Rezension zu Film und Psychoanalyse
RISS. Zeitschrift für Psychoanalyse
Rezension von Prof. Dr. Karl-Josef Pazzini
Filme als Oberflächenphänomene einer kulturellen Tiefenschicht:
Parfen Laszig schreibt: »In Strange Days werden wir Zeuge
verschiedenster Formen von ›Koppelungs-Schleifen‹. Wir werden
Zu-Schauer einer Gesellschaft im Umbruch, eine urbanen Kultur der
Entgrenzung, die durch Reiz- und Affektüberflutung, mangelnde
Impulssteue-rung, sowie Realitäts- und Identitätsdiffusion
gezeichnet ist und mit Voyeurismus, Exhibitionismus, Fetischismus,
Sucht, Paranoia und verschiedensten Formen von Gewalt in
zwanghaf-ter Kontrolle reagiert.«(S. 43). Film als
Koppelungs-Schleife nicht als kompakter Gegenstand, der entweder
dem Inhalt nach ohne Rücksicht auf die Form, als performativer
Ereignis bildet, das ist die interessante Einsicht, die im Buch
sich in vielen Beiträgen durchsetzt. Dieser Idee bin ich bei der
Rezension gefolgt.
Die beiden Herausgeber fassen Filme als Oberflächenphänomene einer
kulturellen Tiefenschicht auf und kommen nicht unverändert aus den
erwähnten Rückkoppelungsschleifen heraus – wohl auch zu lesen als
eine Variation über ein zu veränderndes Übertragungskonzept.
In Buch sind elf Autoren versammelt, die versuchen, mit
psychoanalytischem Wissen und Können, aus den Schleifen durch
Übersetzung ins Schreiben herauszutreten, aber so, dass die meisten
nicht die Illusion erzeugen, dass diese Übertragung wieder zu
beseitigen wäre, sondern sie geben sie in den gelungenen Fällen in
ein anderes Medium verwandelt an die Leser weiter, so dass diese
mit neuer Neugier an die besprochenen Filme bzw. an Filme überhaupt
herantreten können – wohl nicht nur an Filme. In den meisten
Beiträgen gelingt es, etwas vom dauernden Einfall der Bilder so vor
sich zu bringen, dass man damit arbeiten kann. Es werden keine
Einbahnstraßen von der Psychoanalyse zum Film hin beschritten,
sondern es gelingt immer wieder, deutlich zu machen, dass der
Durchlauf der Filme durch die Analytiker und deren Theorien mit
hoher Wahrscheinlichkeit nachträglich die Aufmerksamkeit für die
Analysanden verändert – auch für die, die am nächsten Tag
kommen.
Die Herausgeber erläutern in der Einleitung ihre
kulturpsychoanalytischen Perspektiven. Fassen die
Untersuchungsergebnisse und Vermutungen dahingehend zusammen, dass
eine Reihe von Filmen des ausgehenden 20. Jahrhunderts auf die
Synthetisierung und Medialisierung postmoderner Identität
hinweisen, dass »wir soziokulturell mit einem Trend zur
Überlagerung oder Ersetzung von Bedeutung durch Erregung zu tun
haben« (S. 12), von Trauer durch Erregung, mit Phantasien eines
Lebens ohne Verlust. »Filme werden als Oberflächenphänomene – und
insofern Symptome – gesellschaftlich vor- und unbewusster
soziokultureller Befindlichkeiten und Veränderungsprozessen der
sich globalisierenden, postmodernen, spätkapitalistischen Welt
aufgefasst« (S. 13). Die Artikel sind nach den Erscheinungsjahren
der Filme sortiert. Herauspräpariert werden Lebensthemen wie die
Suche nach der eigenen Herkunft, Fragen nach der Identität,
konflikthafte Wirrungen der Adoleszenz, Verortung in der
Gesellschaft und Auseinandersetzung mit dem Tod. Fast alle Autoren
lassen sich auf die medialen Eigenarten des thematisierten Films in
ihrem Schreiben ein. Schreiben über Film ist dessen Konstruktion
(wie beim Traum), ein Versuch der Unart psychoanalytischer
Kunstinterpretationen entgehen, die schon Reimut Reiche zu Recht
als Subsumtionslogik des Analytikers gegeißelt hat.
