Rezension zu Film und Psychoanalyse

RISS. Zeitschrift für Psychoanalyse

Rezension von Prof. Dr. Karl-Josef Pazzini

Filme als Oberflächenphänomene einer kulturellen Tiefenschicht:
Parfen Laszig schreibt: »In Strange Days werden wir Zeuge verschiedenster Formen von ›Koppelungs-Schleifen‹. Wir werden Zu-Schauer einer Gesellschaft im Umbruch, eine urbanen Kultur der Entgrenzung, die durch Reiz- und Affektüberflutung, mangelnde Impulssteue-rung, sowie Realitäts- und Identitätsdiffusion gezeichnet ist und mit Voyeurismus, Exhibitionismus, Fetischismus, Sucht, Paranoia und verschiedensten Formen von Gewalt in zwanghaf-ter Kontrolle reagiert.«(S. 43). Film als Koppelungs-Schleife nicht als kompakter Gegenstand, der entweder dem Inhalt nach ohne Rücksicht auf die Form, als performativer Ereignis bildet, das ist die interessante Einsicht, die im Buch sich in vielen Beiträgen durchsetzt. Dieser Idee bin ich bei der Rezension gefolgt.

Die beiden Herausgeber fassen Filme als Oberflächenphänomene einer kulturellen Tiefenschicht auf und kommen nicht unverändert aus den erwähnten Rückkoppelungsschleifen heraus – wohl auch zu lesen als eine Variation über ein zu veränderndes Übertragungskonzept.
In Buch sind elf Autoren versammelt, die versuchen, mit psychoanalytischem Wissen und Können, aus den Schleifen durch Übersetzung ins Schreiben herauszutreten, aber so, dass die meisten nicht die Illusion erzeugen, dass diese Übertragung wieder zu beseitigen wäre, sondern sie geben sie in den gelungenen Fällen in ein anderes Medium verwandelt an die Leser weiter, so dass diese mit neuer Neugier an die besprochenen Filme bzw. an Filme überhaupt herantreten können – wohl nicht nur an Filme. In den meisten Beiträgen gelingt es, etwas vom dauernden Einfall der Bilder so vor sich zu bringen, dass man damit arbeiten kann. Es werden keine Einbahnstraßen von der Psychoanalyse zum Film hin beschritten, sondern es gelingt immer wieder, deutlich zu machen, dass der Durchlauf der Filme durch die Analytiker und deren Theorien mit hoher Wahrscheinlichkeit nachträglich die Aufmerksamkeit für die Analysanden verändert – auch für die, die am nächsten Tag kommen.

Die Herausgeber erläutern in der Einleitung ihre kulturpsychoanalytischen Perspektiven. Fassen die Untersuchungsergebnisse und Vermutungen dahingehend zusammen, dass eine Reihe von Filmen des ausgehenden 20. Jahrhunderts auf die Synthetisierung und Medialisierung postmoderner Identität hinweisen, dass »wir soziokulturell mit einem Trend zur Überlagerung oder Ersetzung von Bedeutung durch Erregung zu tun haben« (S. 12), von Trauer durch Erregung, mit Phantasien eines Lebens ohne Verlust. »Filme werden als Oberflächenphänomene – und insofern Symptome – gesellschaftlich vor- und unbewusster soziokultureller Befindlichkeiten und Veränderungsprozessen der sich globalisierenden, postmodernen, spätkapitalistischen Welt aufgefasst« (S. 13). Die Artikel sind nach den Erscheinungsjahren der Filme sortiert. Herauspräpariert werden Lebensthemen wie die Suche nach der eigenen Herkunft, Fragen nach der Identität, konflikthafte Wirrungen der Adoleszenz, Verortung in der Gesellschaft und Auseinandersetzung mit dem Tod. Fast alle Autoren lassen sich auf die medialen Eigenarten des thematisierten Films in ihrem Schreiben ein. Schreiben über Film ist dessen Konstruktion (wie beim Traum), ein Versuch der Unart psychoanalytischer Kunstinterpretationen entgehen, die schon Reimut Reiche zu Recht als Subsumtionslogik des Analytikers gegeißelt hat.

