Rezension zu Das Vermächtnis annehmen
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Rezension von Georg D. Henn
Nicht die DDR, sondern das »Dritte Reich« war die mörderischste
Diktatur des 20. Jahrhunderts – Brigitta Huhnkes und Björn
Krondorfers Sammelband »Das Vermächtnis annehmen«
Dass es keine allgemeinen Formen des Erinnerns an die Shoah gibt,
kann nicht oft genug betont werden. Brigitta Huhnke und Björn
Krondofer versuchen dies in ihrem Sammelband »Das Vermächtnis
annehmen. Kulturelle und biographische Zugänge zum Holocaust –
Beiträge aus den USA und Deutschland« bewusst zu machen. »Im
deutschen Diskurs über Holocaust und Nationalsozialismus vermissen
wir im Wesentlichen zwei Punkte: Zum einen fehlt uns das
Bewusstwerden darüber, wie die unterschiedliche Herkunft derer, die
in den Holocaust involviert waren, d.h. die Frage, ob sie zu den
Opfern, Tätern oder Mittäterinnen gehörten, auch die privaten und
gesellschaftlichen Formen des Sich-Erinnerns bzw. der Abwehr und
Amnesie geformt haben. Diese unterschiedliche Zugehörigkeit prägt
unseres Erachtens weiterhin die Nachfolgegenerationen«, schreiben
die Herausgeber in der Einleitung. »Deshalb möchten wir zum anderen
darauf hinweisen, wie sehr noch immer familienbiographische
Verbindungen zum Holocaust auch in deutscher Politik, Kultur und
Wissenschaft ausgeblendet werden.«
Der Band enthält unter anderem Beiträge von Historikern,
Psychoanalytikern und Literaturwissenschaftlern, ein dem typischen
Betroffenheitsjargon verpflichtetes Grußwort der FDP-Politikerin
Hildegard Hamm-Brücher und einen Aufsatz des international
bekannten Holocaust-Forschers und Professors für English and Judaic
Studies an der Universität Amherst (USA) James Y. Young. Angesichts
der nach dem Mauerfall in Deutschland 1990 forciert begonnenen
›Konkurrenzerinnerung‹ an deutsche Opfer und die Geschichte der DDR
warnt Young davor, dass Deutsche dazu tendieren könnten, »nach
›einem Schlussstrich unter die Vergangenheit‹ zu suchen«.
So erinnert er etwa an Helmut Kohls fatale Geste, als dieser im
ehemaligen KZ Buchenwald »lediglich Blumen für die Opfer des
NS-Terrors niederlegte«, für die 8.000 bis 13.000 Deutschen, die im
selben Lager nach 1945 unter der Ägide Stalins umgekommen waren,
jedoch gleich einen großen Kranz spendete. Huhnkes und Krondorfers
Band erschien bereits im Jahr 2002 – inzwischen hat sich die
Differenzierungsleistung deutscher Erinnerungskultur, die in ihrem
Buch angemahnt wird, keineswegs erfüllt. Die Lektüre lohnt sich
also nach wie vor.
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