalten oberflächlicher, undifferenzierter Argumentationen und
Ursachenzuschreibungen.
Ebenso interessiert las ich den anschließenden Beitrag, der nach
wissenschaftlichen Erklärungen zur Diskrepanz zwischen gefühlter
und tatsächlicher Einheit forscht und dazu in Analogie zu
Vorreitermodellen wie »Klima-Michel« und »Inflations-Michel« die
Konstruktion eines »Einheits-Michels« vornahm.
Die Studie zur Binnenmigration Ost-West bzw. West-Ost von Albani et
al. untersuchte Unterschiede in Motiven und Migrationserfahrungen
sowie im psychischen Befinden von Migranten. Erfreulicherweise
nahmen die Autoren eine kritische Einordnung der Ergebnisse zum
psychischen Befinden vor, wonach diese aufgrund des
Querschnitt-Designs der Studie und der ausschließlichen Erfassung
der Migration zwischen den alten und neuen Bundesländern, keine
kausalen Rückschlüsse zulassen. Es bleibt also zunächst unklar, ob
psychische Beeinträchtigungen als Folge von oder Teilursache für
Migration zu betrachten sind.
Die wissenschaftliche Beitragsreihe schließt mit einer Studie,
welche einen Aspekt thematisiert, der in der Ost-West-Debatte eher
selten eine Rolle spielt: die Mediennutzung. Es wird hier auf das
Fernsehverhalten fokussiert und abschließend relativ ausführlich
auf Erklärungsversuche für Besonderheiten einzelner Gruppen
eingegangen.
Neben dem Schwerpunktthema findet der Leser weitere Texte aus
unterschiedlichen Themengebieten, die den Zeitschriften-Charakter
der »psychosozial« unterstreichen und für kurzweilige Unterhaltung
sorgen können. Abschließend lässt sich feststellen, dass dieser für
mich erste Band der Psychosozial-Reihe mein Interesse an weiteren
Bänden geweckt hat.
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