Gerhard Schneider setzt den Einzelerörterungen unterschiedliche Zugangswege zur psychoanalytischen Interpretation von Filmen voran. Es ist ihm Anliegen, das Ganze des erlebten Films zu artikulieren. Er tritt ihm wie einer Quasi-Person gegenüber. Dabei muss man, so meine ich, das Quasi mindestens drei Mal unterstreichen. (Sein eigener Beitrag ist kaum von diesem Ansatz geprägt.) Andere fragen eher nach der Wirkkraft von Filmen oder sehen Filme als Symptome, einmal im Hinblick auf den Regisseur, dann im Hinblick auf soziokulturell Vor- und Unbewusstes. Ersteres kommt in die Nähe einer biografistischen Interpretation von Filmen (Film – Symptom für Konfliktlagen des Regisseurs), Letzteres steht in der Gefahr zu vergessen, wo das Symptom eigentlich entsteht. Ist aber nicht so: Wie in der Kur das Symptom erst beim Betrachten des Films und dem nachfolgenden Träumen, Reden und Schreiben konstruiert werden muss, sich konstruiert, so ist m.E. die Frage zu stellen, wann, wo und wie der Film als Symptom konstruiert wird. Die Konstruktion des Symptoms ist kontingent. Bei manchen Erfindungen des Symptoms (was ja wörtlich Zufall heißt) funktioniert der Film und führt zu weiterer Produktion, zu Widerstand und Abwehr. Bei anderen kann kein auch noch so vorübergehendes Symptom gebildet werden.
Vielleicht meint Schneider doch etwas Ähnliches, wenn er vorschlägt, den Regisseur als einen im Medium des Films arbeitenden »quasi impliziten Analytiker« (S. 25) zu konzipieren. D. h. also auch, dass der Betrachter dem Film unterstellt, dass hier ein Wissen kristallisiert wird oder flüssig gemacht wird, über den Betrachter selbst, das dieser nicht, noch nicht weiß oder sich nicht zu wissen traut. Eine weitere Zugangsweise ist nach Schneider die Frage nach der Faktur, nach der formalen Mach-Art (S. 26). Er fasst verschiedene Methodiken der Film-Psychoanalyse zusammen als künstlerorientierten, werkorientierten und rezeptionsorientierten Ansatz (S. 27). Bei letzterem sieht er die Möglichkeit, subjektivistische Filminterpretationen zu vermeiden dadurch, dass diese sich immer wieder konfrontieren mit der formalen Gestaltung des Films. Notwendig ist der Verzicht auf eine Subsumtionslogik. Allerdings wird man dadurch nicht, wie es manchmal in dem Absatz anklingt, eine objektive Interpretationen nach wissenschaftlichen Kriterien erreichen.

Im Film Strange Days entdeckt Parfen Laszig Rückkoppelungsschleifen, deren Zeuge er und die Zuschauer des Films werden. Die aus der Psychoanalyse bekannten Abkürzungen für Beschreibungen von Pathologie (Entgrenzung, Reiz- und Affektüberflutung, mangelnde Impulssteuerung, Realitäts- und Identitätsdiffusion, Voyeurismus, Exhibitionismus, Fetischismus, Sucht, Paranoia, Gewalt, zwanghafte Kontrolle) bekommen in der genauen Beschreibung des Films neue Aufladung und andere Zusammenhänge. Daran wird klar gemacht, welche Denkanforderungen Filme als Bestandteile eben jener Realität und nicht als Filme über die Realität stellen. In der Darstellungsweise Laszigs wird das Überfordernde deutlich. charakteristisch für den Film als Medium ist eine Art transitorischer Raum, »eine autonome Zeit-Zone, die scheinbar losgelöst von früheren wie darauf folgenden Ereignissen existiert, Zuflucht, Schutz und (Schmerz-)Linderung bietet.« (S. 60). Dem Leser wird deutlich, dass eine zunächst müh-sam aufrecht erhaltene Unterscheidung zwischen einer so genannten frustrierenden Realität und einer Wunschöffnung in die Virtualität, in der Schärfe nicht aufrecht erhalten werden kann, da die Virtualität selber Bestandteil der Realität geworden ist. Hier deuten sich weitere Untersuchungen an: vielleicht wird gerade die ehemals Dienst habende neurotische Struktur durch eine vorwiegend psychotische Struktur abgelöst. Oder ist sie schon abgelöst?