Gerhard Schneider setzt den Einzelerörterungen unterschiedliche
Zugangswege zur psychoanalytischen Interpretation von Filmen voran.
Es ist ihm Anliegen, das Ganze des erlebten Films zu artikulieren.
Er tritt ihm wie einer Quasi-Person gegenüber. Dabei muss man, so
meine ich, das Quasi mindestens drei Mal unterstreichen. (Sein
eigener Beitrag ist kaum von diesem Ansatz geprägt.) Andere fragen
eher nach der Wirkkraft von Filmen oder sehen Filme als Symptome,
einmal im Hinblick auf den Regisseur, dann im Hinblick auf
soziokulturell Vor- und Unbewusstes. Ersteres kommt in die Nähe
einer biografistischen Interpretation von Filmen (Film – Symptom
für Konfliktlagen des Regisseurs), Letzteres steht in der Gefahr zu
vergessen, wo das Symptom eigentlich entsteht. Ist aber nicht so:
Wie in der Kur das Symptom erst beim Betrachten des Films und dem
nachfolgenden Träumen, Reden und Schreiben konstruiert werden muss,
sich konstruiert, so ist m.E. die Frage zu stellen, wann, wo und
wie der Film als Symptom konstruiert wird. Die Konstruktion des
Symptoms ist kontingent. Bei manchen Erfindungen des Symptoms (was
ja wörtlich Zufall heißt) funktioniert der Film und führt zu
weiterer Produktion, zu Widerstand und Abwehr. Bei anderen kann
kein auch noch so vorübergehendes Symptom gebildet werden.
Vielleicht meint Schneider doch etwas Ähnliches, wenn er
vorschlägt, den Regisseur als einen im Medium des Films arbeitenden
»quasi impliziten Analytiker« (S. 25) zu konzipieren. D. h. also
auch, dass der Betrachter dem Film unterstellt, dass hier ein
Wissen kristallisiert wird oder flüssig gemacht wird, über den
Betrachter selbst, das dieser nicht, noch nicht weiß oder sich
nicht zu wissen traut. Eine weitere Zugangsweise ist nach Schneider
die Frage nach der Faktur, nach der formalen Mach-Art (S. 26). Er
fasst verschiedene Methodiken der Film-Psychoanalyse zusammen als
künstlerorientierten, werkorientierten und rezeptionsorientierten
Ansatz (S. 27). Bei letzterem sieht er die Möglichkeit,
subjektivistische Filminterpretationen zu vermeiden dadurch, dass
diese sich immer wieder konfrontieren mit der formalen Gestaltung
des Films. Notwendig ist der Verzicht auf eine Subsumtionslogik.
Allerdings wird man dadurch nicht, wie es manchmal in dem Absatz
anklingt, eine objektive Interpretationen nach wissenschaftlichen
Kriterien erreichen.
Im Film Strange Days entdeckt Parfen Laszig
Rückkoppelungsschleifen, deren Zeuge er und die Zuschauer des Films
werden. Die aus der Psychoanalyse bekannten Abkürzungen für
Beschreibungen von Pathologie (Entgrenzung, Reiz- und
Affektüberflutung, mangelnde Impulssteuerung, Realitäts- und
Identitätsdiffusion, Voyeurismus, Exhibitionismus, Fetischismus,
Sucht, Paranoia, Gewalt, zwanghafte Kontrolle) bekommen in der
genauen Beschreibung des Films neue Aufladung und andere
Zusammenhänge. Daran wird klar gemacht, welche Denkanforderungen
Filme als Bestandteile eben jener Realität und nicht als Filme über
die Realität stellen. In der Darstellungsweise Laszigs wird das
Überfordernde deutlich. charakteristisch für den Film als Medium
ist eine Art transitorischer Raum, »eine autonome Zeit-Zone, die
scheinbar losgelöst von früheren wie darauf folgenden Ereignissen
existiert, Zuflucht, Schutz und (Schmerz-)Linderung bietet.« (S.
