Rezension zu Psychodynamik von Organisationen
Freie Assoziation 3/2009
Rezension von Peter Boback
(M)ein Bekenntnis vorneweg: Ich habe den von Burkard Sievers
herausgegebenen Sammelband Psychodynamik von Organisationen mit
Interesse und Gewinn gelesen. Dabei gab es beides: Zustimmung und
Reserve den Beschreibungen und Analysen gegenüber. Zustimmung, wenn
ich meine eigenen Erfahrungen mit und in heutigen Organisationen
mithilfe der dargebotenen Konzepte neu beleuchten und
interpretieren konnte und damit meine zum Teil erst intuitiv
vorhandenen Auffassungen und Sichtweisen klarere begriffliche und
sprachliche Konturen bekamen. Reserve bei den Versuchen, die
psychoanalytisch informierte Analyse weit in makroökonomische und
politische Bereiche auszudehnen.
Die Beiträge des Buchs, die zwischen 2003 und 2008 in der
Zeitschrift »Freie Assoziation« veröffentlicht wurden, werfen
besonders in der ersten Sektion »Sozioanalyse von Organisationen«
einen skeptisch-kritischen Blick auf die zeitgenössische
Organisationslandschaft. Sie beschreiben und analysieren
problematische, dysfunktionale, wenn nicht gar kranke
Organisationsdynamiken und bilden damit einen deutlichen Kontrast
zu den visionär euphorisierenden Organisationsdiskursen, die man
von vielen angelsächsischen Management-, Change- und
Organisationsberatern dargeboten bekommt. Je nach Erkenntnis- und
Anwendungsinteresse kann man das begrüßen oder als zu einseitig
bedauern. Entwickelt die Psychoanalyse, wenn sie sich auf das Feld
der Organisationen begibt, ihre Potenz eher als kritische Theorie
bestehender Organisationskulturen denn als konstruktive
Bauanleitung eben derselben? Wäre es also verfehlt, von einer
psychoanalytisch informierten Sicht auf die Organisation einen
Bauplan für eine gesunde, menschengemäße Organisation zu erwarten?
Behauptete man von der Psychoanalyse auch schon einmal, sie sei die
Krankheit, für deren Therapie sie sich ausgibt, könnte man,
inspiriert durch einige der Beiträge in diesem Sammelband,
ähnliches von der Sozioanalyse sagen: sie sei das Unbehagen, für
deren Diagnose sie sich verwendet. Auch wenn der teilweise
(an-)klagende Grundton in vieler Hinsicht seine Berechtigung hat,
stellte ich mir beim Lesen doch bisweilen die Frage nach der
Ankoppelungsfähigkeit dieses kritischen Diskurses an die Welt der
Wirtschaft und ihrer Protagonis- ten. Bleiben diese Beiträge durch
den gewählten Inhalt und Stil unerhörte warnende Stimmen von
einsamen Rufern in der Wüste oder haben sie einen pragmatischen,
gestalterischen, veränderungsrelevanten Nutzen? Schaut man sich die
Realität in den Organisationen heute an, dann werden diese von
Personen und Gruppen gebaut, umgebaut, eingerissen, zum Erfolg
geführt oder in den Ruin getrieben, die von anderen, oft sogar
konträren handlungsleitenden Interessen und Zweckbestimmungen
getrieben sind als die eher kulturkritisch-humanistischen, die ich
den hier versammelten Autoren in ihrer Mehrheit unterstellen
würde.
Doch zurück zum Buch. Die Beiträge werden von einen thematischen
roten Faden zusammengehalten: sie verpflichten sich alle einer
psychoanalytisch informierten Sichtweise und beanspruchen für sich,
durch diese Perspektive zu einem besseren Verständnis der
(unbewussten) psychologischen und sozialen Prozesse in
Organisationen beizutragen. Die Beiträge, die im ersten Teil
Sozioanalyse von Organisationen firmieren, spannen eine Fächer
organisationsdiagnostischer Perspektiven auf, die die Psychoanalyse
als organisations- und kulturkritische Disziplin ausweist.
