Rezension zu Empirische Forschung in der Psychoanalyse (PDF-E-Book)
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Rezension von Arnold Langenmayr
Thema
Mit dem von Poscheschnik herausgegebenen und unter Beteiligung
zahlreicher namhafter Wissenschaftler zustande gekommenen Werk
liegt erneut in jüngerer Zeit eine Arbeit vor, die sich mit der
Frage beschäftigt, wieweit psychoanalytische Thesen orthodox
empirischer Forschung zugänglich sind, wieweit sie dies überhaupt
sein sollen und welche Ergebnisse der empirische Zugang evtl.
erbringen kann. Der behandelte Gegenstand reicht von theoretischen
Erörterungen, wie Psychoanalyse überhaupt verifiziert werden kann,
bis hin zu konkreten Ergebnissen etwa der Traumforschung, der
Evaluation psychoanalytischer Therapie usw.
Inhalt
Methodisch gut aufgebaut beginnt der einleitende Artikel von
Poscheschnik mit der prinzipiellen Frage empirischen Zugangs zur
Psychoanalyse. Die sehr moderate Vorstellung des Autors ist etwa
gut wiedergegeben in seinen Äußerungen, dass es wenig sinnvoll sei,
»die Psychoanalyse, die eine ganze wissenschaftliche Disziplin
umfasst (Theoriengebäude, Forschungsmethoden, Anwendungsgebiete,
Scientific community, Profession, Kulturkritik), in ein
Prokrustesbett eiserner Regeln zu pressen. Zum anderen gilt es der
Vielfalt der von der Psychoanalyse untersuchten Sujets, die jeweils
einer gegenstandsadäquaten Spezialisierung von epistemologischen
und methodischen Strategien bedürfen, Rechnung zu tragen« (S. 39).
Poscheschniks eher allgemein gehaltene Forderungen kann man damit
auch durchaus unterstreichen: möglichst große Exaktheit
psychoanalytischer Konzepte, Offenheit psychoanalytischer Theorien
für Modifikationen, Reflexion des gesamten Forschungsprozesses in
der Psychoanalyse, Bereitschaft zu intra- und interdisziplinärem
Dialog, Adäquatheit, Triangulation und Transparenz des methodischen
Vorgehens.
- Der folgende Abschnitt von Gerd Rudolf beschäftigt sich mit der
Sozialisation des Psychoanalytikers, mit dem spezifischen Zugang
der Psychoanalyse zur Forschung, der immer auch die eigene
Erfahrung in Rechnung stellt, und weist auf die Diskrepanz zwischen
psychoanalytischem Selbstverständnis einerseits und Außensicht der
Psychoanalyse andererseits hin. Ähnlich sieht die Stellungnahme von
Siegfried Zepf im nächsten Absatz aus: »Anstatt die
Psychotherapieforschung auf eine einheitswissenschaftliche
nomologische Methodologie zu verpflichten, wären die Forscher gut
beraten, wenn sie das Verhältnis von Theorie, Behandlungsmethode
und -gegenstand einzelner Verfahren prüfen und daraus
verfahrensspezifische Kriterien für die Durchführung empirischer
Untersuchungen und die Evaluation der Ergebnisse entwickeln würden.
Dann könnte sich ihnen auch erschließen, dass sich diese
Behandlungen einer nomologischen Überprüfung schon aufgrund ihrer
Besonderheit prinzipiell entziehen. Weil die qualitativen
Forschungsansätze ohne epistemologische Selbstaufklärung geblieben
sind und sich deshalb allesamt im Verhältnis von Gegenstand,
Methode und Theorie verheddern, entzieht sich auch ihnen diese
Besonderheit des psychoanalytischen Verfahrens« (S. 103). Zepf
unterzieht hier auch Arbeiten von Kächele, die auf ihn wie eine
»Mixtur aus kritischem Rationalismus, computergestützten
Konstrukten und Nomologie« (S. 103) und solche von
Leuzinger-Bohleber et al. als Mischung aus cognitive science,
Tiefenhermeneutik und Nomologie (S. 103) einer deutlichen
Kritik.
Im Mittelteil des Buches folgen nun eine Reihe von empirischen
Untersuchungen, beginnend mit experimentellen Studien zur
Freudschen Lehre von Widerstand und Verdrängung (Thomas Köhler).