60). Dem Leser wird deutlich, dass eine zunächst müh-sam aufrecht
erhaltene Unterscheidung zwischen einer so genannten frustrierenden
Realität und einer Wunschöffnung in die Virtualität, in der Schärfe
nicht aufrecht erhalten werden kann, da die Virtualität selber
Bestandteil der Realität geworden ist. Hier deuten sich weitere
Untersuchungen an: vielleicht wird gerade die ehemals Dienst
habende neurotische Struktur durch eine vorwiegend psychotische
Struktur abgelöst. Oder ist sie schon abgelöst?
Nach Lektüre des Beitrages von Isolde Böhme ist man überzeugt, dass
der Film von Abbas Kiarostami, Der Geschmack der Kirsche, eine
Modulation der melancholischen Position ist. Ihr Beitrag zeichnet
sich zugleich durch eine aufmerkende Vorsicht, Zärtlichkeit und
Ent-schiedenheit im Fortgang aus. Es werden verschiedene Rahmungen
des Filmes und im Film vorsichtig heraus präpariert bis hin zu dem
notwendigen Exkurs über die kulturellen Unter-schiede der
Konzeption von Rahmen und Fenstern. Obwohl sich, wie Böhme
feststellt, der Film Kiarostamis nicht erzählen lässt, gelingt
dennoch eine berührende Darstellung. Sie kommt über zwei Drittel
des Beitrages ohne jegliche direkte Bezugnahme zur Psychoanalyse
aus. der Bezug liegt einzig und allein in einer Transposition der
Haltung des Analytikers aus der Kur in die Haltung des Schreibens
über Film. Erst gegen Ende, nachdem erläutert ist, was unter
Modulation in Anlehnung an Musik zu verstehen ist, nämlich die
Überleitung von einer Tonart in eine andere, eine Veränderung der
Stimmung, ein sich Einstimmen auf den Anderen »logisch vor der
Sprache, vor jedem Konflikt« (S. 79). Modulation ist mit Kristeva
verstanden als »schmerzhafter Fundes, den kein Signifikant
erreicht« (S. 80). Und so wird das vorher Erzählte modulierend mit
schon existierender psychoanalytischer Theoriebildung
verknüpft.
Der Beitrag von Riepe »Die Architektur der erogenen Zonen.
Cyberspace und virtuelle Realität in The Matrix und in eXistenZ«
ist zunächst einmal nicht als psychoanalytischer erkenn-bar. Im
Wesentlichen stützt er sich auf Erkenntnisse von Seeßlen, fügt
diese neu zusammen unter der Perspektive einer Betrachtung von
außen, formal, »also wie ein Produzent oder Kinobesitzer«. Er
widmet sich dabei vor allem dem Übergang zwischen dem im Film
vorkommenden wirklichen und dem virtuellen Raum, dessen Verknüpfung
mit der Filmtechnologie und wie darin der Zuschauer involviert ist.
Riepe zeigt deutlich, wie Inhalt und Filmtechnik und deren Aufnahme
im Film nach neuen Vereinigungsweisen verlangen. Diese sieht er
vorgeformt in der Psychoanalyse, die nicht mehr acht gibt auf die
Narration, sondern auf die Überdeterminiertheit jeden Momentes, der
zuweilen wie »Doppelsinn als Weiche« (so Freud in der Traumdeutung)
fungiert.
