Rezension zu Ich muss zurückblicken, wenn ich die Gegenwart betrachte (PDF-E-Book)

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Rezension von Susan Beudt

Angesichts der Fülle an bereits existierenden Schriften über das schicksalsreiche Jahr 1989 und die vorausgegangenen sowie folgenden geschichtlichen Entwicklungen, und in Anbetracht der diesjährigen multimedialen Gedenkflut, könnte der ein oder andere geneigt sein, der aktuellen Ausgabe des Psychosozial-Verlages wenig Interesse und Beachtung zu schenken.

Meines Erachtens lohnt es sich jedoch, ein wenig der meist rar gesäten Zeit in die Beschäftigung mit dieser Ausgabe zu investieren. Die Herausgeber Mohr und Brähler stellten hier eine gelungene Mischung aus publizistischen und wissenschaftlichen Beiträgen zum Thema zusammen und vor allem letztere bieten meiner Meinung nach einen Mehrwert im Vergleich zu anderen rein reflektiven Werken.

Die Ausgabe beginnt mit publizistischen Texten, welche mittels Rückblick auf die geschichtlichen Ereignisse unter anderem Ansätze zu solchen Themen bieten, die mich am meisten interessierten: Verständnis der unterschiedlichen Deutungen (vor allem) ostdeutscher Geschichte, Ideen zum Thema ostdeutsche und deutsche Identität sowie Vorschläge für den zukünftigen intelligenten Umgang mit der lehrreichen Geschichte. Es war beispielsweise interessant zu lesen, welche Erklärungsansätze die Autoren für eventuelles Verteidigungsverhalten einiger Ostdeutscher in Hinsicht auf die Bewertung der DDR heranführten.
Eine nette Abwechslung zu rein historischen Betrachtungen wie etwa in »Sieben Wunder der Vereinigung« von Peter Bender bieten die Texte der Autorinnen Simon und Strittmatter durch Einbindung persönlicher Erfahrungen.

Hervorzuheben sind meiner Ansicht nach die wissenschaftlichen Beiträge, die es dem geneigten Leser aufgrund der Darstellung von Methode und Stichprobenzusammensetzung eher ermöglichen, Studienergebnisse in Hinsicht auf ihre Qualität, Repräsentativität und Aussagekraft kritisch zu prüfen. Denn sicherlich schwirren oftmals Prozentangaben und dazugehörige unzulässige oder unzureichende Deutungen in den Medien umher, die einer näheren Prüfung vielleicht nicht standhalten würden, aber nichts desto trotz die volle effekthaschende Wirkung entfalten können.

Der Beitrag »Vorwärts und nicht vergessen« versucht auf wissenschaftlich-objektiver Basis die Themen ostdeutsche Identität und Ostalgie zu eruieren. Die dargestellten Ergebnisse bieten einen interessanten Beitrag zur Diskussion und erschweren hoffentlich das Beibehalten oberflächlicher, undifferenzierter Argumentationen und Ursachenzuschreibungen.

Ebenso interessiert las ich den anschließenden Beitrag, der nach wissenschaftlichen Erklärungen zur Diskrepanz zwischen gefühlter und tatsächlicher Einheit forscht und dazu in Analogie zu Vorreitermodellen wie »Klima-Michel« und »Inflations-Michel« die Konstruktion eines »Einheits-Michels« vornahm.


Die Studie zur Binnenmigration Ost-West bzw. West-Ost von Albani et al. untersuchte Unterschiede in Motiven und Migrationserfahrungen sowie im psychischen Befinden von Migranten. Erfreulicherweise nahmen die Autoren eine kritische Einordnung der Ergebnisse zum psychischen Befinden vor, wonach diese aufgrund des Querschnitt-Designs der Studie und der ausschließlichen Erfassung der Migration zwischen den alten und neuen Bundesländern, keine kausalen Rückschlüsse zulassen. Es bleibt also zunächst unklar, ob psychische Beeinträchtigungen als Folge von oder Teilursache für Migration zu betrachten sind.
Die wissenschaftliche Beitragsreihe schließt mit einer Studie, welche einen Aspekt thematisiert, der in der Ost-West-Debatte eher selten eine Rolle spielt: die Mediennutzung. Es wird hier auf das Fernsehverhalten fokussiert und abschließend relativ ausführlich auf Erklärungsversuche für Besonderheiten einzelner Gruppen eingegangen.


Neben dem Schwerpunktthema findet der Leser weitere Texte aus unterschiedlichen Themengebieten, die den Zeitschriften-Charakter der »psychosozial« unterstreichen und für kurzweilige Unterhaltung sorgen können. Abschließend lässt sich feststellen, dass dieser für mich erste Band der Psychosozial-Reihe mein Interesse an weiteren Bänden geweckt hat.



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