Yannis Gabriel eröffnet den Reigen psychoanalytisch informierter
Analysen zeitgenössischer Organisationen mit »Das Unbehagen in
Organisationen. Zu einer Theorie organisatorischen Miasmas«. Er
schaltet seiner höchst interessanten Beschreibung und Erklärung
dysfunktionaler Organisationsdynamiken, für die er mit dem Begriff
»Miasma« ein Konzept aus der altgriechischen Ideenwelt entlehnt,
einige psychoanalytische Einsichten über Organisationen vor, so
z.B., dass Individuen frühere Erfahrungen auf Organisations- und
Arbeitsbeziehungen übertragen, dass Organisationen einen
wesentlichen Beitrag für den Aufbau und Erhalt eines stabilen
Selbstbildes leisten. Er erinnert daran, dass Organisationen
gleichzeitig Angst erzeugen und Vorrichtungen und Arrangements zur
Verfügung stellen, eben diese Angst zu managen. »Management von
Angst (Containment) ist eine der Hauptaufgaben jeder Organisation«
und gleichzeitig: »Organisationen können in ihrem Bemühen, Angst zu
»containen«, auf dysfunktionale Reaktionen zurückgreifen, die
Kreativität verkümmern lassen und einen effektiven Ablauf
untergraben.« Im zweiten Teil seines Beitrags schlägt Gabriel vor,
den Begriff »Miasma« auf Organisationsdynamiken anzuwenden, die
sich durch einen hohen Grad an Täuschung, Toxizität und Leiden
auszeichnen. »Miasma geht über bloße Toxizität hinaus und verweist
auf einen Zustand moralischen und geistigen Verfalls; es ist eine
Korruption aller Werte und moralischer Beziehungen des Vertrauens,
der Liebe, der Gemeinschaft.« Indikatoren für diesen Zustand sind
der Verlust von Vertrauen, Selbstachtung und moralischer Integrität
in einer Organisation. Moralische wie psychologische Korruption
macht sich breit. Die Grundstimmung ist geprägt von Depressivität
und dem Gefühl, unerwünscht und erfolglos zu sein. Kampfgeist und
Widerstand sind bei den Beschäftigten erloschen, stattdessen
herrscht Fatalismus und eine destruktive Kritik und Selbstkritik,
die das Gefühl perpetuiert, »nie gut genug zu sein«.
Nach Gabriel sollten vor allem solche Organisationen gegenüber
Miasma anfällig sein, die rapiden, abrupten, diskontinuierlichen
und oft unkontrollierten Veränderungen unterliegen. Der Bruch mit
der institutionellen Geschichte, bewusst und im Namen einer neuen,
innovativen Ausrichtung betrieben, bedient sich einer Kritik der
Vergangenheit, die letztere als eine Zeit freundlicher und
schlampiger Nachgiebigkeit erscheinen lässt und zu einer aus
heutiger Sicht unakzeptablen Mittelmäßigkeit und Ineffektivität
geführt habe. Die psychologische Organisationsrealität wird
doppelbödig: auf der einen Seite wird von oben und von den Neuerern
ein enthusiastisch gefärbter »visionärer Blick nach vorn«
propagiert, flankiert von einer Philosophie der Effizienz und
Exzellenz. Sie soll Schluss machen mit vergangener Nachlässigkeit,
das volle Potential zur Entfaltung bringen und damit der Firma eine
Spitzenstellung sichern. Die propagierte Notwendigkeit der
Erneuerung, die einhergeht mit einer intensiven Beschäftigung mit
dem eigenen Image und dessen Kommunikation nach innen und außen,
wird von vielen Organisationsmitgliedern jedoch als Verunglimpfung
und Abwertung der Vergangenheit, ihrer Leistungen und
Leistungsträger und kulturellen Praktiken erlebt. Das freiwillige
oder forcierte Ausscheiden vormals hoch geschätzter Mitarbeiter und
Kollegen wird kaum mehr zur Kenntnis genommen. Wie überhaupt
Verlustgefühle geleugnet werden, wo man sich doch lediglich von
unnötigem alten Ballast befreit. Trennungs- und Trauerprozesse
haben hier keinen Platz bzw. würden eher als unpassend, wenn nicht
als weinerlich und befremdlich erlebt.
Der nächste Beitrag »Organisatorischer Totalitarismus und Dissens«
von Howard F. Stein liest sich teilweise so, als solle hier der
Ansatz von Gabriel noch radikalisiert werden.
Stein scheut sich nicht, den extrem konkurrenzbetonten und von der
Allmacht des Profits geprägten Kapitalismus neoliberalistischer
Spielart als eine Form amerikanischen Totalitarismuses zu
brandmarken und seine Folgen schonungslos zu kritisieren. Begleitet
von einer pseudoreligiösen Fundierung ökonomischer Rationalität und
Effektivität, dem Zwang zum Erfolg und »Greatness« entstünden in
den Unternehmen Bedingungen psychologischer Belagerung.
Kontinuierlich beschworene Gefahren von außen führen zu einem
regressiven »Katastrophendenken«, zu einer »Wir (die Guten) – Sie
(die Bösen)«- Spaltung. Unterdrückt wird jeglicher interner
Dissens. Es herrscht ein Gefühl von Bedrohung und Angst. Diese
starre defensive Identität macht die Mitarbeiter zu Geiseln und
blockiert eine kontinuierliche, offene und autonome
Identitätsentwicklung. Mitarbeiter, die schon mehrere
Entlassungswellen überlebt haben, entwickeln ein Survivor Syndrom
(wohl eine Mischung aus Verratserfahrung und Zynismus, wie sie
Sievers und Mersky einige Beiträge weiter beschreiben). Sie
arbeiten und leben mit der ständigen Bedrohung, überflüssig und
entbehrlich zu werden; die eigentlich berechtigte Frage, was man an
seinem Arbeitsplatz noch als legitim erwarten kann, wird gar nicht
mehr gestellt. Forderungen verstummen, es dominiert eine gedrückte,
fatalistische Stimmung in der bangen Erwartung der nächsten
Reorganisationsoder Entlassungswelle, die einen die hart
erarbeitete Position oder gar den Job kosten kann.
