Rezension zu Fed with Tears - Poisoned with Milk
The Scandinavian Psychoanalytic Review
Rezension von Tomas Böhm
Dieses Buch beschreibt die Vorbereitung und Arbeit von drei
aufeinanderfolgenden Gruppenbeziehungskonferenzen zwischen 1994 und
2000, deren Thema die Deutsch-Israelischen Beziehungen in der
Post-Holocaust-Ära waren. Dies ist Pionierarbeit: schwierig,
schmerzhaft und mutig von Seiten der Organisatoren, Autoren und
Teilnehmer, welche sich aus deutschen und israelischen
Psychoanalytikern zusammensetzten. Nach den drei in diesem Buch
beschriebenen Konferenzen wurde die Arbeit weitergeführt, indem
andere vom Holocaust betroffene Gruppierungen, wie Palästinenser
und Diaspora-Juden miteinbezogen wurden. Daraus ging eine neue
Organisation hervor, Partners in Confronting Collective Atrocities
(PCCA), deren Ziel es ist, aus dem Holocaust für den Umgang mit
anderen Gräueltaten zu lernen.
Die Autoren betonen die Bedeutung der realen Anwesenheit des
anderen bei der Entwicklung einer wünschenswerten Veränderung der
eigenen Identität, weshalb sie das Format der
Gruppenbeziehungskonferenz wählten, das für dieses spezielle Ziel
modifiziert wurde. In den ersten Nachkriegs-Jahrzehnten gab es in
der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV) eine Unfähigkeit
als Gruppe zu Trauern, sogar wenn es sich um individuelle Schuld
handelte: »Individuelles Bewusstsein war dem kollektiven um eine
Dekade voraus«. Im zweiten Stadium, von den frühen 1980ern an,
erkannten deutsche Analytiker ihre persönliche Verantwortung mit
der Hilfe von Hillel Klein und Rafael Moses an. Dies fand in
bewegenden Gruppenerlebnissen, u.a. in Wiesbaden, 1984, statt. Es
brachte auch folgende schmerzhafte Erkenntnis mit sich. In den
Worten von R. Vogt (der im Buch zitiert wird): »Die Erben Hitlers
treten das Erbe von Freud an. Die eine Erbschaft verträgt sich mit
der anderen wie Feuer und Wasser.«
Die deutschen Analytiker konnten ihre Erbschaft aus dem Holocaust
in diesen Konferenzen nur in der Anwesenheit von jüdischen Kollegen
ergründen. Die Erfahrung der Konferenz, gruppiert unter
verschiedenen thematischen Überschriften, ist besonders schön in
einer von 28 Teilnehmern und Mitarbeitern verfassten Kollage
beschrieben. Fragen der Identität dominieren dabei über emotionale
Inhalte; dies trifft auch auf das jeweilige Bild vom anderen, das
»Nicht-Ich«, zu. Eine andere schmerzhafte und eindrückliche
Erkenntnis war die der Deutschen, die in Familien als Opfer von
Eltern aufwuchsen, welche sich ihrer Bedeutung ihren Kindern
gegenüber emotional nicht bewusst waren. »Ich bin mit einer
gewöhnlichen Nazi-Mutter groß geworden« ist ein Zitat, das jeden
Leser dieses Textes bestürzt. Diese deutschen Teilnehmer konnten an
der Oberfläche durchaus liebenswürdig sein, allerdings war es
schwierig wirklich mit ihnen in Beziehung zu treten. Darüber hinaus
war da das Problem der Scham, mit dem die Deutschen zu kämpfen
hatten. Die Autoren betonen, dass dies auf ein mögliches Defizit in
den frühen Objektbeziehungen vieler deutscher Kinder hinweisen
könnte.
Unter den jüdischen Teilnehmern waren vor allem mörderische Wut und
der Wunsch nach Rache ersichtlich, genauso wie Neid und ein nicht
annehmbares Bedürfnis sich mit den Deutschen zu identifizieren.
