Rezension zu Zeit der Macheten

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Rezension von Hans-Jürgen Heinrichs

Faszination von Auslöschungsideologien

Der französische Reporter Jean Hatzfeld veröffentlichte vor einigen Jahren Gespräche mit den Hinterbliebenen der Opfer des Genozids in Ruanda 1994. Die nun vorliegenden Aufzeichnungen entstammen den Begegnungen mit den Mördern, mit denen er in einem Gefängnis ohne Wärter und Aufseher sprechen konnte.
Zwischen dem 11. April, 11 Uhr, und dem 14. Mai, 14 Uhr, wurden allein in der Gemeinde Nyamata 50.000 der etwa 59.000 Menschen zählenden Tutsi-Bevölkerung von Leuten der Miliz und den eigenen Hutu-Nachbarn mit Macheten getötet, täglich von 9:30 bis 16 Uhr. Ihr Kommentar: »Wir erfüllten eine Arbeit, die uns aufgetragen wurde.«
Die Präzision der Angaben bis in die Details hinein gibt dem Leser das Gefühl, eine Art Augenzeuge der begangenen Verbrechen zu sein und zugleich, aus der Distanz heraus, die anthropologische Dimension des Geschehens zu begreifen, zumindest im Ansatz. Denn die scheinbare Banalität der Auslöschung, wie sie die Mörder zu vermitteln versuchen, berührt die Grenze des Erträglichen: Der eine »geht dem Anderen zur Hand« und »landet nach allen Seiten Treffer«.

Die Täter schienen sich sehr schnell an das gewöhnt zu haben, was ihnen aufgetragen wurde zu tun, so dass sie (wie in anderen vergleichbaren Auslöschungspraktiken auch, etwa in den Konzentrationslagern) den technischen Aspekt in den Vordergrund stellen: die präzise Planung und schnelle Durchführung. Praktisch hieß das: »... geradeaus in den Busch und losschlagen, und zwar sofort, ohne mit Fragen weitere Zeit zu vertun ... Töte und töte rasch, das ist alles.«

Ausblenden von Mitleid und Gefühl
Trotz aller historischen Unterschiede bei den verschiedenen Vernichtungsaktionen und der Durchsetzung der »Endlösungen« fällt neben der Hervorhebung technischer Abläufe die Tatsache auf, dass die Täter die höchst zweifelhafte Fähigkeit bewiesen, ihr alltägliches Leben inmitten ihrer grauenvollsten Zerstückelungs-Aktionen fortzuführen und jede Form von Mitleid und Gefühl auszublenden. Hatzfeld beschreibt und deutet diese Aspekte sehr überzeugend: Ist einmal der erste Schritt getan, nimmt alles weitere seinen Lauf, selbst wenn, wie in diesem Fall, die Mörder und Opfer die gleiche Sprache sprechen und die gleichen Gebräuche pflegen.

Zutiefst erschrocken musste Hatzfeld feststellen, dass die Täter unfähig waren, die geringste individuelle Schuld in ihrem Tun zu entdecken. Sie verstanden noch nicht einmal den Sinn dessen, was wir Sühne und Vergebung nennen. An diesem Punkt habe er sich entschlossen, teilt er mit, die Gespräche zu veröffentlichen und hinter dem konkreten Geschehen die universale Frage aufscheinen zu lassen, welche Schatten der weltweite Genozid auf die Zivilisationsgeschichte der Menschheit wirft. Orte und Szenarien im nationalsozialistischen Deutschland, auf dem Balkan, im sudanesischen Darfur oder in Ruanda, in Abu Ghraib und auf Guantánamo sind für immer unauslöschliche Imprägnaturen der Zivilisation, Vexierbilder der Barbarei. Sie bleiben es, auch wenn die Menschen mit allen Mitteln der Vertuschung und Streichung sogar in Lehrplänen versuchen, die Schande aus dem Geschichtsbewusstsein zu verdrängen.

Maschinengleiche Abläufe der Morde
Hatzfelds erste Studie »Nur das nackte Leben« hatte ihr Zentrum in der zeitlich sehr nahen intellektuellen und emotionalen Partizipation des Autors am Alltag des Horrors. Die geistige Durchdringung des Geschehenen gibt nun den Leitfaden für die Gespräche des zweiten Bandes ab: Dieser Völkermord, der so »wirkungsvoll« wie kein anderer war, ist ein »Nachbarschafts-Völkermord« und »landwirtschaftlicher Völkermord, um den Boden von den bäuerlichen Kakerlaken zu reinigen«. (Nach neueren Informationen weiß man, dass nicht 800.000 Tutsis insgesamt in Ruanda getötet wurden, wie Hitzfeld angibt, sondern wahrscheinlich bis zu einer Million.)

In der Beschreibung und Analyse der Techniken und maschinengleichen Abläufe der Morde steht Hatzfelds Buch einer ethnologischen Studie näher als einem journalistischen Bericht. Gleich einem Forscher fühlt er sich der von ihm aufgesuchten und beschriebenen Kultur verpflichtet. Wie dieser versucht er dem Ideal der Wahrheitsfindung in einer lang andauernden Teilhabe am fremden gesellschaftlichen und sozialen Leben gerecht zu werden. Dennoch beharrt Hatzfeld darauf, dass er lediglich einen Ausschnitt und nicht die Totalität der Gesellschaft vermittelt.

Vom Mensch zum Monster
Hans-Jürgen Wirth erörtert ergänzend in seinem äußerst differenzierten und bestens recherchierten Nachwort die anthropologische und psychoanalytische Dimension des Völkermordes (der auch noch in seinen monströsesten Ausformungen fundamentaler Bestandteil der Conditio humana ist). Und er präzisiert die Unterschiede zwischen der aggressiv-destruktiven Triebnatur des Einzelnen und der Kollektiv-Tat (mit ihrem geradezu grenzenlosen Machtrausch und Vernichtungswahn).

Das große Potential der Literatur – und Hatzfelds Buch ist Literatur in dem Sinne, in dem sie Hubert Fichte als Forschung (recherche) charakterisierte – ist es, Fragen aufzuwerfen, ohne die Notwendigkeit, Erklärungen und Antworten in einer strikt soziologischen oder historischen Terminologie geben zu müssen. So entsteht genügend Raum für die poetische Logik und deren Erkenntnisqualitäten.

Solange Auslöschungsideologien weltweit eine derartige dunkle Faszinationskraft ausüben, behält die Frage, wie sich gewöhnliche Menschen in solche Monster verwandeln können und wie sich die Banalität des Grauens etabliert, ihre mahnende Kraft und ihren Schrecken. Und dies angesichts der Abstraktheit der zugrundeliegenden Vernichtungs-Ideologien wie auch der erschreckenden Konkretion, wenn etwa Täter bekennen, dass sie unmittelbar, nachdem sie die Menschen getötet hatten, vergessen haben, wie viele es waren, und dass sie selbst einen Nachbarn wie einen Fremden zu töten in der Lage waren. Einmal heißt es: »Ich erschlug jemanden ..., der für mich gar kein gewöhnlicher Mensch mehr war... Letztlich ist ein Mensch ja auch wie ein Tier; du führst den Schnitt gegen den Kopf oder Hals, und er fällt von selbst um. Während der ersten Tage waren die im Vorteil, die schon mal Hühner und vor allem Ziegen geschlachtet hatten...«


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