Rezension zu Die kultursensible Therapiebeziehung
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Rezension von Olga Petscherski
Die Psychotherapie mit Klienten anderer Herkunft scheitert häufig
schon zu Beginn an kulturellen Missverständnissen. Dieses Buch
beleuchtet mögliche Ursachen, die die therapeutische Beziehung
stören können, und bietet ein Arbeitsmodell für den kultursensiblen
Umgang mit Patientinnen und Patienten an.
Stammen Klient und Therapeut aus unterschiedlichen Kulturen, haben
sie potenziell verschiedene Ansichten über persönliche Probleme,
soziale Konflikte oder Lebensziele. Wenn sich dazu noch Symptom-
und Krankheitsverständnis, gegenseitige Rollenerwartungen und
dadurch die möglichen Vorgehensweisen und Lösungswege in der
Therapie unterscheiden, kann die anfängliche neutrale »Fremdheit«
auf beiden Seiten zu wiederholten Missverständnissen und
Enttäuschungen bis hin zum Kontaktabbruch führen.
Dieses Buch basiert auf einer Studie, in der zwölf türkischstämmige
Klienten und ihre Therapeuten zu Besonderheiten der
interkulturellen Therapiebeziehung befragt wurden. Anhand von
Fallbeispielen werden mögliche Störungen bzw. Lösungen für
therapeutisch Tätige praxisnah veranschaulicht.
Im theoretischen Teil beschäftigt sich die Studie zunächst mit der
psychosozialen Versorgung von Migranten, die die gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen für Psychotherapie bildet. Es wergen Annahmen
dargestellt, warum Migranten, die eine erhöhte Gesundheitsbelastung
aufweisen, unproportional in stationären, teilstationären und
ambulanten Einrichtungen bzw. niedergelassener Praxis anzutreffen
sind. Als Ausgangspunkt wird das Barrierekonzept von Geyer (2000)
zugrunde gelegt, das ursprünglich einen Erklärungsansatz für den
geringen Zugang von deutschen Klienten aus niedrigen sozialen
Schichten in die psychotherapeutische Versorgung lieferte.
Der zweite Theorieabschnitt behandelt die therapeutische Beziehung.
Es werden sowohl Befunde aus der Wirkfaktorenforschung als auch
exemplarisch Konzepte der therapeutischen Beziehung und Faktoren
der Therapiebeziehung, die aus dem Generischen Modell von Orlinsky
und Howard (1988) hervorgehen, dargestellt (Rapport, Kommunikation,
gegenseitige Bestätigung, Rollenbeteiligung). Anschließend werden
Grundzüge psychoanalytischer bzw. verhaltenstherapeutischer
Beziehungsmodelle aufgegriffen und verglichen. Im letzten Abschnitt
werden die Themenbereiche Kultur und therapeutische Beziehung
zusammengeführt und der Forschungsstand zur interkulturellen
Therapiebeziehung vorgestellt.
Der methodische Teil beginnt mit der Formulierung der
Forschungsfragen, es folgt eine Einführung in das zugrunde liegende
qualitative Forschungsparadigma. Der qualitative Forschungsansatz
gilt als besonders geeignet, wenn ein wenig untersuchter Gegenstand
bzw. prozessuale Abläufe im Fokus stehen, wie es bei der
interkulturellen Therapiebeziehung der Fall ist. Es folgt die
Darstellung der Forschungsstrategie mit dem halbstrukturierten
Interview (Hopf 2004) und der Repertory Grid Methode nach George
Kelly (1955/1983).
Im Ergebnisteil folgt zunächst die Darstellung einzelner Dyaden
geordnet nach drei Gruppen: a) Therapien bei muttersprachlichen
TherapeutInnen mit Migrationserfahrung und interkultureller
Expertise, b) Therapien bei deutschsprachigen TherapeutInnen ohne
interkulturelle Expertise und c) Therapien bei deutschsprachigen
TherapeutInnen mit interkultureller Expertise. Diese
Einzelfallbezogenen Analysen der untersuchten Dyaden können später
beim Lesen des fallübergreifenden zweiten Ergebnisteils zur
Vertiefung von Hintergrundinformationen herangezogen werden. Auf
der Einzelfallebene gehen auch ergänzende Ergebnisse der Repertory
Grid-Befragung ein. Nach der Einzeldarstellung der Dyaden schließt
eine zusammenfassende Analyse von Hintergründen bzw. Zugangswegen
an.
Hierzu folgt ein Interviewauszug zu dem Aspekt »Erwartungen und
Befürchtungen der KlientInnen« der interkulturellen
Therapiebeziehung: Bei den Antworten auf die Frage nach den
Erwartungen der KlientInnen gegenüber einer Psychotherapie fällt
auf, dass sie vor allen Dingen zu Beginn der Therapie häufig keine
konkrete Erwartungshaltung haben: P: »Am Anfang hatte ich, ehrlich
gesagt, keine Erwartungen, wenn ich offen sein soll. Denn
letztendlich ist Psychotherapie eine Therapie, die keine besonderen
Medikamente benötigt, sondern mit Worten seelische Zustände und
höchstens mit Beruhigungsmitteln eine Reihe von Dingen zu
verwirklichen versucht. Aber wenn das Problem weiter besteht,
bleibt dieses Problem bestehen, trotz der Psychotherapie. Zum
Beispiel, wenn ich 1000 Euro Schulden habe, dann bleibt das
bestehen trotz der Psychotherapie. Aber Herr […] (Name des
Therapeuten) schafft es, mich auch in diesen Situationen zu
beruhigen. Als ich ihm von meinen finanziellen Sorgen erzählt habe,
half mir Herr […] (Name des Therapeuten) mit einer Geschichte, wenn
Sie wollen erzähle ich sie Ihnen gerne« (Herr Ö., Abs.18; Türkisch
im Original).