Nach Lektüre des Beitrages von Isolde Böhme ist man überzeugt, dass der Film von Abbas Kiarostami, Der Geschmack der Kirsche, eine Modulation der melancholischen Position ist. Ihr Beitrag zeichnet sich zugleich durch eine aufmerkende Vorsicht, Zärtlichkeit und Ent-schiedenheit im Fortgang aus. Es werden verschiedene Rahmungen des Filmes und im Film vorsichtig heraus präpariert bis hin zu dem notwendigen Exkurs über die kulturellen Unter-schiede der Konzeption von Rahmen und Fenstern. Obwohl sich, wie Böhme feststellt, der Film Kiarostamis nicht erzählen lässt, gelingt dennoch eine berührende Darstellung. Sie kommt über zwei Drittel des Beitrages ohne jegliche direkte Bezugnahme zur Psychoanalyse aus. der Bezug liegt einzig und allein in einer Transposition der Haltung des Analytikers aus der Kur in die Haltung des Schreibens über Film. Erst gegen Ende, nachdem erläutert ist, was unter Modulation in Anlehnung an Musik zu verstehen ist, nämlich die Überleitung von einer Tonart in eine andere, eine Veränderung der Stimmung, ein sich Einstimmen auf den Anderen »logisch vor der Sprache, vor jedem Konflikt« (S. 79). Modulation ist mit Kristeva verstanden als »schmerzhafter Fundes, den kein Signifikant erreicht« (S. 80). Und so wird das vorher Erzählte modulierend mit schon existierender psychoanalytischer Theoriebildung verknüpft.

Der Beitrag von Riepe »Die Architektur der erogenen Zonen. Cyberspace und virtuelle Realität in The Matrix und in eXistenZ« ist zunächst einmal nicht als psychoanalytischer erkenn-bar. Im Wesentlichen stützt er sich auf Erkenntnisse von Seeßlen, fügt diese neu zusammen unter der Perspektive einer Betrachtung von außen, formal, »also wie ein Produzent oder Kinobesitzer«. Er widmet sich dabei vor allem dem Übergang zwischen dem im Film vorkommenden wirklichen und dem virtuellen Raum, dessen Verknüpfung mit der Filmtechnologie und wie darin der Zuschauer involviert ist. Riepe zeigt deutlich, wie Inhalt und Filmtechnik und deren Aufnahme im Film nach neuen Vereinigungsweisen verlangen. Diese sieht er vorgeformt in der Psychoanalyse, die nicht mehr acht gibt auf die Narration, sondern auf die Überdeterminiertheit jeden Momentes, der zuweilen wie »Doppelsinn als Weiche« (so Freud in der Traumdeutung) fungiert.

Schneider analysiert Tom Tykwers Lola rennt (1998) unter der Überschrift »Jenseits des Identitätszwangs – auf der Suche nach...«. Mit diesem Jenseits ist Angst verbunden. Der Film sei, insbesondere Lola rennt, eine Möglichkeit die »Virtualisierung der Differenz zwischen Realität und medialer Realität« zu vermitteln. Lola rennt bewegt sich entgegen einem ersten Anschein jenseits des Identitäts- und Wiederholungszwangs, obwohl drei Mal eine sehr ähnliche Geschichte erzählt wird. »Es ist, wie wenn Tykwer gegenüber dem Pessimismus des Identitäts- und Wiederholungszwangs bei Hitchcock, Sartre und Frisch die Nicht-Wiederholung und damit die Offenheit des Möglichen feiert« (S. 107). Mitten in die fein ziselierte Beobachtung, Beschreibung, Kombination der einzelnen Elemente aus Tykwers Film, dessen Kontext, dessen Voraussetzung, schlägt ein Abschnitt über »Vergnügen und Angst als Ausdruck einer Identitätsspannung«(113f) in den Beitrag ein. Dennoch ist der Leser aufgrund der genauen Beschreibung des Films und seines Kontextes am Ende des Beitrages wie der Autor überzeugt: »Mir scheint, dass Tykwer’s Film in dieser soziopsychischen Situation (gemeint ist der Neokapitalismus, KJP) nicht die positivitätsfixierte Suche nach einem konkreten Etwas, sondern die offene Bewegung der Suche nach ... sinnlich präsent macht« (S. 121).