Der Beitrag von Susan Long »Systeme unbewusster Vereinbarungen«
hebt darauf ab, dass Organisationen durch bewusste wie unbewusste
Vereinbarungen und Verpflichtungen konstituiert werden und dass
diese Pakte und Verträge in ihrer Gesamtheit die Arbeitskultur
bilden. Diese unbewussten Absprachen können im Sinne der Bionschen
Grundannahmen funktionieren, wo eine Gruppe aufgrund einer
unbewusst gestalteten Annahme handelt oder aber im Sinne von Jaques
und Menzies aus einem Netz kollektiver und kollusiver Abwehrmanöver
bestehen. Longs Ausführungen zur psychologischen Zeit, die aus
psychodynamischer Arbeit entsteht und die sich auf die
Transformation emotionaler Erfahrung bezieht, sind insofern
interessant, als sie sich mit einem speziellen Zeitempfinden im
beschleunigten Kapitalismus kontrastieren lässt. Zeitlerleben im
Turbokapitalismus ist geprägt durch Diskontinuität, ein Oszillieren
zwischen Leere und Beschleunigung und dürfte einer
psychoanalytischen Konzeption der unbewussten Zeit, einer Zeit, die
nicht vergeht, entsprechen. Der »rasende Stillstand« dieser
beschleunigten Zeit erzeugt unverarbeitete Erfahrung, die nicht in
Erinnerung, ein Narrativ, eine bedeutungsstiftende Story
transformiert werden kann. Eine mögliche Schlussfolgerung hier:
wenn das Erschaffen von Selbstnarrativen bezogen auf das Arbeiten
und Leben in Organisationen der Erfahrung psychologischer Zeit
bedarf, einer Zeit, die Entwicklung, Lernen, Reife, Erfahrung und
Konstruktion von Bedeutung ermöglicht, dann wird diese Form von
psychologischer Entwicklung und Reifung von den schnellen,
diskontinuierlichen und fragmentierten Erlebens- und
Erfahrenswelten der postmodernen Organisationsdynamik
hintertrieben.
Die Beiträge von Dieter Ohlmeier »Strukturen und Unbewusstes in
wissenschaftlich-klinischen Organisationen und Institutionen« und
Rolf Haubl »Tatort Krankenhaus: Statuspassage und symbolische
Gewalt« scheinen mir insofern von Interesse, als sie sich eher auf
klassische, moderne Organisationen beziehen, und somit eine
relevante kontrastive Matrix aufspannen, um moderne mit
postmodernen Organisationsdynamiken vergleichen zu können. Ohlmeier
beschreibt ein Vier-Phasenmodell von Institutionsbildung: ausgehend
von einer Handlungsnotwendigkeit werden in einem Pionierstadium
erste Strukturen gebildet, die dann ihre Institutionalisierung
erfahren und in eine Phase des ruhigen Flusses der Arbeit
münden.
So intuitiv nachvollziehbar dieses Modell auch sein mag, stellt
sich jedoch die Frage, ob und wenn ja, in welchen Bereichen es
solche »reifenden«, sich organisch und phasenhaft entwickelnden
Organisationen (noch) gibt. Wenn Haubl weiter in »Tatort
Krankenhaus« davon spricht, dass alle Organisationen
Grenzmanagement betreiben, »Grenze (...) ein Schlüsselkonzept für
die Beschreibung von Systemen sei« und »Systeme die ihre Grenzen
nicht kontrollieren können, (...) schutzlos und ständig von
Invasion und damit auch von Identitätsdiffusion bedroht (sind)« und
wir dieser Konzeptbildung auch zustimmen mögen, wie verträgt sich
dieses Organisationsparadigma mit dem Ideal einer »Boundaryless
Organization«, welches im zeitgenössischen Organisationsdiskurs so
prominent bemüht wird? Sprechen wir hier von zwei
unterschiedlichen, wenn nicht inkompatiblen Organisationswelten?