Interessanterweise heben die Autoren hervor, dass die allgemeinen
Ziele wie Verständnis, Versöhnung und Vergebung diesen Konferenzen
fern liegen. Stattdessen ist Erkundung als vorwiegendes Ziel
definiert. Dies scheint jedoch auch die Arbeit mit Gruppenidentität
miteinzuschließen. Die Veränderung von Identität in der Gegenwart
des anderen hat die Bürde des Verrats an der Gruppenzugehörigkeit
zum speziellen Gegenspieler. Dass Menschen bereit sind an diesem
Prozess teilzunehmen ist ein Anzeichen dafür, dass diese Arbeit
wertvoll für sie ist, auch wenn wir nicht wissen wonach diese
Personen unterbewusst suchen. Die Autoren zeigen auf, dass der Ort
und die Bedeutung des Holocausts eine klaffende Wunde darstellen,
die sich weigert zu heilen. Daher müssen wir weiterhin damit
umgehen, was wiederum den unbewussten Grund für die Teilnahme
darstellen könnte.
Die Konferenzen zielen auch nicht auf einen Dialog ab, wohl aber
darauf, dass jede Gruppe in der Anwesenheit der anderen arbeitet.
Dies scheint mit der Group-Relations-Methode, wie sie in der
Leicesterkonferenz entwickelt wurde (De Board, 1990), in Einklang
zu stehen. Die Autoren unterstreichen, dass Dialog die
vorhergehende Anerkennung der Andersartigkeit des anderen
impliziert, und dass er sich nur als Nebenprodukt eines noch nicht
ganz dialogischen Prozesses herausbilden kann. Ich bin an diesem
Punkt anderer Meinung, da ich Dialog als Möglichkeit betrachte,
einen Prozess zu fördern, bei dem der andere als ein Individuum mit
einer ihm eigenen Menschlichkeit erlebt wird. Wenn du zu deinen
Feinden sprichst, wirst du sie weniger dämonisieren. Dies mag
jedoch nur als meine eigene, unwesentliche gedankliche Kontroverse
als Leser dieses Buches zu betrachten sein.
Obwohl es, wie die Autoren selbst schreiben, schwierig ist einen
Erfahrungsprozess dieser Art in einer Veröffentlichung zu
beschreiben, waren sie bei der Bewältigung dieser Herausforderung
erfolgreich. Bemerkenswert ist auch dass wir von ihnen erfahren,
dass dieser Arbeit in Deutschland sehr viel, in Israel hingegen nur
wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde. Vielleicht illustriert dieser
Umstand die Dialektik zwischen deutschen Schuldgefühlen und
israelischer Wut innerhalb der Nachkriegsgenerationen.
Die neue Organisation, PCCA, hat bereits eine weitere, breiter
angelegte Konferenz organisiert: »Repeating, Reflecting, Moving on:
Germans, Jews, Israelis, Palestinians and Others Today« im
September 2008. Dies scheint eine wichtige Entwicklung
darzustellen, auch wenn die Organisatoren möglicherweise eine etwas
optimistische Auffassung davon haben, wie viele Konferenzen dieser
Art – ausgerichtet auf Individuen, die motiviert sind sich mit
psychologischen Belangen zu befassen – dazu beitragen können,
politische Konflikte zu überwinden. Sie betonen auch, dass der
»radioaktive Fallout« des Holocausts noch immer Orte erreicht,
welche weit von dem ursprünglichen Ort der Verwüstung entfernt
liegen, und dass der Holocaust weiterhin das energetische Zentrum
dieser Arbeit bildet.
Dieses Buch ist eine ungewöhnliche Präsentation eines mutigen und
einzigartigen Projektes, in dem Psychoanalyse auf eine explorative
Art und Weise in der Welt außerhalb von Beratungsräumen angewandt
wird. Ich empfehle es jedem Leser, der etwas über die
transgenerationale Weitergabe von Trauma erfahren möchte, sowie
jedem anderen, der sich für Fragen der Identität interessiert.