Rezension zu Liebe über Alles - Alles über Liebe

Elbe-Jeetzel-Zeitung

Rezension von Thomas Janssen

»Wesentliche Subjektivität«

Thomas Krauß aus Schnackenburg hat eine umfassende Studie über die Liebe vorgelegt



Schnackenburg. »Liebe maßt sich an, das Glück zu fassen.« Genau das ist es. Doch was ist das eigentlich, das Phänomen, dass der poetische Satz beschreibt? Mehr noch, was ist es im »Zustand seines postmodernen Scheiterns«? Dieser Frage geht Thomas Ferdinand Krauß in seinem zur Buchmesse in Frankfurt erschienenen Buch »Liebe über Alles. Alles über Liebe« nach. Thomas Ferdinand Krauß lebt seit rund 20 Jahren in Schnackenburg. Er promovierte 1983, arbeitet heute als freier Sozialpsychologe.

Es gehe um »wirkliche, empirische Liebe hier und heute« und nicht um »die am ewigen Ideenhimmel«, beschreibt Krauß sein Thema. Sein zentrales Theorem nennt er auf den ersten der 582 Seiten, später im Text wird es wiederholend präzisiert: »Liebe ist Interaktion. Liebe ist Lieben. Aus diesem banalen Axiom ergeben sich alle weiteren Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, über die Liebe zu reden.«

Davon ausgehend spürt Thomas Ferdinand Krauß in fast 100 Kapiteln der Liebe nach. Keiner oder doch kaum einer der Momente, die in ihrem Kontext eine Rolle spielen oder spielen könnten, bleibt dabei unbedacht: Biologie und Psyche, vererbte Gene und erlernte Handlungsmuster, Individuum und Kollektiv, Träume und Realitäten, Rillenbilder und Freiheiten.

Thomas Ferdinand Krauß weiß um die Grenzen seiner großen Synopsis über die Liebe, die Musik heranziehend benennt er sie: Musik bedürfe der Tinte und des Papiers, um Notensysteme, der Schallwellen und der Spezifika der Instrumente und Instrumente, die sie erzeugen – aber in »ihrem materialen Substrat geht die Musik nicht auf«. Ihr Wesentliches sei die »Erfahrung mit ihr, während sie aufgeführt wird.« Dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile – das gilt auch und erst recht für die Liebe.

Aber wohl nicht zufällig findet Thomas Ferdinand Krauß beim Thema Erotik viele Hinweise darauf, was das Konzert der Liebe ausmacht. Auch wenn Eros in der Liebe untrennbar mit der Philia (Freundschaft) und der Agape (Fürsorge) zu einem »Dreiklang« verbunden sei beschreibt der Autor Erotik als ein wesentliches Feld liebender Interaktion. Wobei es »gerade die von Freud so bezeichnete triebgehemmte Seite der Sexualität« ist, die, als »subkutane Kommunikation«, ein »allumfassendes Eros« entstehen lässt und »menschliche Begegnung als Liebe möglich macht«. Auf das rauschhafte Verschmelzen zu einer höheren Einheit zielend, ist die »körperliche Vereinigung« Sinnbild »seelischen Begehrens« der Liebenden. In ihr »öffnen (wir) uns dem anderen unseres Selbst, das heißt dem, was wir zuvor nicht waren«. Interaktion.

Dieser Begriff von Erotik ist geprägt von der Idee einer »prinzipiellen Entbundenheit des Menschen vom Organischen«. Diese grundsätzliche Vorstellung teilt Krauß mit der Philosophie Theodor W. Adornos. Auch dass Krauß von allen Künsten die Musik heranzieht, um ein Bild vom Wesen der Liebe zu zeichnen, verweist auf die Nähe zu dessen Denken. Mit Adorno wendet Krauß sich gegen die »sozialdemokratische Atmosphäre« eines »healthy Sex-Life« (wie es Adorno prophetisch 1942 nannte), in dem »Lust zum armseligen fun« verfällt, die »noch den Ausbruch aus der Gesellschaft ... in dieser ansiedelt«.

Der aus der repressiven Entsublimierung (Marcuse) entstandenen nachbürgerlichen »konsumistisch befreiten Momentpersönlichkeit« stellt Thomas Ferdinand Krauß das Ideal der »romantischen Liebe zweier« entgegen, »an dem wir uns im westlichen Kulturkreis orientieren«.

Dieses ist auch Gegenbild zu repressiven Formen der Organisation geschlechtlicher Beziehungen in vor- und nichtbürgerlichen Gesellschaften, etwa der islamischen. Dass dem Liebesideal der westlichen Zivilisation ein utopisches Potenzial innewohnt, darauf beharrt Thomas Ferdinand Krauß trotz allen Wissens um die noch offene Einlösung aller derer Versprechen.

Es ist wohl genau das Potenzial einer »kulturell befreiten Liebe«, die sich im »süßen Manna der Wechselseitigkeit« realisiert, das mehr als jede Betrachtung ihrer Einzelaspekte in der Lage ist, einen Hinweis zu geben auf das Wesen des Geheimnisses dieser besonderen Form »kommunikativer Interaktion«: Dass nämlich Liebe das »radikalisiert ... was sie zur Voraussetzung hat: ihre wesentliche Subjektivität.«


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