Wenn ja, wie werden in der postmodernen, eher flexiblen und
»grenzlosen« oder grenzschwachen Organisation Zugang und
Zugehörigkeit reguliert, wie wird hier Identität – individuelle und
kollektive – konstituiert? Haubl beschreibt für die klassische
Organisation am Beispiel »Krankenhaus« die Selektion und
Sozialisation als vordringliche Aufgaben des Grenzmanagements. In
einer dreiphasigen, quasi rituellen Verlaufsstruktur – Trennung von
alter Kultur, Übergangsphase bzw. Schwellenstatus – Eingesetzwerden
in neuen Status – wird der »Initiand« – ähnlich den
Initiationsriten archaischer Kulturen – in die neue Gemeinschaft
aufgenommen. Und auch hier wieder die Frage: ist im hochflexiblen,
ständig sich verändernden postmodernen Organisationssetting die
Übergangsphase, der Schwellenstatus, die »Liminalität« nicht zur
Normalität geworden? Und müssten wir hier statt von »Initianden«
nicht eher von »Passanten« sprechen, deren charakteristisches
Erlebensmuster das von Lost in Transition ist, wie der nachfolgende
Beitrag von Rose R. Merksy sinnigerweise tituliert ist. Eine
Situation fragmentierter, unklarer oder unentwickelter Prozesse
finden Mitarbeiter und Rolleninhaber in der postmodernen
Organisationslandschaft als Normalität vor. Wenn tragfähige
Organisationsstrukturen, verlässliche und vorhersagbare Bindungen
nicht vorhanden sind, Mangel an Kontinuität, die Notwendigkeit
flexibel zu sein und der Zustand der Kontingenz das Leben und
Arbeiten in heutigen Organisationen zu einer Abfolge ständiger
Übergänge macht: wie behilft sich der »Passant« in dieser
Situation? Welches sind seine Coping Strategien? Mersky wählt
meines Erachtens den richtigen Fokus, wenn sie angesichts dieser
chronisch gewordenen Notwendigkeit ständigen Neubeginnens nach den
Auswirkungen fragt, die diese permanenten Übergänge auf die
Beziehungen der Rolleninhaber zu ihrer organisatorischen Umwelt
haben. Welche Bedeutungen haben Objekte (und ich nehme an, hier
sind sowohl materielle, personale wie soziale Objekte gemeint)
überhaupt noch, wie werden sie benutzt und wie bezieht man sich auf
sie? Hier listet Mersky folgende Strategien auf: »Trost durch
persönliches Vergnügen; Reduzierung der Rollenobjekte auf ein
Minimum (Reisen, hot desking); defensiver Umgang mit Objekten
(Arbeiten über das Telefon, E-Mail)«. Diese drei Strategien, die
darauf abzielen, das Eingehen tieferer Beziehungen und Bindungen zu
umgehen (zu riskant weil zu unzuverlässig), werden ergänzt durch
zwei weitere Beobachtungen, die mir eher ins Register neuer
Bindungsstrategien postmoderner Korporationen passen: »Allgegenwart
von Unternehmensobjekten (Unternehmenslogos); Schwinden
persönlicher und privater Grenzen am Arbeitsplatz «. Die seelische
Investition in und Identifikation mit einem Unternehmenslogo kann
Zugehörigkeitsgefühle erzeugen, ohne den aufwendigen Weg über die
konkrete Begegnungserfahrung mit Menschen, sprich Kollegen im
Unternehmen nehmen zu müssen. Und schließlich scheint die
Schwächung der Objektbeziehungen zu einer Auflösung klarer und
konturierter Grenzen zwischen Unternehmensund Privatwelt
beizutragen. Je diffuser die Beziehungen zu Menschen und
Organisationen werden, desto diffuser und auch pervasiver wird die
Vereinnahmung durch eine omnipotente weil omnipräsente und
gleichzeitig konturlose Organisation.
Ein erhellendes und gleichzeitig ernüchterndes Schlaglicht wirft
Burkard Sievers in seinem Beitrag »›Es ist neu und muss gemacht
werden!‹ Einige sozioanalytische Überlegungen zu Verrat und
Zynismus bei organisatorischen Veränderungen« auf die Implikationen
von organisatorischen Veränderungen, wenn er postuliert, dass bei
»Einführung und Implementierung des Neuen bei organisatorischen
Veränderungen (dies) häufig mit der Erfahrung von Verrat
einhergeht, die (...) zu Zynismus führt«. Er verwehrt sich dagegen,
die Erfahrung von Verrat und den sich daraus einstellenden Zynismus
als Ausdruck individueller Psychopathologie zu deuten. Zynismus sei
in dieser Sichtweise eher sozial induziert und als ein Teil des
sozialen Repertoires des Umgangs mit dem Unbehagen in der
Organisation zu verstehen. Dieses Unbehagen ist Ausfluss eines
»Verrats von Vertrauen und Loyalität, die plötzliche Aufkündigung
des psychologischen und sozialen Vertrags (...), Missachtung
menschlicher Beziehungen und die permanente Furcht, auf der
Abschussliste zu stehen«. Zynismus sei so »eine Haltung, die
Verratserfahrungen bereits hinter sich hat und dabei ist, sich
gegen weitere Erfahrungen dieser Art zu immunisieren«.
Sievers gibt zwei Beispiele für erlebten Verrat durch Neuerungen.
Sein erstes Beispiel zeigt auf, wie eine Verwaltungsreform in
amerikanischen Gefängnissen, die den Status der Insassen hin zu
»Kunden« zu verbessern trachtete, die Autorität der Vollzugsbeamten
untergrub und wie diese sich in ihrer schwierigen Gradwanderung
zwischen Strafvollzug und Rehabilitation von der Verwaltung im
Stich gelassen, »verraten« fühlten. Ähnlich mündete beim
amerikanischen Militär die neue Philosophie, die Streitkräfte zu
einem Business zu machen und die Armee entsprechend zu organisieren
und zu managen, in ein Verratstrauma. Das neue Management der
Streitkräfte und die Verwandlung des Offizierscorps in
Unternehmensmanager und Technokraten führten dazu, dass die
Abhängigkeits- und Schutzbedürfnisse, besonders der untersten
Rangstufen der Soldaten in zynischer Weise vernachlässigt
wurden.
Im zweiten Teil Führung und Management beschreibt Rolf Haubl
verschiedene Konfigurationen riskanten Machtgebrauchs von
Führungskräften, wie »Hemmung, Macht zu gebrauchen, unangemessene
Nähe bzw. Distanz; paranoides Misstrauen, Unberechenbarkeit« etc.
und diskutiert Konsequenzen für kooperatives Handeln in
Organisationen.