Der antike Pygmalion-Mythos dient Joachim F. Danckwardt dazu David Lynchs Mullholland Drive und Inland Empire darzustellen, wie in Filmen Menschen geformt werden, nicht nur inhaltlich, sondern auch in der aktiven Wahrnehmung. »Hollywood steht stellvertretend für Kulturschöpfungen, sekundäre, tertiäre und quartäre Sozialisationsformen, die Menschen psychologisch erschaffen« (S. 131). Er verweist dabei auf Freuds »einbrechende Eroberer, die das eroberte Land (das werdende Ich) nicht nach dem Recht behandeln, das sie darin vorfinden, sondern nach ihrem eigenen«, so Freud im Abriss der Psychoanalyse. Wenn der Film an diesen unterschiedlichen Sozialisationsformen beteiligt ist und diese zur gleichen Zeit reflektiert, dann kann man in den Filmen Lynchs sich darüber informieren lassen, dass die Entwicklungswege von Subjektivität »nicht oder nicht mehr idealistisch über mütterliche Reverie, ihre Körper-Laut-Zeichen- und Sprachspiele, sodann über Wort und Schrift in einer die vorbildli-che Elternschaft idealisierenden Triangulierung« (S. 132 f) verlaufen. »Jetzt ist es persistierende Selbstobjektivierung durch Erregung im Bild, im Event, am Bildschirm, in der Ereig-nis- und Erlebnisgesellschaft« (S. 133). So stellt Danckwardt in einer wunderbaren Formulie-rung angesichts des Films Inland Empire die Frage: »Ist die Frau schwanger? Ist sie mit dem Zuschauer schwanger? Jedenfalls kündigt sie ein Thema an: ›Ich habe Angst‹. Und wird dann selber Zuschauerin eines Films im Fernseher« (S. 134). Ein weiterer Abschnitt ist überschrieben mit »Vom Werden und Nichtwerden der Zuschauer« (S. 135 ff). Bei Filmen wie dem von Lynch wird der Zuschauer in ein vom Film gesteuertes Unterlaufen von kausallogischer Sprache des Films und homogener filmischer Welt der Abbildungen hinein gesogen. Alle möglichen Momente und Konstituentien des Films bei Lynch werden zu Träger unterschiedlicher Bedeutungen: Der Plot, der Dialog, das Bild, die Farbe, die Frau, die Turnschuhe, das Sound-Design. Diese verschiedenen Ebenen machen eine projektive Arbeit an und mit den Bildern, von denen der Zuschauer ergriffen wird, möglich. Er zitiert dabei Lynch: »Es geht nicht dar-um, zu verstehen, sondern darum, etwas zu erfahren. Verwirrung kann sehr stimulieren.« (S. 138). Diesen Satz kann man so fast wörtlich bei Lacan finden und auf diesem Hintergrund wird es interessant für die Konzeption von Psychoanalyse und Psychotherapie. So versucht Danckwart zu belegen, dass aus den Filmen Lynchs eine Bebilderung der katastrophischen Angst vor dem psychotherapeutischen Werden herausgelesen werden kann, die Angst vor dem Verlust der vorangegangenen Ich-Zustände, daraus resultiert Lynchs Vorliebe für die transzendentale Meditation, eine Technik, die man lernen könne, bei der man aber so bleibe, wie man sei und einfach mit seinen Sachen weiter mache. Danckwardt erschließt hiermit eine im Beitrag selber noch nicht bearbeitete interessante Frage zur Weiterentwicklung der Psychoanalyse. Im spannend zu lesenden Beitrag nimmt er zudem Bezug auf die Bildwissenschaft. Röttger und Jackob schreiben Lynch eine Neudefinition des Kinos zu, als Schaltstelle zwischen innerer und äußerer Bildung, sehen die Filme als Dispositive der Vermittlung von individuellen und kollektiven Bildern, die im sozialen Raum kursieren.

