Rezension zu Rache
Publik-Forum
Rezension von Dr. Norbert Copray
Verletzen und vetgelten
Der Rachespirale entkommt nur, wer Versöhnung wagt
»Rache? Damit habe ich nichts zu tun!« So die spontane Reaktion
vieler auf dieses Thema. Wer Sensibilität für die alltäglichen
Kränkungen und Verletzungen und die dazugehörigen Revanche-Gedanken
entwickelt, wird schnell bemerken: »Rache gehört so
selbstverständlich zum Alltag, dass ihr scheinbar keine Beachtung
geschenkt wird. Oft bekommt sie auch andere Namen:
Selbstverteidigung, Rivalität und Zorn.« So Tomas Böhm und Suzanne
Kaplan in ihrem Buch »Rache«. Er ist Arzt und Psychoanalytiker, sie
Psychoanalytikerin, beide in Stockholm tätig mit fundierter
Erfahrung auf dem Gebiet der Fremdenangst, der Vorurteile, der
Genozidforschung und Traumata-Behandlung.
Indem sich die beiden mit der Rache befassen, greifen sie einen
Stoff auf, aus dem sehr viele persönliche, gesellschaftliche und
staatliche Schwierigkeiten, Gewalttätigkeiten und Tragödien gewebt
sind – siehe Palästina, Balkan und Afrika. Das Buch ist ein
Glücksfall politischer Psychologie. Das Autorenteam lässt uns an
seiner Forschungsreise zu den Hintergründen, Abgründen,
Rechtfertigungen, zur Gestaltenvielfalt und zur Wahrnehmung von
Rache überhaupt, aber auch heilsamer Racheüberwindung
teilhaben.
Beide erkunden zum Beispiel persönlich und direkt vor Ort die
Folgen des Völkermords in Ruanda. Sie sprechen mit Opfern, Tätern
und Forschern weltweit, mit Paar-Therapeuten, Trauma-Therapeuten
und Sozialwissenschaftlern. Und sie greifen auf ihre
jahrzehntelange Arbeit mit Holocaust-Überlebenden und Nachkommen
von Holocaust-Überlebenden zurück.
Das Buch hat drei Teile: Die Rache und ihre Ursachen, die
Rachehandlung und der Verzicht auf Rache. Jeder Tell beginnt mit
exemplarischen Szenen aus dem privaten Bereich, die etwas über
Rachevorgänge aussagen – bis hin zum »Büßenlassen«, indem man
Menschen auflaufen und in eine Falle geraten lässt. Nach dem
Prinzip: Hauptsache, das Gefühl eines vermeintlich gerechten
Ausgleichs für eine empfundene Kränkung ist möglich! Im Gang durch
die Kapitel führen die Autoren durch eine Fülle von Erfahrungen,
Forschungsergebnissen, Einsichten und Folgerungen, die klarmachen,
wie zentral die Rache für bestimmte persönliche und
gesellschaftliche Abläufe ist, wie sehr privates und politisches
Leben davon mitgeprägt und abhängig ist.
Eine zentrale Bedeutung kommt der Rachespirale zu. Sie entsteht aus
der Verletzlichkeit, dem Vergleich mit anderen und aus dem Neid –
und führt in einem ersten Schritt zur Verletzung, Kränkung und
Diskriminierung des Gegenübers. Die zur Bearbeitung von Kränkung
und Demütigung nötigen Rache- und Ausgleichsgefühle samt der Wut
und den Rachefantasien sind zunächst der bio-psychischen
Ausstattung des Menschen geschuldet; doch dann entscheidet es sich:
Werden die Rachebedürfnisse tatsächlich in Rachehandlungen und neue
Kränkungen umgesetzt? Und wird damit die Rachespirale erst richtig
in Gang gebracht? Oder schafft und wagt die betreffende Person den
Schritt in einen Dialog? Akzeptiert sie den Hergang und setzt sie
Kräfte frei, um einen neuen »mentalen Raum« zu erschließen? Das
Buch zeigt schließlich, was der Racheverzicht bedeutet und welche
Schritte dabei helfen. Um nicht zu erleben, was der babylonische
Talmud sagt: »Wer Rache übt, zerstört sein Heim.«
Publik-Forum, Zeitung kritischer Christen, Oberursel, Ausgabe
4/2009