Schneider analysiert Tom Tykwers Lola rennt (1998) unter der
Überschrift »Jenseits des Identitätszwangs – auf der Suche
nach...«. Mit diesem Jenseits ist Angst verbunden. Der Film sei,
insbesondere Lola rennt, eine Möglichkeit die »Virtualisierung der
Differenz zwischen Realität und medialer Realität« zu vermitteln.
Lola rennt bewegt sich entgegen einem ersten Anschein jenseits des
Identitäts- und Wiederholungszwangs, obwohl drei Mal eine sehr
ähnliche Geschichte erzählt wird. »Es ist, wie wenn Tykwer
gegenüber dem Pessimismus des Identitäts- und Wiederholungszwangs
bei Hitchcock, Sartre und Frisch die Nicht-Wiederholung und damit
die Offenheit des Möglichen feiert« (S. 107). Mitten in die fein
ziselierte Beobachtung, Beschreibung, Kombination der einzelnen
Elemente aus Tykwers Film, dessen Kontext, dessen Voraussetzung,
schlägt ein Abschnitt über »Vergnügen und Angst als Ausdruck einer
Identitätsspannung«(113f) in den Beitrag ein. Dennoch ist der Leser
aufgrund der genauen Beschreibung des Films und seines Kontextes am
Ende des Beitrages wie der Autor überzeugt: »Mir scheint, dass
Tykwer’s Film in dieser soziopsychischen Situation (gemeint ist der
Neokapitalismus, KJP) nicht die positivitätsfixierte Suche nach
einem konkreten Etwas, sondern die offene Bewegung der Suche nach
... sinnlich präsent macht« (S. 121).
Der antike Pygmalion-Mythos dient Joachim F. Danckwardt dazu David
Lynchs Mullholland Drive und Inland Empire darzustellen, wie in
Filmen Menschen geformt werden, nicht nur inhaltlich, sondern auch
in der aktiven Wahrnehmung. »Hollywood steht stellvertretend für
Kulturschöpfungen, sekundäre, tertiäre und quartäre
Sozialisationsformen, die Menschen psychologisch erschaffen« (S.
131). Er verweist dabei auf Freuds »einbrechende Eroberer, die das
eroberte Land (das werdende Ich) nicht nach dem Recht behandeln,
das sie darin vorfinden, sondern nach ihrem eigenen«, so Freud im
Abriss der Psychoanalyse. Wenn der Film an diesen unterschiedlichen
Sozialisationsformen beteiligt ist und diese zur gleichen Zeit
reflektiert, dann kann man in den Filmen Lynchs sich darüber
informieren lassen, dass die Entwicklungswege von Subjektivität
»nicht oder nicht mehr idealistisch über mütterliche Reverie, ihre
Körper-Laut-Zeichen- und Sprachspiele, sodann über Wort und Schrift
in einer die vorbildli-che Elternschaft idealisierenden
Triangulierung« (S. 132 f) verlaufen. »Jetzt ist es persistierende
Selbstobjektivierung durch Erregung im Bild, im Event, am
Bildschirm, in der Ereig-nis- und Erlebnisgesellschaft« (S. 133).
So stellt Danckwardt in einer wunderbaren Formulie-rung angesichts
des Films Inland Empire die Frage: »Ist die Frau schwanger? Ist sie
mit dem Zuschauer schwanger? Jedenfalls kündigt sie ein Thema an:
›Ich habe Angst‹. Und wird dann selber Zuschauerin eines Films im
Fernseher« (S. 134). Ein weiterer Abschnitt ist überschrieben mit
»Vom Werden und Nichtwerden der Zuschauer« (S. 135 ff). Bei Filmen
wie dem von Lynch wird der Zuschauer in ein vom Film gesteuertes
Unterlaufen von kausallogischer Sprache des Films und homogener
filmischer Welt der Abbildungen hinein gesogen. Alle möglichen
Momente und Konstituentien des Films bei Lynch werden zu Träger
unterschiedlicher Bedeutungen: Der Plot, der Dialog, das Bild, die
Farbe, die Frau, die Turnschuhe, das Sound-Design. Diese
verschiedenen Ebenen machen eine projektive Arbeit an und mit den
Bildern, von denen der Zuschauer ergriffen wird, möglich. Er
zitiert dabei Lynch: »Es geht nicht dar-um, zu verstehen, sondern
darum, etwas zu erfahren. Verwirrung kann sehr stimulieren.« (S.