Helmut Däuker sieht in Lars von Triers Dogville einen radikalen Verzicht auf die Wirkungsmacht des Bildlichen, findet »stattdessen eine Konfrontation mit der leeren Abstraktheit des Symbolischen« (S. 147). Er knüpft daran besonders gegen Ende des Beitrags sehr dichte, gehaltvolle Überlegungen zur Identitätsproblematik, zum Unbehagen in der Identität, so auch die Überschrift des Beitrags. Ich bezweifle, ob die Gegenüberstellung bildlich vs. symbolisch stimmig ist, denn die zugegeben dürftige Kulisse des Films ruft, ähnlich wie eine Vorstellung von Identität, permanent, unablässig und unverzichtbar Bilder auf. Man könnte geradezu umgekehrt sagen, die Bildlichkeit von Identitätsvorstellungen, das Imaginäre daran, kann zum Verschwinden gebracht werden, wenn man es mit Bildern voll stellt. Zu Beginn und dann immer spärlicher werden die Eigenheiten des Mediums Film thematisiert. Dafür wird um so eingehender die Identitätsproblematik, die auch Inhalt des Films sei, als handelte es sich um ein geschriebenes Drama ganz unabhängig von seinem körperlich medialen Träger abgehandelt. Dennoch wird spannend und präzise die Gefährlichkeit der Dynamik von Identität ausgearbeitet, die mit ihren Ordnungskräften »Ihrer Entwicklungslogik folgend, gleichsam Dominanzverhältnis und Hierarchien produzieren« (S. 161). So kann man in Dogville eine Inszenierung innerpsychischer Identitätsdynamiken, so Däuker, aus einer zunächst olympischen Perspektive, von oben, mit verfolgen. Diese Distanz gehe aber verloren. Däukers Vermutung wäre nachzugehen: »Je ähnlicher die Menschen sich werden, desto nachhaltiger dürfte ein Bedürfnis nach Andersheit, Unverwechselbarkeit, und d. h.: Identität im Sinne von Individualität anwachsen« (S. 161). Ist dem so? Ist die historisch gar nicht so alte Form von individueller Identität nur zu betrauern? Kann man nicht auch froh sein, wenn sie allmählich schwindet. Däuker schreibt selbst, dass die Bürger von Dogville gerade dadurch zu Unmenschen würden und »man könnte sagen, Grace reine Identität macht aus ihnen moralische Underdogs, so dass sie sich gezwungen sehen, Grace als Vertreterin dieser reinen Identität immer brutaler zu attackieren. Von Trier zeigt in Dogville, dass es dabei keine entscheidende Rolle spielt, ob das Reine gut oder böse ist« (S. 162 f).

Eine weitere Variante, Psychoanalyse und Film aufeinander zu ziehen, ist Claudia Franks Beitrag »Das Gefühl von Frieden ist unendlich«, das den Film von Amenabar Bar Das Meer in mir zum Thema hat. Der Film handele, von Sterbehilfe und mache Werbung dafür, diese zu legalisieren. Die Autorin hat sich schon jenseits des Filmes mit diesem Problem u.a. im Ethik-Ausschuss des deutschen Ärztinnenbundes beschäftigt. Trotz aller im Beitrag von ihr geäußerter Bedenken und Einschränkungen ließ sie sich auf das Buchprojekt ein und nutzt den Film, um das Problem einer legalisierten ärztlichen Sterbehilfe weiter zu differenzieren. Dabei geht sie davon aus, dass der Film sie »einerseits ganz gefangen genommen und andererseits doch einen schalen Geschmack hinterlassen hat« (S. 176). Durch die genaue Beobachtung insbesondere der Anfangsszene kann sie überzeugend herausarbeiten, dass der Film, bzw. sein Regisseur sich identifikatorisch zum Sprachrohr des Menschen macht, der durch einen Badeunfall am ganzen Körper gelähmt ist. Der Film werde zur identifikatorischen Propaganda.

Edeltraud Tilch-Bauschke schreibt über Cache von Michael Haneke wegen der von ihr und vielen anderen festgestellten Verstörung, von Zuschauern, die den Film sehr unterschiedlich wahrgenommen haben. Sie geht nun nicht ins Detail des Films, fragt nicht danach, was durch die besondere Art des Films dieser Verunsicherung erzeugt, sondern handelt vorwiegend über den Film. Additiv werden Bezugspunkten für die Analyse des Films zusammengeholt: psychoanalytisch filmtheoretische Arbeiten von Ralph Zwiebel, Werk und Leben von Michael Haneke, geschichtlicher Hintergrund, eine langen Nacherzählung der Handlung und eine Erklärung der Dramatik des Films durch die partielle Aufhebung von Verdrängung. Den letzten Teil nimmt die Darstellung des Unterschieds von Hanekes Filmen zum Mainstream-Kino ein. So bleiben letztlich unfilmische, wenn auch bezogen auf den Inhalt des Films plausible Behauptungen.