Es wird herausgestellt, dass es bei der Übernahme einer
Leitungsposition nicht nur um die Übernahme einer neuen Rolle geht,
sondern die reflektierte Veränderung der eigenen Person auf der
Agenda der Leitungskraft steht.
Leitungskräfte müssen lernen, dass ein Zuwachs von Verantwortung
nicht gleichbedeutend ist mit einem Zuwachs an Einfluss und Macht.
Dies trifft in einem noch größeren Ausmaß für schnell sich
ändernde, flexible und agile »postmoderne« Unternehmen zu.
Führungskraft zu werden ist auch hier sehr wohl eine Auszeichnung
und wird von Mitarbeitern als wichtiger Karriereschritt erlebt.
Doch der Zuwachs an »Exposure«, Visibilität und Verantwortung
bedeutet auch ein Zuwachs an Kontingenz und Vulnerabilität: die
Status-Verlust-Warhscheinlichkeit bei der nächsten Reorganisation
ist sehr hoch. Den Organisationsberater und
Führungskräfteentwickler interessiert hier natürlich die Frage: wie
kann eine (junge) Führungskraft auf diese Unwägbarkeiten und auch
Identitätsrisiken vorbereitet bzw. unterstützend begleitet werden?
Thomas N. Gilmore betont in seinem Beitrag »Zur Psychodynamik von
Führungswechseln« die Wichtigkeit des bewussten Gestaltens von
Führungswechseln. Verständlicherweise vermeiden es Führungskräfte
oft, über den Zeitpunkt und die aktive Gestaltung ihres
Ausscheidens nachzudenken.
Typische Reaktionen sowohl auf der Seite der Führungskräfte wie der
Mitarbeiter sind manisches Verleugnen oder Rückzug. Um dem
entgegenzuwirken ist es wichtig, Übergangsräume für die notwendige
Trauer- und Verabschiedungsarbeit zu schaffen. Die Mitarbeiter
müssen ermuntert werden, aktiv über die eigene Möglichkeiten und
die sich eröffnenden Optionen im Zusammenhang mit dem
Führungswechsel zu reflektieren und die gestalterischen Chancen zu
nutzen. Mit der Unterscheidung zwischen restaurativer und
reflexiver Nostalgie bietet Gilmore einen konzeptuellen Rahmen, wie
die Diskontinuitäten im Lebensdiskurs aller Beteiligten analysiert
und kreativ aufgearbeitet werden können.
Im nächsten Teil Psychoanalytische Organisationsberatung werden
Konzepte und Beispiele psychoanalytisch orientierter Interventionen
im Unternehmenskontext dargeboten.
Heike Westenberger-Breuer stellt dar, zu welchen Fehleinschätzungen
psychoanalytische Interpretationen führen können, wenn der Kontext
nicht beachtet wird, und führt zwei sprechende Beispiele dafür an.
Weiter beschäftigt sie sich mit Kernbergs psychoanalytischem
Denkmodell für die Organisationsberatung.
James Krantz und Thomas Gilmore interessieren sich in ihrem Beitrag
dafür, implizite, nicht bewusste Dynamiken zu identifizieren und zu
erforschen, die den Beratungsprozess beeinflussen. Sie benennen den
Prozess der »Projektiven Identifizierung« als einen
Schlüsselprozess, der im Beratungsprozess sowohl zu Verzerrungen,
als auch zur Generierung zentraler Informationen über das
Klientensystem und dessen (unbewusster) Anliegen und Dynamiken
dienen kann.
Die projektive Identifizierung operiert als eine unbewusste
Übertragung von Informationen und dies in einem
Zwei-Phasen-Prozess. Eine Person verleugnet und externalisiert
Gefühle, Fantasien, Bilder und verlegt diese in einen anderen. Der
Empfänger dieser Zuschreibung übernimmt das Realitätsschema seines
Urhebers und denkt, fühlt und handelt im Sinne und nach dem
Drehbuch des Projizierenden.
Für den Organisationsberatungsprozess bildet die projektive
Identifizierung einen Kommunikationskanal für unbewusste
Informationen, für Daten also, die sich durch übliche Methoden der
Situationsanalyse nicht erheben lassen. Der Klient kann über die
projektive Identifizierung den Berater geradezu dazu bewegen, ihn
seine eigenen verdrängten Anteile erleben zu lassen.
Methodologisch scheinen mir diese Überlegungen und die ihnen
zugrunde liegende Annahme von Parallelprozessen und Resonanzen
zwischen sozialen Systemen, die sich trefflich für eine soziale
Diagnose nutzen lassen, in unmittelbarer Nachbarschaft mit der
Gegenübertragungsanalyse im psychoanalytischen Prozess zu stehen.
Um den Prozess der projektiven Identifizierung im Sinne einer
sozialen Diagnose für die Organisationsberatung nutzbar zu machen,
braucht es ein geschultes Ohr für die Resonanzen und einen
professionellen Umgang mit der Übertragung.