138). Diesen Satz kann man so fast wörtlich bei Lacan finden und
auf diesem Hintergrund wird es interessant für die Konzeption von
Psychoanalyse und Psychotherapie. So versucht Danckwart zu belegen,
dass aus den Filmen Lynchs eine Bebilderung der katastrophischen
Angst vor dem psychotherapeutischen Werden herausgelesen werden
kann, die Angst vor dem Verlust der vorangegangenen Ich-Zustände,
daraus resultiert Lynchs Vorliebe für die transzendentale
Meditation, eine Technik, die man lernen könne, bei der man aber so
bleibe, wie man sei und einfach mit seinen Sachen weiter mache.
Danckwardt erschließt hiermit eine im Beitrag selber noch nicht
bearbeitete interessante Frage zur Weiterentwicklung der
Psychoanalyse. Im spannend zu lesenden Beitrag nimmt er zudem Bezug
auf die Bildwissenschaft. Röttger und Jackob schreiben Lynch eine
Neudefinition des Kinos zu, als Schaltstelle zwischen innerer und
äußerer Bildung, sehen die Filme als Dispositive der Vermittlung
von individuellen und kollektiven Bildern, die im sozialen Raum
kursieren.
Helmut Däuker sieht in Lars von Triers Dogville einen radikalen
Verzicht auf die Wirkungsmacht des Bildlichen, findet »stattdessen
eine Konfrontation mit der leeren Abstraktheit des Symbolischen«
(S. 147). Er knüpft daran besonders gegen Ende des Beitrags sehr
dichte, gehaltvolle Überlegungen zur Identitätsproblematik, zum
Unbehagen in der Identität, so auch die Überschrift des Beitrags.
Ich bezweifle, ob die Gegenüberstellung bildlich vs. symbolisch
stimmig ist, denn die zugegeben dürftige Kulisse des Films ruft,
ähnlich wie eine Vorstellung von Identität, permanent, unablässig
und unverzichtbar Bilder auf. Man könnte geradezu umgekehrt sagen,
die Bildlichkeit von Identitätsvorstellungen, das Imaginäre daran,
kann zum Verschwinden gebracht werden, wenn man es mit Bildern voll
stellt. Zu Beginn und dann immer spärlicher werden die Eigenheiten
des Mediums Film thematisiert. Dafür wird um so eingehender die
Identitätsproblematik, die auch Inhalt des Films sei, als handelte
es sich um ein geschriebenes Drama ganz unabhängig von seinem
körperlich medialen Träger abgehandelt. Dennoch wird spannend und
präzise die Gefährlichkeit der Dynamik von Identität ausgearbeitet,
die mit ihren Ordnungskräften »Ihrer Entwicklungslogik folgend,
gleichsam Dominanzverhältnis und Hierarchien produzieren« (S. 161).
So kann man in Dogville eine Inszenierung innerpsychischer
Identitätsdynamiken, so Däuker, aus einer zunächst olympischen
Perspektive, von oben, mit verfolgen. Diese Distanz gehe aber
verloren. Däukers Vermutung wäre nachzugehen: »Je ähnlicher die
Menschen sich werden, desto nachhaltiger dürfte ein Bedürfnis nach
Andersheit, Unverwechselbarkeit, und d. h.: Identität im Sinne von
Individualität anwachsen« (S. 161). Ist dem so? Ist die historisch
gar nicht so alte Form von individueller Identität nur zu
betrauern? Kann man nicht auch froh sein, wenn sie allmählich
schwindet. Däuker schreibt selbst, dass die Bürger von Dogville
gerade dadurch zu Unmenschen würden und »man könnte sagen, Grace
reine Identität macht aus ihnen moralische Underdogs, so dass sie
sich gezwungen sehen, Grace als Vertreterin dieser reinen Identität
immer brutaler zu attackieren. Von Trier zeigt in Dogville, dass es
dabei keine entscheidende Rolle spielt, ob das Reine gut oder böse
ist« (S. 162 f).