Einer der ausführlichsten und längsten Beiträge des Buches stammt von Ralph Zwiebel über oder eher anlässlich des Films Stay von Marc Forster. Der Beitrag beinhaltet eine Einführung in Zwiebels Gedanken über den Traum, die Weiterführung der Freudschen Traumtheorie ins-besondere bei Bion, die Charakterisierung des selbstreflexiven Ansatzes der Filmpsychoanalyse nach Ferro, insbesondere aber nach Zwiebel in sieben Punkten. Auch durch die Zusammenfassung wird dem Rezensenten nicht ganz klar, was Zwiebels ganz zu Anfang geäußerter Vorschlag heißen mag, den Film Vertigo »wie einen ›eigenen Traum‹ anzusehen und das Filmerlebnis mit Hilfe des träumenden ›Analytiker-Regisseurs‹ Alfred Hitchcock zu betrach-ten und zu deuten« (S. 207). Hier wird Hitchcock gleichsam verdoppelt als Filmemacher, der ein Produkt vorlegt, und er wird, wie auch immer, als Analytiker-Regisseur bei der Auffassung des Films als eigenem Traum des Zuschauers zu Rate gezogen. Wenn das nicht in ein Spiegelkabinett ausläuft (oder zur Leichenschändung wird). Wenn auch der zum Thema ge-machte Film immer wieder erwähnt wird, so ist er doch überdeckt von etwas, das den Autor viel existentieller zu beschäftigen scheint, das zu thematisieren der Film Anlass zu sein scheint: Tod und Sterben. Vielleicht ist so auch der dritte Punkt in der Sammlung der Über-sicht über den Ansatz einer selbstreflexiven Film-Psychoanalyse zu verstehen: Film liefere Ersatzbilder, wodurch ein Zustand von Träumerei beim Zuschauer entstehe (S. 211). Filmbilder würden im Medium eines frühkindlichen Erlebniszustandes rezipiert und als Befriedigung aller vitalen Bedürfnisse interpretiert (ebd.). Diese Erfahrung kann der Rezensent nicht teilen: Nicht einmal in den Nachmittagsvorstellungen für Kinder ist dies anzutreffen. Auch sind Filmbilder viel mehr als Ersatz, sie sind oft Ersatz für etwas dessen original nie existiert hat. Auf der Metapher vom Ersatz beruht dann auch beim zu Zeugen genommenen Leuschner die zur Filmsucht (S. 311). Es wird daraus gar die Entstehung »eines regressiven Film-Ichs« (S. 311 f) abgeleitet. Hat jemand, der Schiffe sammelt dann ein regressives Schiffs-Ich? Inhaltlich geht es bei dem Film von Marc Foster um den Übergang zwischen Leben und Tod. Dies wird mehrfach von Zwiebel erwähnt und variiert, nicht aber an der Beschaffenheit des Films selber herausgestellt. Der hier vorliegenden Analyse könnte auch eine Erzählung oder ein Roman zugrunde liegen. Die von Zwiebel reklamierte Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Tod in der Psychoanalyse, aber auch in der Gesellschaft, zu der der Film Anlass gebe, wird nur in den Raum gestellt, nur durch vielfältige Erinnerungs- und Erlebnisspuren des Autors dringend gemacht. Zwiebel nimmt dabei auch Bezug auf den Briefwechsel von Freud und Rolland, zitiert dabei etwas befremdlich Freud nach Zwiebel.

Ein Beitrag im Buch, der von Matthias Hirsch, der den Film Requiem von Hans-Christian Schmid zum Gegenstand hat, befindet sich, so schreibe ich zugespitzt, im falschen Buch. Der Film, das Filmische, kommt so gut wie nicht vor. Der Film ist lediglich Transportmittel eines Inhaltes, der auch auf andere Weise zum Hintergrund für äußerst lesenswerte, psychoanalytische Erörterungen zum Fall der Anneliese Michel aus Klingenberg am Main, die nach 67maligem Exorzismus starb, auf die der Film offenbar Bezug nimmt. Es wird ausführlich und gut nachvollziehbar erörtert, wie eine aus den Anforderungen gesellschaftlicher Differenzierung herausgefallene religiöse Praktik, der Exorzismus, zur tödlichen Gewalt umschlägt. Dagegen wird von Hirsch Übersetzungsarbeit geleistet in das, was Psychoanalyse als Alternative zur Verfügung stellen kann.
Vielleicht tritt neben der Psychoanalyse manchmal Film an die Stelle des Exorzismus.



Die Rezension darf hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion des Biss-Magazins (www.biss-magazin.de) veröffentlicht werden.

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