Projizierte Daten zu verstehen setzt voraus, ein Ausagieren des
Übertragungsmusters zu vermeiden und es stattdessen in Gedanken
umzuwandeln. So können angstbesetzte Aspekte des Klientensystems
als regressive Teamdynamik im Beratersystem wieder auftauchen. Auch
hier müssen sie verstanden, dürfen nicht agiert werden. Berater
können unterschiedliche Anfälligkeiten haben, in unbewusste Muster
des Klienten verstrickt zu werden und diese zu kennen, ist
Voraussetzung dafür, um sie als Informationsquelle für unbewusste
Dimensionen des Klientensystems kreativ zu nutzen.
In einer psychoanalytisch informierten Beratungsarbeit rückt die
Berater-Klient Beziehung ins Zentrum der Diagnose und der
Intervention. Die Analyse der Gegenübertragung und der bewusste und
kreative Einsatz der über projektive Identifizierung generierten
Daten scheint mir ein originärer Beitrag der Psychoanalyse zur
Organisationsdiagnose und -beratung zu sein. Sie müssten als
Schlüsselkompetenz, als zentrale Fähigkeit und Fertigkeit für den
psychoanalytisch orientierten Organisationsberater firmieren.
Wie Gegenübertragungsgefühle, Resonanzen, »inner thoughts«,
Spiegelungen von Spannungen und Konflikten in der Dynamik des
Beraterteams als Datenquellen herangezogen werden können, um
Zusammenhangshypothesen zu formulieren und Interventionen zu
entwickeln, wird im Beitrag von Veronika Grüneisen und Renate
Jorkowski anhand eines Beratungsbeispiels ausführlich
dargestellt.
Die Konfliktverschiebungen im Klientensystem, erzeugt von einer
propagierten Harmoniekultur mit ihrem Zwang zur Einmütigkeit,
mangelnder Autorisierung und unscharfer Rollendifferenzierung,
spiegelte sich im Erleben der Beraterinnen wieder und gaben ein
klares diagnostisches Bild der Problematiken, die von der
Konfliktscheu und der im System kultivierten Unklarheit generiert
und fortgeschrieben wurde.
Im letzten Teil des Buches, überschrieben mit Psychoanalyse und
Ökonomie, fordert speziell der Beitrag von Burkard Sievers und Rose
Mersky »Die Ökonomie der Vergeltung « auch dem geneigten Leser eine
hohe Bereitschaft ab, sich auf die weit gespannten und teilweise
doch sehr spekulativ anmutenden Bezüge und Herleitungen gedanklich
einzulassen. Man muss kein Psychoanalytiker sein, um der Behauptung
zuzustimmen, dass Organisationen im allgemeinen und
Wirtschaftsunternehmen im besonderen nicht nur rationale Gebilde
darstellen, sondern von vielfältigen unbewussten und irrationalen
Motiven durchzogen sind. Dass jedoch die gegenwärtige
kapitalistische Wirtschaft in erschreckendem Maße von Rache und
rachsüchtigen Dynamiken gekennzeichnet sei, »Rolleninhaber (...)
Gefahr laufen, bestimmte Arbeitsbeziehungen bzw. die Organisation
als Ganze für ihr persönliches »Geschäft der Rache« zu missbrauchen
und »dass die gegenwärtige Ökonomie (...), die ihr zugrunde
liegende ›soziale Kodierung‹ in einem hohen Maße durch Vergeltung
geprägt ist (und) die wirtschaftlichen Akteure auf den Märkten
(...) in eine Kollusion der Rache verstrickt (sind)«, hört sich
fast wie Verschwörungstheorie an und geht mir in ihrer
apodiktischen Setzung zu weit. Wenn Sievers und Mersky feststellen:
»Wir haben zunehmend den Eindruck gewonnen, dass viele der
Strategien für den Wettbewerb bzw. der Konkurrenz auf den
(Welt-)Märkten in der Revitalisierung von Traumata aus der
Gründungsphase eines Unternehmens bzw. einer Nation verwurzelt
sind«, dann ist mir das zu spekulativ und die Gleichsetzung bzw.
Parallelisierung von Wirtschaftsunternehmen und Nationen zu
problematisch. Und wenn den »Ahabs« auf Topmanagementetagen – wie
Piech und Iacocca – unterstellt wird, sie seien
»Vorstandsvorstände, die im vermeintlichen Auftrag ihres
Unternehmens von rachsüchtigen Verlangen getrieben sind«, dann hört
sich das schon fast etwas rachsüchtig gegen die »Grossen« in der
globalisierten Wirtschaft an. Warum müssen hier Rache und
Vergeltung als Erklärungskonzepte herhalten? Reicht ein
psychoanalytisch inspiriertes und fundiertes Profil von
Führungspersönlichkeiten mit ihren speziellen Motivlagen und
Verhaltenstendenzen nicht aus? Es ist sehr wahrscheinlich, dass
sich auf den oberen Führungsetagen überproportional viele
narzisstisch getriebene Persönlichkeiten tummeln, offen für und
hungrig nach Gratifikationen, die sie aus Überlegenheit und Siegen
und den sie begleitenden Gefühlen von Grandiosität und Triumph
ziehen. Doch auch unabhängig davon, ob wir mit dem
Erklärungskonzept der Rache oder »nur« mit der Hypothese spezieller
narzisstischer Antriebe arbeiten, bleibt doch die Frage
unbeantwortet, wie es narzisstische, größenwahnsinnige CEOs
schaffen, ihre Belegschaften für ihren ganz persönlichen Wahnsinn
zu mobilisieren. Und selbst wenn wir bei der Annahme von Rache als
treibendem Motiv bleiben: Wie übersetzt sich individuelle Rache in
ein soziales Projekt? Wie schafft es ein Iacocca, seine persönliche
Kränkung zu einem Chrysler-Anliegen zu machen? Diese
Übersetzungsund Kontaminationsprozesse von individuell zu sozial zu
organisatorisch zu ökonomisch zu politisch und zurück sind nicht
klar und wissenschaftstheoretisch wohl auch äußerst diffizil zu
konzeptualisieren. Und gleichzeitig wäre es von größtem Interesse
zu verstehen, wie eine psychische Ökonomie des Narzissmus oder der
Rache zu einer sozialen und organisatorischen Ökonomie mutiert.