Eine weitere Variante, Psychoanalyse und Film aufeinander zu
ziehen, ist Claudia Franks Beitrag »Das Gefühl von Frieden ist
unendlich«, das den Film von Amenabar Bar Das Meer in mir zum Thema
hat. Der Film handele, von Sterbehilfe und mache Werbung dafür,
diese zu legalisieren. Die Autorin hat sich schon jenseits des
Filmes mit diesem Problem u.a. im Ethik-Ausschuss des deutschen
Ärztinnenbundes beschäftigt. Trotz aller im Beitrag von ihr
geäußerter Bedenken und Einschränkungen ließ sie sich auf das
Buchprojekt ein und nutzt den Film, um das Problem einer
legalisierten ärztlichen Sterbehilfe weiter zu differenzieren.
Dabei geht sie davon aus, dass der Film sie »einerseits ganz
gefangen genommen und andererseits doch einen schalen Geschmack
hinterlassen hat« (S. 176). Durch die genaue Beobachtung
insbesondere der Anfangsszene kann sie überzeugend herausarbeiten,
dass der Film, bzw. sein Regisseur sich identifikatorisch zum
Sprachrohr des Menschen macht, der durch einen Badeunfall am ganzen
Körper gelähmt ist. Der Film werde zur identifikatorischen
Propaganda.
Edeltraud Tilch-Bauschke schreibt über Cache von Michael Haneke
wegen der von ihr und vielen anderen festgestellten Verstörung, von
Zuschauern, die den Film sehr unterschiedlich wahrgenommen haben.
Sie geht nun nicht ins Detail des Films, fragt nicht danach, was
durch die besondere Art des Films dieser Verunsicherung erzeugt,
sondern handelt vorwiegend über den Film. Additiv werden
Bezugspunkten für die Analyse des Films zusammengeholt:
psychoanalytisch filmtheoretische Arbeiten von Ralph Zwiebel, Werk
und Leben von Michael Haneke, geschichtlicher Hintergrund, eine
langen Nacherzählung der Handlung und eine Erklärung der Dramatik
des Films durch die partielle Aufhebung von Verdrängung. Den
letzten Teil nimmt die Darstellung des Unterschieds von Hanekes
Filmen zum Mainstream-Kino ein. So bleiben letztlich unfilmische,
wenn auch bezogen auf den Inhalt des Films plausible
Behauptungen.