Anschließend werden alle Kernergebnisse in der fallübergreifenden
Analyse von Dyaden anhand eines Modells der kultursensiblen
Therapiebeziehung vorgestellt und diskutiert. KlientInnen und
TherapeutInnen favorisieren unterschiedliche Faktoren als bedeutsam
für eine günstige Therapiebeziehung: Klientinnen: 1. Ausstrahlung,
Achtsamkeit, Einfühlungsvermögen, Offenheit 2. Berücksichtigung
kultureller und migrationsspezifischer Differenz 3. Passende
Lösungen 4. Erfahrung 5. Erfolg
TherapeutInnen: 1. Souveränität, Selbstbestimmung 2.
Selbstreflexion, Veränderungsbereitschaft 3. Beziehungs- und
Kommunikationsfähigkeit 4. Empathie 5. Kulturdifferenz,
-kompetenz.
Im Leitfadeninterview fällt auf, dass sich PatientInnen und
TherapeutInnen meist zufrieden bis sehr zufrieden über ihre
Therapiebeziehungen äußern. TherapeutInnen in langen
Therapiebeziehungen werden tendenziell besser von ihren KlientInnen
bewertet. In der vorliegenden Untersuchung sind lange Therapien
häufiger bei TherapeutInnen mit viel interkultureller Erfahrung
anzutreffen, unabhängig davon, ob sie auf Türkisch oder auf Deutsch
arbeiten. Therapeuten ohne interkulturelle Erfahrung brachten mit
einer Ausnahme KlinetInnen mit kurzer Therapiedauer in die
Untersuchung ein. Dieser Umstand ist u.a. damit zu erklären, dass
diese Dyaden häufiger im stationären als im ambulanten Rahmen
zustande kamen. In interkulturellen Beziehungen treten v.a. zu
Beginn Störungen auf, wenn Therapeuten wenig Arbeitserfahrung mit
MigrantInnen haben. Erschwerend kommt hinzu, dass in
Regeleinrichtungen Strukturen fehlen, die die interkulturelle
Arbeit unterstützen. So ergeben sich z.B. schon sehr häufig
Störungen in der verbalen Verständigung, die zum Leidwesen aller
Beteiligten zu Verzögerungen in der Diagnosestellung und Behandlung
führen.
Ausgehend von den analysierten Problembereichen wird folgendes
Modell der kultursensitiven Therapiebeziehung vorgeschlagen. Es
weist die vier Ebenen »Reflexion von Erwartungen«, »Emotionale
Feinabstimmung«, »Kommunikative Feinabstimmung« und »Reflexion
kultureller Zuschreibungen« auf. Diese korrespondieren teilweise
mit den vier Faktoren »Rollenbeteiligung, Interaktive Koordination,
Kommunikative Abstimmmung und Gegenseitige Bestätigung« aus dem
Generischen Modell der Psychotherapie (Orlinsky et al. 1994).
Jedoch basiert das Generische Modell auf einer Metaanalyse von
Studien, in denen die kulturelle Herkunft von Klient und Therapeut
nicht differenziert wurde. Deshalb werden durch
Kulturverschiedenheit bedingte Beziehungsaspekte im Generischen
Modell weitgehend vernachlässigt.
Birsen Kahraman hat die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen
Untersuchung zur Qualität der therapeutischen Beziehung sehr klar
strukturiert, sodass auch der eigene Umgang mit kulturellen
Differenzen zum Überprüfen und Verändern angeregt wird. In der
vorliegenden Arbeit wurden KlientInnen türkischer Herkunft und ihre
TherapeutInnen zur Qualität und zu Besonderheiten ihrer
Therapiebeziehung befragt. Ziel war es, festzustellen, welche
spezifischen Störungen in Therapiebeziehungen bei
Kulturverschiedenheit auftreten und wie es den beteiligten gelingt,
Beziehungsstörungen zu bewältigen. Herausgekommen sind gut lesbare
Beispiele mit Verständigungsproblemen zwischen Therapeuten und
Klienten, in denen mit den Gemeinsamkeiten und Differenzen aber
auch positiv umgegangen wird.
Über die Autorin
Birsen Kahraman, Dr., Dipl.-Psychologin, Psychotherapeutin und
Dozentin arbeitete 2000-2008 beim Psychologischen Dienst für
Migranten in München und nun in eigener Praxis. Schwerpunkte:
Muttersprachliche Psychotherapie, Kultur- und Machtsensibilität,
interkulturelle therapeutische Kompetenz und interkulturelle
Öffnung der psychosozialen Einrichtungen.