Rezension zu Mit Freud im Kino
Zeitschrift Medienwissenschaft 4/2009
Rezension von Sonja Czekaj
Was Sigmund Freud vom Kino hielt, ist unter Medienwissenschaftlern
wie Psychoanalytikern allgemein bekannt. Nichtsdestotrotz schickt
uns Theo Piegler ›mit Freud ins Kino‹ und befindet sich damit in
guter Gesellschaft, beachtet man allein die im Jahr 2008 zu diesem
Thema im Psychosozial-Verlag erschienenen Bücher 440
MEDIENwissenschaft 4-2009 von Sabine Wollnik (Zwischenwelten.
Psychoanalytische Filminterpretationen), Parfen Laszig und Gerhard
Schneider (Film und Psychoanalyse. Kinofilme als kulturelle
Symptome). Dabei fällt auf: Es ist (und bleibt?) der Spielfilm, mit
dem sich die psychoanalytische Filminterpretation befasst. Dass
auch der »naive Umgang mit Dokumentation (...) eine einzigartige
Gelegenheit, Märchen zu erzählen« (Alexander Kluge:
Gelegenheitsarbeit einer Sklavin. Zur realistischen Methode
(Frankfurt a.M. 1975), S.203) ist, nichtfiktionale Filmformen
ebenso Wunschbilder, Selbstbilder und Einbildungen zeigen wie der
fiktionale Film, nur mit anderen Mitteln, ist bislang noch
unberücksichtigt geblieben. Auf das Desiderat, sich aus
psychoanalytischer Perspektive auch nichtfiktionalen Filmen zu
öffnen, weist auch der Dokumentarfilm Regisseur Christian
Schidlowski im »Epilog« von Mit Freud im Kino hin.
Dass es der Freudschen Abneigung gegen das Medium zum Trotz
überzeugende Gründe für ein psychoanalytisches Interesse am Film
gibt, zeigt der Herausgeber des vorliegenden Bandes gleich zu
Anfang im »Prolog«: »Woher kommt die Macht des Kinos auf die
Menschen?« (S.7), fragt er, deutet den Einfluss des Kinodispositivs
auf die Rezeptionshaltung an (vgl. S.8) und konstatiert in diesem
Zusammenhang eine Wiederbelebung »ruhende(r) innere (r) Bilder«
(ebd.), »ungelöste(r) latente(r) Konflikte« (S.9) sowie »eine
Regression bis in die Urhöhle des Uterus« (S.11), auf die schon
Mechthild Zeul in Das Höhlenhaus der Träume (Frankfurt a.M. 2007)
hingewiesen hat, und natürlich kommt auch der Voyeurismus im
Kontext der Urszenenphantasie zur Sprache. (Vgl. S.12) Weitere
Gründe, sich aus psychoanalytischer Perspektive mit dem Film zu
beschäftigen, liefert die Einleitung, beispielsweise indem Film
»als Spiegel seiner Entstehungszeit« (vgl. S.16 f) und als »Mittel
der Selbststabilisierung« (vgl. S.17 ff) verstanden wird.
Gleichwohl gibt es, Piegler zufolge, keine einheitliche
psychoanalytische Filmtheorie, sie ist auch nicht Ziel des
vorliegenden Buches. (Vgl. S.23 ff) Vielmehr geht es um einen
Einblick in die filminterpretatorische Praxis psychoanalytischer
Provenienz, den Mit Freud im Kino, um es vorweg zu nehmen, auch in
anschaulicher Weise liefert. Dabei sind die in Pieglers Buch
versammelten Filminterpretationen heterogen in wissenschaftlicher
Qualität und im Erkenntnisgehalt: Die Bandbreite reicht von
Vernachlässigung filmischer Mittel zugunsten der literarischen
Vorlage, Wikipedia als Quellennachweis und mangelnder
Differenzierung zwischen Filmfiguren und realen Menschen, bis zu
überzeugenden, filmanalytisch fundierten Studien mit großem
Reichtum an Befunden. Die Filmauswahl ist augenscheinlich stark am
Sujet orientiert: Don Juan de Marco (1995), American Beauty (1999),
Fight Club (1999), Swimming Pool (2003), um nur wenige Beispiele zu
nennen, sie alle erscheinen geradezu als prädestiniert für eine
psychoanalytische Figurenanalyse. Und diese bildet entsprechend
neben der Filmhandlung auch den eindeutigen
Interpretationsschwerpunkt.
Wünschenswert wäre daher aus filmwissenschaftlicher Perspektive
eine stärkere Einbeziehung und Gewichtung der filmästhetischen
Mittel, um tiefer in die filmischen Strukturen einzudringen. Dazu
würde auch eine stärkere Abstrahierung vom klinischen Bereich, bzw.
psychoanalytischen Setting beitragen. Wem jedoch an interessanten
Einblicken in die psychoanalytische Praxis der Filminterpretation
gelegen ist, dem bietet Mit Freud im Kino eine spannende,
kurzweilige und erhellende Lektüre.