Dieser Beitrag reizt nicht nur zum Widerspruch, er lädt auch ein,
alternative Hypothesen zu generieren. Wenn Sievers und Merksy
bedauernd feststellen, wir seien »von einer globalen Ökonomie
umgeben (...), die nichts anderes ist als ein endloses Spiel mit
Geld« und die »Akkumulation von Geld keine Valenz mehr für Liebe,
Hass und die anderen Gefühle« bietet: schreibt dies dem globalen
Kapitalismus nicht auch eine befriedende Funktion zu? Ist dieser
Welt nicht auch die Grundlage für primitive Rache- und
Vergeltungsfeldzüge entzogen? Und wenn dem so wäre: hätte diese
Nebenwirkung globalisierten Wirtschaftens nicht (auch) einen
zivilisatorische Bedeutung in dem Sinn, dass sie all die primitiven
Not- und Motivlagen für Rache und Vergeltung »aufheben«? Klaus
Gourge schließt den Sammelband ab mit »Worüber man nicht schwiegen
kann, darüber soll man reden« und bricht eine Lanze für eine
hermeneutisch-psychoanalytisch inspirierte Ökonomie, die er dem
reduktionistischen Ansatz der »Rational-Choice-Ökonomie«
gegenüberstellt.
Es liest sich wie ein Programm, wenn er schreibt, dass eine
»psychoanalytische Ökonomie als normativ-kritische Theorie und
wirtschaftsethische Grundlagenreflexion (sich) gegenüber der Frage
nach dem guten Leben und der Rationalität von de facto Präferenzen
die philosophische Position des reflektierten Subjektivismus zu
eigen machen (solle).« Konkret heißt das, dass eine
psychoanalytisch orientierte Ökonomie an den subjektiven Motiven
und Wünschen der Akteure ansetzt, diese ernst nimmt und sie
gleichzeitig einer selbstkritischen Analyse zugänglich macht.
Ziel und Programm einer Psychoanalytischen Ökonomie wären die
Stärkung der Autonomie des Subjekts durch Selbstreflexion – auch im
wirtschaftlichen Handeln.
Wenn die vorherrschende Rational-Choice-Ökonomie die Wünsche und
Präferenzen der Wirtschaftsakteure als rational und gegeben
ansieht, mahnt die Psychoanalytische Ökonomie an, dass diese
Wünsche und Präferenzen nicht eindimensional und konfliktfrei sind.
Handlungen und manifeste Erklärungen bilden den Ausgangspunkt für
eine tiefere Analyse der Bedürfnisse. Dies impliziert dann auch
eine kritische Durchleuchtung von Alltagsstrategien mit ihren oft
kontraproduktiven Kompromiss-, Kompensations- und
Selbsttäuschungsmanövern.
Gourge flankiert seine Argumente für eine psychoanalytische
Ökonomie mit meines Erachtens wichtigen zeitdiagnostischen
Überlegungen zum »postmodernen Menschen «. »Die übliche Definition
ökonomischen Handelns als rationale Wahl (...) wird somit in dem
Maße unzeitgemäß, in dem die sogenannten »postmodernen«,
»erlebnisrationalen « und »narzisstischen« Handlungsorientierungen
vom Randphänomen zum Normalfall werden«. Wenn wir es zunehmend mit
einem neuen Sozialisationstyp mit »postmodernen«,
»erlebnisrationalen« und »narzisstischen« Handlungsorientierungen
zu tun bekommen, welche Auswirkungen hat das auf das Zusammenspiel
zwischen Organisationen und Individuen? Wie investieren sich diese
Individuen psychisch in Organisationen und wie sind Institutionen
als Werte- und Verhaltenscodices in deren Psyche verankert? Die von
Gourge angebotenen Konzepte der Internalisierung und
Externalisierung laden ein, entsprechende Hypothesen aufzustellen.
