Rezension zu Rache
Psychologie heute
Rezension von Ursula Richter
»Wer Rache übt, zerstört sein Haus.« Dieses Zitat am Anfang des
Buches ist richtungsweisend für eine Definition von Rache, wie sie
die Autoren verstehen: Rache zerstört nicht nur denjenigen, den sie
trifft, sondern auch den, der sie ausübt. Und sie entspringt einer
Qual: dem nicht geheilten Trauma, durch das sie auch in Gang
gesetzt wird, um immer weiter zu wachsen, somit weiter zu
zerstören, weiter Unheil und Schaden anzurichten. Mit ihrem Modell
der Rachespirale zeigen die Autoren den »Teufelskreis wiederholter
Racheaktionen«, in dessen Verlauf der Täter später selbst zum Opfer
von Rachehandlungen wird.
Zudem kann jeder Mensch grundsätzlich zum Täter werden:
Denn wir alle sind den wesentlichen, »Brutstätten« für Rache
unausweichlich ausgesetzt: der Familie und der Gruppe. Immer, wenn
die Beziehungen zwischen den Betroffenen von extremer
Unterdrückung, von Überund Unterordnung statt von
Gleichberechtigung gekennzeichnet sind, wirken Kräfte, die auf
Rachehandlungen sinnen lassen.
Die Autoren räumen ein, dass Rache mehrdeutig sei, und tasten die
Begriffe Revanche, Büßenlassen, Rehabilitation, Genugtuung nach dem
Kerninhalt »Rache« ab. Das Wort Rache sei zudem von einer Vielzahl
verwandter Begriffe ‑ wie etwa Neid, Rivalität, Entwertung,
Vergeltung ‑ umgeben. Doch sie bleiben dabei: Rache ist im Kern
eine primitive psychische Kraft und kann deshalb auch zu primitiver
Brutalität beitragen, sowohl in Beziehungsdramen als auch bei
kollektiven Tragödien.
Aber kann Rache der Schlüssel zum Verstehen von extremer Gewalt und
Völkermord sein? Auch in diesem Zusammenhang wollen die Autoren
Rache als Kernpunkt allen Übels entlarven. Hier scheint ein Blick
in die Biografie der Autoren angebracht: Beide sind als Kinder von
Verfolgten nach Schweden gekommen. Tomas Böhm forscht und schreibt
über Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Suzanne Kaplan untersucht
das individuelle Erleben extremer Traumatisierung in
Genozidzusammenhängen. Interviews mit Jugendlichen, die den
Völkermord von 1994 in Ruanda überlebt haben, und die Studien über
die Täter nennen die Autoren als Ausgangspunkt ihres Interesses am
Phänomen der Rache. Diese lebensgeschichtlichen Voraussetzungen
formen und leiten ihr Anliegen, die Geschehnisse und
Traumatisierungen um Gewalt, Verbrechen und Völkermord zu
entschlüsseln und die schrittweise entstehende Kultur der
Grausamkeit, in der das Töten »gelernt« wird, verstehen zu
lernen.
Man gewinnt den Eindruck, als ließen sich die Strukturen von
Alltagsrache einfach auch auf brutales Genozidgeschehen übertragen.
Das allerdings halte ich für einen missglückten Versuch. Rache kann
nur als ein mögliches Motiv für die Ausübung von extremer
Gewalt betrachtet werden, sei es nun auf individueller oder auf
Völkerebene.
Die Mechanismen, die Dynamik von Alltagsrache, die mit den Worten
der Autoren »so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen« sei,
sind analytisch einfach nachzuvollziehen. Hingegen ist das
Völkermordgeschehen zu komplex, um es einseitig mit Rache zu
erklären.
Extrem vernachlässigt wird der geschlechtsspezifische Aspekt von
Rache. Diese wird mit Männergewalt gleichgesetzt. Die Frau kommt
als Täterin nicht vor, lediglich als Opfer männlicher Gewalt und
als diejenige, die sich durch Widerstand, etwa indem sie den Mann
verlässt, angeblich der Rachespirale entziehen kann. In der
traditionellen Sozialisation, wie sie den Autoren ja vorschwebt als
Brutstätte für Rache, wird eine Aufforderung, sich zu rächen, eher
an männliche Kinder gegeben. Mädchen werden zur Zurückhaltung, zu
Verständnis und zur Empathie angeleitet. Doch beide, Junge und
Mädchen, empfinden eine Verletzung gleichermaßen. Wenn (und weil)
die Eltern ein unterschiedliches Verhalten von Mädchen
und Jungen erwarten, entwickeln beide Geschlechter unterschiedliche
Rachestrategien und ‑formen. Dies bleibt im Buch unerwähnt.
Ziel des Menschseins ist ‑ auch in der Vorstellung der Autoren ‑
die Entwicklung zum bewusst verzichtenden Rächer, zu einem
Individuum, das Verletzungen, Demütigungen, Kränkungen und
Gewalthandlungen nicht mit gleicher Münze zurückzahlen muss, um
seine Selbstachtung wiederzufinden. Vielmehr schafft es sich
idealerweise (mentalen) Raum, um über erlittenes Leid und
empfundene Rachefantasien zu reflektieren, unterbricht somit die
Rachespirale und kann schließlich auf handelnde Rache
verzichten.
Kränkungen, Verletzungen, Demütigungen kann man im alltäglichen
Leben nicht verhindern. Es ist zu überlegen, wie man darauf
reagiert. Im Normalfall ist eine erste Reaktion das Verbalisieren
der Kränkung, somit den Verursacher wissen zu lassen, dass er sich
kränkend, verletzend, demütigend verhalten hat. Gleichzeitig ist es
wichtig, ihm zu zeigen, dass man eine Wiedergutmachung, eine
Entschuldigung erwartet und eine weitere Kränkung nicht hinnehmen
wird. Das ist eine Chance zur Versöhnung, zum Herstellen von
Frieden. Auf diese Basisgedanken stößt man erst am Ende des Buches
in der angefügten abschließenden Diskussion der Autoren.
Doch ein Gedanke fehlt: Wenn die »Warnung« missachtet wird, ist die
Rachehandlung eine Möglichkeit, Grenzen zu ziehen, Achtung
einzufordern und Selbstachtung zurückzugewinnen. Das könnte ein
Beitrag zur Zähmung der Rachelust sein, statt des matten Klischees
der Autoren, man zeige wahre Stärke, indem man auf die Rache
verzichte.