Untersuchungen zur Reaktion auf Stimuluswörter, auch zu Messungen
der elektrischen Hautleitfähigkeit finden hier ebenso Beachtung wie
eigene Untersuchungen des Autors zu Assoziationen und Erinnerungen.
Beispielhaft für die Freud eher bestätigenden Ergebnisse sei kurz
erwähnt: »Assoziationen, die eher als aversiv eingestuft wurden,
zeigten bei ihrer Produktion eine längere Latenz (Indikator des
Widerstands); hingegen unterschieden sie sich hinsichtlich der
begleitenden physiologischen Erregung (SCR) im Mittel nicht von
neutral oder positiv eingeschätzten Assoziationen. Wie schon oben
angemerkt, ist dies aber auch nicht zu erwarten und ist als Befund
für Freuds Theorie des Widerstands irrelevant. Weiter ergab sich,
dass als negativ eingeschätzte Assoziationen leichter vergessen
wurden; das war sowohl in der Gruppe der Fall, die zur
unmittelbaren Reproduktion der Assoziationen aufgefordert wurde als
auch in der anderen Gruppe, deren Erinnern erst nach einer Woche
überprüft wurde. Diese Befunde wären auch nicht mit Walkers
Aktionsverminderungs- Theorie zu erklären« (S. 118).
Tamara Fischmann und Wolfgang Leuschner wenden sich
Laboruntersuchungen zum Traum zu. Insbesondere halten sie die
Theorie der Tagesreste im Anschluss an Pötzls Untersuchungen und
eigene Replikationen für nicht bestreitbar. Bezüglich der
Wunscherfüllung im Traum vertreten sie eher die Auffassung, dass
diese nicht widerlegt, aber auch schwer zu beweisen sei.
Eine spannende Kontroverse um die Bedeutung der Kleinkindforschung
für die Psychoanalyse stellt der Abschnitt von Martin Dornes (Ist
die Kleinkindforschung irrelevant für die Psychoanalyse?) im
Folgenden dar. Durchaus beeindruckend, wenn auch nicht unbedingt zu
teilen, scheint die Einstellung von Dornes zum wissenschaftlichen
Vorgehen generell. Ein Zitat macht die Sicht der Dinge deutlich:
»Wissenschaftliche Erkenntnisse sind meist schlechter als ihr Ruf.
Sie sind oft strittiger Natur. Trotz seines hohen Ansehens ist
wissenschaftliches Wissen fast immer anfechtbar« (S. 166, Zitat
stammt von Stehr 2000). Allerdings ist sein Hinweis durchaus
überlegenswert, dass vieles an wissenschaftlichen Publikationen die
Folge von Macht, Konvention, Zeitgeist auf der einen Seite ist und
eine Folge von Wahrheit auf der anderen Seite. Jeder, der
beobachtet, wie sich wellenförmig manche Ergebnisse kumulieren,
dann plötzlich restlos in der Versenkung verschwinden um 20 Jahre
später erneut als große wissenschaftliche Errungenschaft gefeiert
zu werden, kann ihm nur beipflichten. Arbeiten aus dem Bereich der
Bindungstheorie (Kai von Klitzing) oder zur
Entwicklungspsychopathologie (Peter Fonagy und Mary Target) runden
diesen entwicklungspsychologischen Ausblick ab.
Den vierten und letzten Teil stellt die psychoanalytische
Therapieforschung dar mit Beiträgen von Falk Leichsenring zur
Wirksamkeit verschiedener psychoanalytischer Therapieansätze und
ihrem Einsatz bei verschiedenen Störungsbildern. Untersuchungen zum
körperlichen Verhalten und zum interaktiven Geschehen im
psychotherapeutischen Behandlungszimmer (Ulrich Streeck) sowie zu
Emotions-, Ausdrucks- und Interaktionsforschung (Rainer Krause)
sowie zur klinischen Emotions- und Interaktionsforschung (Eva
Bänninger-Huber) runden diesen Teil gelungen ab.
Es folgen noch einige eher als ergänzend gedachte Artikel über die
Dynamik des Erlebens in der Patientenerzählung (Brigitte Boothe),
den Dialog zwischen Bindungsforschung und Psychoanalyse (Anna
Buchheim) sowie zur operationalisierten psychodynamischen
Diagnostik (Gerhard Schüßler und die OPD-Arbeitsgruppe).
