Rezension zu Ein Leben mit der Psychoanalyse

PSYCHE 56 Jg. Heft 5.2002

Rezension von Dr. Roland Kaufhold

Federns umfangreiche historisierende sozialpsychologische Studie erschien 1990 in London bei Karnac Books und ist nun auch auf deutsch zugänglich. Sie ermöglicht einen faszinierenden, biographisch inspirierten Blick auf das psychoanalytische Gesamtwerk Federns aus den Jahren 1946 bis heute. Die 18 Kapitel umfassende Aufsatzsammlung ist in fünf Oberkapitel unterteilt: Sozialpsychologie, Psychologie von Terror und Gewalt, Psychoanalytische Psychotherapie sowie Geschichte der Psychoanalyse. In dem Kapitel »Psychoanalyse in Buchenwald. Gespräche zwischen Bruno Bettelheim, Dr. Brief und Ernst Federn« erinnert Federn an den »sozialen Ort« (Bernfeld), an dem sein psychoanalytisches Interesse ungewollt geschult wurde: während seiner siebenjährigen Inhaftierung in Buchenwald, wo er als Überlebensversuch gemeinsam mit Bettelheim sowie dem von Reich analysierten Otto Brief, welcher später in Auschwitz ermordet wurde, psychoanalytisch orientierte Gespräche führte. Federn hatte Bettelheim in Buchenwald kennengelernt, woraus eine lebenslange, durchaus nicht unproblematische Freundschaft entstand. Gemeinsam beobachteten sie bei zahlreichen Mithäftlingen den von Anna Freud zuvor in einem anderen Kontext – bei Kindern – beschriebenen regressiven Prozeß der »Identifizierung mit dem Angreifer«. Federn betont: »Meine psychoanalytischen Kenntnisse und die Fähigkeit, sie leicht verständlich auch einem Ungeschulten zu vermitteln, machten mich im ganzen Lager bekannt. Unter den sogenannten Kriminellen half es mir außerordentlich, da sie offenbar erfahren hatten, daß Psychoanalytiker Kriminelle für krank hielten« (S. 28f.). In den folgenden Kapiteln zeigt Federn auf, wie er die Psychoanalyse nach seiner Befreiung im Jahre 1945 sowohl in den USA als auch in Österreich auf das »soziale Feld« anzuwenden vermochte. »Über Sozialpsychologie« enthält einen bereits 1948 verfaßten Beitrag über Psychohygiene sowie Studien über die Bedeutung des Helfens, des Drogenmißbrauchs sowie des Suchtverhaltens bei Jugendlichen wieder. Diese basieren auf seiner familien- und sozialtherapeutischen Tätigkeit in verschiedenen Einrichtungen in den USA. Der dritte Teil bezieht sich unmittelbar auf Federns Erfahrungen als KZ-Häftling, der seine Wehrlosigkeit konstruktiv umzuwandeln vermochte. Enthalten sind darin Beiträge über »Das Ertragen der Folter« sowie einen differenziert argumentierenden Essay über den »therapeutischen Umgang mit Gewalt«. Federn bemerkt: »Ich habe so lange und so intensiv unter Gewalt gelebt, daß ich ohne ungebührlichen Narzißmus behaupten kann, daß ich etwas von ihr verstehe. (...) Ich weiß, wie es ist, Opfer von Gewalt zu sein, weiß aber auch, wie man sich fühlt, wenn man selbst gewalttätig sein will. (...) Auch nach so vielen Jahren sind diese Bilder in mir noch so lebendig. Und sie haben mich gelehrt, daß man bei genauer Introspektion Versuchungen zu häßlichem, gewalttätigem Verhalten auch bei sich selbst finden kann. Es ist daher wichtig, sich selbst zu kennen. Und um sich selbst zu kennen, müssen Sie lernen, Gewalttätigkeit zu verstehen« (S. 86). Aus dem vierten Kapitel »Über die Psychoanalytische Psychotherapie« möchte ich den Beitrag über »die therapeutische Persönlichkeit« hervorheben, erläutert am Beispiel von Paul Federn und August Aichhorn«, welche für Federn zeitlebens therapeutische Leitfiguren geblieben sind. Insbesondere das Wirken Aichhorns, auf das in der Literatur zwar immer wieder verwiesen wird, zu dem jedoch kaum Sekundärliteratur existiert, wird nachvollziehbar. Federn betont die Notwendigkeit, für einen bestimmten Personenkreis die Behandlungsmethode zu modifizieren. In dem abschließenden fünften Teil zur Geschichte der Psychoanalyse versammelt Federn acht streitbare historisierende Beiträge zur »politischen Dimension« der Psychoanalyse. So setzt er sich in dem 1967 in den USA erschienenem Essay »Wie freudianisch sind die Freudianer« unter Bezugnahme auf einen Freud – Brief vom 27. März 1926 leidenschaftlich für die Laienanalyse ein, womit er sich in den USA viel Feindschaft in analytischen Kreisen einhandelte. Die knapp 50seitige biographische Werkstudie »Eine Lebenslange Zusammenarbeit« ist eine kämpferische Streitschrift für Paul Federns innovative Bedeutung innerhalb der Geschichte der Psychoanalyse. Der abschließende autobiographische Beitrag »Von König Laios und Ödipus: Erinnerungen an eine Kindheit im Banne Sigmund Freuds«, in dem Federn die ihn prägenden familiären Erfahrungen in Wien in sehr persönlicher Weise wiedergibt, knüpft unmittelbar an seine vorhergehende Studie über Paul Federn an. Federn deutet sein frühes sozialistisches Engagement familiendynamisch: »Meine sozialistische Überzeugung war jedoch keine Rebellion gegen meine Eltern, wie das so oft bei Kindern von wohlhabenden Leuten der Fall ist. Denn beide, mein Vater wie meine Mutter, waren überzeugte Sozialisten. (...) Auch mein Vater war von Natur aus ein Rebell. (...) Meine politischen Ideen waren also keine Rebellion, sondern Gehorsam, was, wie ich meine, einer der Gründe dafür war, daß ich selbst die größten Lebensgefahren überlebte und sich selbst heute, im Alter, meine Ideen eigentlich nicht grundlegend änderten.« (S. 323) Federns »Ein Leben mit der Psychoanalyse« ist gut und zugleich streitbar geschrieben. Das Buch verschafft einen guten Einblick in die Geschichte und gesellschaftliche Verantwortung der Psychoanalyse und der psychoanalytischen Pädagogik, für die Ernst Federn als Zeitzeuge mit seiner höchst außergewöhnlichen Biographie steht. Ich stimme Riccardo Steiner zu, daß Federns Schriften uns helfen, »den mutigen und sehr persönlichen Weg zu verstehen, auf dem er während dieser letzten fünfzig Jahre an der Entwicklung der Psychoanalyse und ihrer Anwendung auf weite Teile sozialer und historischer Probleme teilgenommen hat. (...) Federn ist ein Mann von Prinzipien. Schon immer hat er Hypokrisie, kurzsichtige Taktiken und die Akzeptanz oberflächlicher Kompromisse, die die Werte und Überzeugungen, die er zeitlebens vertrat, betrafen, in einem Maße bekämpft, das selbst für einen Psychoanalytiker seiner Generation ganz außergewöhnlich ist.« (S. 15)


aus: Psyche 56. Jg., H. 5/2002, S. 493-495

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