Einer der ausführlichsten und längsten Beiträge des Buches stammt
von Ralph Zwiebel über oder eher anlässlich des Films Stay von Marc
Forster. Der Beitrag beinhaltet eine Einführung in Zwiebels
Gedanken über den Traum, die Weiterführung der Freudschen
Traumtheorie ins-besondere bei Bion, die Charakterisierung des
selbstreflexiven Ansatzes der Filmpsychoanalyse nach Ferro,
insbesondere aber nach Zwiebel in sieben Punkten. Auch durch die
Zusammenfassung wird dem Rezensenten nicht ganz klar, was Zwiebels
ganz zu Anfang geäußerter Vorschlag heißen mag, den Film Vertigo
»wie einen ›eigenen Traum‹ anzusehen und das Filmerlebnis mit Hilfe
des träumenden ›Analytiker-Regisseurs‹ Alfred Hitchcock zu
betrach-ten und zu deuten« (S. 207). Hier wird Hitchcock gleichsam
verdoppelt als Filmemacher, der ein Produkt vorlegt, und er wird,
wie auch immer, als Analytiker-Regisseur bei der Auffassung des
Films als eigenem Traum des Zuschauers zu Rate gezogen. Wenn das
nicht in ein Spiegelkabinett ausläuft (oder zur Leichenschändung
wird). Wenn auch der zum Thema ge-machte Film immer wieder erwähnt
wird, so ist er doch überdeckt von etwas, das den Autor viel
existentieller zu beschäftigen scheint, das zu thematisieren der
Film Anlass zu sein scheint: Tod und Sterben. Vielleicht ist so
auch der dritte Punkt in der Sammlung der Über-sicht über den
Ansatz einer selbstreflexiven Film-Psychoanalyse zu verstehen: Film
liefere Ersatzbilder, wodurch ein Zustand von Träumerei beim
Zuschauer entstehe (S. 211). Filmbilder würden im Medium eines
frühkindlichen Erlebniszustandes rezipiert und als Befriedigung
aller vitalen Bedürfnisse interpretiert (ebd.). Diese Erfahrung
kann der Rezensent nicht teilen: Nicht einmal in den
Nachmittagsvorstellungen für Kinder ist dies anzutreffen. Auch sind
Filmbilder viel mehr als Ersatz, sie sind oft Ersatz für etwas
dessen original nie existiert hat. Auf der Metapher vom Ersatz
beruht dann auch beim zu Zeugen genommenen Leuschner die zur
Filmsucht (S. 311). Es wird daraus gar die Entstehung »eines
regressiven Film-Ichs« (S. 311 f) abgeleitet. Hat jemand, der
Schiffe sammelt dann ein regressives Schiffs-Ich? Inhaltlich geht
es bei dem Film von Marc Foster um den Übergang zwischen Leben und
Tod. Dies wird mehrfach von Zwiebel erwähnt und variiert, nicht
aber an der Beschaffenheit des Films selber herausgestellt. Der
hier vorliegenden Analyse könnte auch eine Erzählung oder ein Roman
zugrunde liegen. Die von Zwiebel reklamierte Auseinandersetzung mit
dem Sterben und dem Tod in der Psychoanalyse, aber auch in der
Gesellschaft, zu der der Film Anlass gebe, wird nur in den Raum
gestellt, nur durch vielfältige Erinnerungs- und Erlebnisspuren des
Autors dringend gemacht. Zwiebel nimmt dabei auch Bezug auf den
Briefwechsel von Freud und Rolland, zitiert dabei etwas befremdlich
Freud nach Zwiebel.
Ein Beitrag im Buch, der von Matthias Hirsch, der den Film Requiem
von Hans-Christian Schmid zum Gegenstand hat, befindet sich, so
schreibe ich zugespitzt, im falschen Buch. Der Film, das Filmische,
kommt so gut wie nicht vor. Der Film ist lediglich Transportmittel
eines Inhaltes, der auch auf andere Weise zum Hintergrund für
äußerst lesenswerte, psychoanalytische Erörterungen zum Fall der
Anneliese Michel aus Klingenberg am Main, die nach 67maligem
Exorzismus starb, auf die der Film offenbar Bezug nimmt. Es wird
ausführlich und gut nachvollziehbar erörtert, wie eine aus den
Anforderungen gesellschaftlicher Differenzierung herausgefallene
religiöse Praktik, der Exorzismus, zur tödlichen Gewalt umschlägt.
Dagegen wird von Hirsch Übersetzungsarbeit geleistet in das, was
Psychoanalyse als Alternative zur Verfügung stellen kann.
Vielleicht tritt neben der Psychoanalyse manchmal Film an die
Stelle des Exorzismus.
Die Rezension darf hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion
des Biss-Magazins (www.biss-magazin.de) veröffentlicht werden.