Der Prozess der Internalisierung, über den sich soziale und
kulturelle Normen, Gebote und Verbote in Form eines Über-Ichs und
Ich-Ideals (als internalisierte Institution) im Subjekt
niederschlagen, diesem Orientierung, Zugehörigkeit, Fähigkeit zu
Bindung und Loyalität vermitteln, wird sich in einer postmodernen
Dynamik umkehren. Dezentrierte, multiple Selbste, die ihre
permanente Identitäts- und Orientierungskrise kreativ zum
Life-Style zu wenden wissen, die erlebnisorientiert leben, arbeiten
und konsumieren und für ihr narzisstisches, instabiles wie
defizitäres Selbst Kompensation in Arbeit und Konsum suchen, werden
versuchen, Organisationen als Bühnen zu nutzen, um ihre Konflikte
und Ängste zu veräußerlichen und auszuagieren. Für diesen neuen
Sozialisationstyp werden Organisationskulturen interessant, die
eine Bühne für solche Inszenierungen und Dramatisierungen bieten.
Einen Vorgeschmack lieferte bereits die Dot.Com Welle Ende der
1990er Jahre, wo windige Ideen zu milliardenschweren Businesses
aufgebläht werden konnten und auch wieder platzen durften. Arbeit
in diesen Firmen wurde als Fun-Event inszeniert, als Party rund um
die Uhr.
Auch wenn aus vielen dieser Blasen die Luft raus ist und die
meisten dieser Dot.Com Wanderbühnen wieder abgebaut sind, bleibt
doch eine nachhaltige Ahnung eines heraufziehenden neuen Paradigmas
von Arbeit, Organisation und Wirtschaften.
Nochmals zurück zu Gourge und seinem aus einer Psychoanalytischen
Ökonomie abgeleiteten Anspruch auf Reflexivität, auch und gerade im
ökonomischen Handeln.
Wenn das zeitgenössische und mehr noch das zukünftige
wirtschaftende Subjekt sich im oben beschriebenen Sinne zunehmend
»postmodernisiert«, wie kann diese postmoderne psychische und
mentale Ausstattung den Ansprüchen eines reflektierten
Subjektivismus gerecht werden? Scheiden sich hier die Formen und
Möglichkeiten des »In-der-Welt-Seins«, des »In-Organisationen bzw.
Institutionen- Seins« in einen modernen und einen postmodernen
Modus?
Die Internalisierung als Interaktionsmodus zwischen Individuum und
Organisation erscheint mir »modern« in dem Sinne, als sie in ihrer
gelungenen Variante ein symbolisch verfasstes Subjekt mit
funktionierenden Ich-Instanzen entstehen lässt, das aus der
Position eines autonomen Akteurs mit kritischer Distanz zur Umwelt
und dessen Ansprüchen und Verführungen zu handeln in der Lage
ist.
Die moderne, nach Max Weber »bürokratische« Organisation entstand,
steht und fällt mit diesem Sozialisationstyp.
Man wird zukünftig wohl eine Umgewichtung in Richtung
Externalisierung auf Rechnung haben müssen, da ein postmodernes
Subjekt mit schwachen Ich-Instanzen, aber narzisstisch getriebener
erlebnishungriger Agilität sich eher über Externalisierung seiner
inneren Dramen äußert.
Es wird versuchen, sich in den zunehmend instabilen, sich rasant
und erratisch verändernden postmodernen Organisationslandschaften
auf seine Weise provisorisch einzurichten.
Organisationen mit ihrer je eigenen Psychodynamik bleiben ein
spannendes, wenn auch weites Feld. Eine psychoanalytisch
orientierte Sicht auf Organisationen und deren Dynamik, wie der
vorliegende Sammelband sie bietet, leistet meines Erachtens einen
wichtigen und originellen Beitrag zum Verständnis der
gegenwärtigen, aber auch der sich abzeichnenden zukünftigen
Organisationen.
Sie zeigt auf, was Organisationen mit und im psychischen Innenleben
von Individuen machen. Aber auch, was Individuen mit und in
Organisationen anstellen. Die Psychoanalyse ist keine »neutrale«
Wissenschaft. Sie verfügt über eine anthropologische Fundierung,
die ihr einen Begriff davon gibt, was menschengemäß ist. Sie kann
daraus Anforderungen für Organisationen ableiten und sollte nicht
davor zurückschrecken, eine humane, menschengerechte Ausgestaltung
eben derselben einzufordern. Sie sollte sich streitbar zeigen, wenn
es darum geht zu bestimmen, wozu Organisationen gemacht sind und
auf welche Art und Weise diese gebaut und geführt werden sollten.
Die Definitionsmacht, wozu Organisationen da sind, was sie zu
leisten haben und welche Rechte und Pflichten sich für die
unterschiedlichen Rollenträger daraus ableiten, darf nicht den High
Performance Propheten und Effizienzaposteln überlassen bleiben. Die
Finanzkrise hat die Notwenigkeit solch einer Revision und
Neubestimmung ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Wenn das
Pendel zu stark in Richtung Deregulierung und Marktliberalismus
ausschlägt, hat das Auswirkungen auch auf die Psychodynamik von
Organisationen. Der besprochene Sammelband liefert für die Analyse
und das Verständnis hierfür eine Fülle von interessanten Konzepten
und Interventionsbeispielen. Jeder der professionell mit
Organisationen zu tun hat, sei es als Führungskraft, Coach oder
Ausbilder und speziell Personal- und Organisationsentwickler in
Unternehmen sowie externe Berater, sollte sich von diesen
originellen und teilweise provokativen Beiträgen inspirieren
lassen.