Diskussion
Schon bei der Ankündigung des Buches rieb ich mir etwas verdutzt
die Augen, weil ich nicht recht wahrhaben wollte, dass sich in
letzter Zeit plötzlich in der bundesrepublikanischen Literatur,
ebenso aber auch in der gesamten westlichen Literatur, Arbeiten zur
Beziehung zwischen Empirie und Psychoanalyse sowie empirische
Forschungsarbeiten häufen, die die Psychoanalyse keineswegs nur
verteufeln, sondern zum großen Teil bestätigen. Dass plötzlich
psychologische Forscher, die sicherlich mit Psychoanalyse in ihrem
Leben wenig konfrontiert waren, experimentelle Arbeiten gerade zu
psychoanalytischen Thesen konzipieren und dabei ihre Empirie
keineswegs nur nutzen, um nichts herauszufinden, sondern sie
überwiegend zu überzeugenden Belegen Freudscher Ansätze kommen, ist
in der Tat mehr als erstaunlich. Es mag aber gerade eine Bewegung
außerhalb der Psychologie gewesen sein, die auch psychologische
Empiriker aufmerksam gemacht hat, dass bezüglich der Psychoanalyse
in den letzten Jahrzehnten an den Universitäten eine
Diskriminierungskampagne stattgefunden hat, wie bei kaum einem
anderen Bereich der Psychologie. So mögen unübersehbare Ergebnisse
aus dem Bereich der Neurologie, die zu einer Bestätigung der
Konzepte von Verdrängung und Widerstand führten, ebenso eine Rolle
gespielt haben wie die Wiederaufnahme längst vergessener Arbeiten
etwa zur Traumforschung mit verbesserten experimentellen Ansätzen,
die dennoch zu keinen anderen als den früheren bestätigenden
Ergebnissen kamen.
Das Buch ist absolut lesenswert für jeden, der der Psychoanalyse
nicht auf der Basis von Vorurteilen, sondern von sachlicher
Auseinandersetzung begegnen will, für jeden, der empirischen
Arbeiten aufgeschlossen gegenübersteht, aber auch für jeden, der
ihnen gegenüber skeptisch ist und seine Skepsis einmal an einer
sehr ausgefeilten Diskussion überprüfen will, um sie bestätigt oder
widerlegt zu finden.
Die Highlights des Buches waren für mich einmal die Diskussion um
den Sinn, mit empirischen Methoden Psychoanalyse anzugehen. Wenn
dabei gelegentlich Thesen aufschimmern (Forderung nach anderen
wissenschaftlichen Evaluationskriterien für die Psychoanalyse als
für andere Wissenschaftspositionen), die die frühere Kritik an der
Psychoanalyse nachvollziehen lassen, so ist dies beileibe nicht
nachteilig, zumal viele andere Stellen des Buches andere Meinungen
wiedergeben und gerade die Bandbreite der Einstellungen zur
Beziehung zwischen Empirie und Psychoanalyse zu kennen für den
Leser äußerst interessant und spannend ist.
Der zweite Bereich, bei dem ich dem Buch insgesamt sehr viel
abgewinnen konnte, ist die Arbeit zur Traumforschung, die Freuds
Ansatz in einem durchaus freundlichen Licht erscheinen lässt.
Bemerkenswert ist auch der Abschnitt über Evaluation
psychoanalytischer Therapie, der auch im Gegensatz zu von außerhalb
der Psychoanalyse stammenden kritischen Äußerungen zeigt, dass die
Psychoanalyse ihre Bewährungsprobe auch als praktisch angewandte
Therapie bestanden hat und dass sie sich – modifiziert durch
Neuerungen wie z.B. Kurzzeit- und Fokaltherapien sowie durch die
Anwendung auf verschiedene Symptome und Syndrome – im Vergleich mit
anderen Therapien beileibe gut behaupten kann.
Fazit
Man könnte resümieren, dass die Anwendung empirischer Methoden auf
psychoanalytische Thesen durchaus nicht zu für die Psychoanalyse
ungünstigen Resultaten führen muss. Vielmehr können notwendige
Korrekturen an der Psychoanalyse von daher initiiert werden. Zum
anderen zeigt sich aber auch insgesamt ein durchaus erfreuliches
Bild der Ergebnisse für die Psychoanalyse. Man kann dem Verlag nur
beipflichten: »Aufgrund guter empirischer Fundierung
psychoanalytischer Theorie und Praxis kann die Wissenschaftlichkeit
der Psychoanalyse mittlerweile offensiv vertreten werden«.
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