Rezension zu Beratungskonzepte in der Psychoanalytischen Pädagogik
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Rezension von Prof. Dr. Manfred Gerspach
Thema
Das Buch enthält eine breite Palette von Beiträgen zu
unterschiedlichen Beratungsangeboten auf dem Feld der Sozialen
Arbeit, deren Gemeinsamkeit eine psychoanalytisch orientierte
Grundlage bildet. Wenngleich beraterisches Handeln im Sinne Burkard
Müllers immer multiperspektivisch ist, so wird in allen Texten
deutlich, dass die Suche nach dem Unbewussten am Beratungsprozess
und seine Bewusstmachung den Kern der professionellen
Herangehensweise darstellt. Geht es auch vornehmlich um die
pragmatische Frage einer alltäglichen Lebensführung, so wird doch
Beratung als Reflexionsinstrument zur Arbeit an den
Selbstauffassungen genutzt. In diesem Sinne wird das Arbeitsbündnis
fokussiert, das ohne das methodische Herangehen mit Hilfe einer
»holding and containing function« wahrscheinlich nicht zustände
käme. Beratung gerät zum Übergangsraum mit vielen bis dahin
ungeahnten Gestaltungsmöglichkeiten, was dadurch gelingt, dass sie
als dialogischer Deutungs- und Verständigungsprozess fungiert.
Gemeinhin tabuierte Konflikte im Beratungsgeschehen werden damit
ebenso durchschaubar wie auch scheinbar undenkbare
Beratungssettings – neben dem klassischen Beispiel der
Erziehungsberatung etwa in der Arbeit mit geistig behinderten
Menschen – präsentiert werden.
Aufbau und Inhalt
Das Buch enthält insgesamt 11 Beiträge und spiegelt Verlauf wie
Ergebnis einer wissenschaftlichen Fachtagung des Frankfurter
Arbeitskreises für Psychoanalytische Pädagogik mit dem Arbeitstitel
»Psychoanalytisch-Pädagogische Beratung« vom Herbst 2007.
Zunächst skizziert Haubldas Bild einer ratlosen wie ratsuchenden
Gesellschaft und führt aus, dass Beratung dann das Adjektiv
»psychoanalytisch« verdient, wenn sie aktiv strukturierend die
Selbstreflexion des Hilfesuchenden unterstützt und dabei das
»Gegenwartsunbewusste« (im Unterschied zum
»Vergangenheitsunbewussten«) fokussiert.
Hechler eröffnet uns ein weites Bild professionsbezogenen
pädagogischen Wissens mit vielen Bezügen und Querverweisen zur
disziplineigenen Historie.
Ausgehend von ihren praktischen Erfahrungen konzipiert im Anschluss
Finger-Trescher als Leiterin einer Erziehungsberatungsstelle ein
Beratungsverständnis, das sich über das Hinterfragen vermeintlicher
Selbstverständlichkeiten dem jeweiligen Problem nähert.
Danach irritiert von Lüpke auf ebenso überraschende wie
beeindruckende Weise unser Alltagsverständnis von Beratung durch
Verweisungen auf komplexe neurobiologische Erkenntnisse der
jüngeren Zeit, die jedem schlichten linearen Konzept seine
deutlichen Grenzen aufzeigen.
Lutzi stellt sich der verdienstvollen Aufgabe, das Angstmachende am
Beratungsprozess und die daraufhin einsetzende innerpsychische wie
institutionelle Abwehr zu beschreiben und gibt uns damit viel
Bedenkenswertes mit auf den weiteren Weg.
Rauwald und Stein erörtern an Hand eines nicht unproblematischen
Falles der Beratung einer Migrantenfamilie die Anforderungen an
eine interkulturelle Beratung.
Nachfolgend setzt sich Pforr mit dem in der Fachwelt eher
ungeliebten Thema der Beratung von Menschen mit einer geistigen
Behinderung auseinander und entwirft ein differenziertes Bild der
Möglichkeiten wie nötigen Modifikationen.
Dann gibt Figdor einen sehr gut aufbereiteten und dokumentierten
Einblick in die schwierige Arbeit von Erziehungsberatung, der es
nicht um ein manifestes Störungspotential, sondern die dahinter
schlummernden Konflikte und ihre möglichen Lösungen geht.
Der Beitrag von Krebs rundet als gelungener Survey-Aufsatz über die
Implikationen einer psychoanalytisch durchwirkten Beratungsarbeit
das Ganze ab, bevor von Reischach abschließend einen Bogen von den
Anfängen bei Aichhorn, Redl und Bettelheim bis heute – z.B. im
Rottenburger und Tübinger Verein für Psychoanalytische Sozialarbeit
– schlägt und dabei implizit belegt, welch hohen Sachverstand die
heutige Praxis aufzuweisen vermag.
Diskussion
Der Band über psychoanalytisch orientierte Beratungskonzepte
verbindet ein komplexes theoretisches Argumentationsniveau mit
anschaulichen Beispielen einer überaus heterogenen Sozialen Praxis
und macht deutlich, dass sich diese methodische Ausrichtung nicht
hinter anderen Konzepten – etwa von Klienten-, Ressourcen- oder
Lösungsoientierung – verstecken muss. Dies nicht zuletzt deshalb,
weil mit dem Blick aufs Unbewusste am Beratungsprozess der Dialog
selbstreflexiv in den Blick genommen wird, um mögliche Krisenpunkte
in der sich aktuell anbahnenden Beziehungsdynamik tiefer verstehen
und also einer gedeihlichen Lösung zuführen zu können. Diese
Erörterungen setzen im Grunde da ein, wo andere mit ihrem Latein am
Ende sind oder die Beraterinnen und Berater auf Grund mangelnden
Fallverstehens leicht in die Falle einer nicht reflektierten
Gegenübertragung geraten, was das Ganze nicht selten zum Scheitern
verurteilt.
Fazit
Der große Nutzen des vorliegenden Buches liegt in der Verknüpfung
einer differenziert dargelegten konzeptionellen Fachdebatte, die
die eigene affektive Beteiligung am Beratungsgeschehen
mitthematisiert, mit einer Beratungspraxis voller Gefahren und
Unabwägbarkeiten. Dabei sind die Texte gut verständlich
strukturiert, zum Teil äußerst spannend gestaltet und machen Mut,
sich diesen Herausforderungen zu stellen. Mit einer erfrischend
unmodernen Hinwendung zum Unbewussten, zu Angst, Abwehr und
Widerstand werden eine ganze Reihe faktischer Tabus zur Sprache
gebracht, deren Offenlegung erst eine effektive Berastungsarbeit
möglich macht.
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