Rezension zu Der Körper in Interaktion
Zeitschrift für Individualpsychologie
Rezension von Bernd Kuck
Vor gerade einmal zehn Jahren fand das erste Wiener Symposium
»Psychoanalyse und Körper« statt. Peter Geißler berichtet in der
Einführung von den Schwierigkeiten, Referenten aus Österreich zu
finden. Die Absagen gründeten sich auf die Vorstellung, Körper sei
gleichzusetzen mit Agieren. Damit war gleichsam das Urteil
gefallen: Psychoanalyse findet nicht statt, denn die kann nur in
der Versagung gelingen. Alles was in Handlung einmündet muss als
Agieren abgelehnt werden. Die Österreicher sind auch zehn Jahre
später konservativ geblieben. Das sind die üblichen Dogmen, die
Neuanfänge und Innovation im Keim ersticken. Seit Ferenczi mit
handelnder Interaktion experimentierte und dabei auf wenig
Gegenliebe in der psychoanalytischen Gesellschaft stieß, ist der
Bannfluch ausgesprochen. Erst mutige Analytiker unserer Tage (wie
etwa Geißler, Heisterkamp, Moser) wagten es, die Schätze der
körperlichen Interaktion zu heben.
Keine Frage: Wird der Körper einbezogen, so ist große Umsicht
geboten, denn der Körper ist sozusagen die letzte Bastion in der
Abwehr. Und wo es an ausreichender psychischer Struktur fehlt, da
drohen durchaus Auflösungserscheinungen. Hier scheinen die Ängste
der klassischen Analyse eine ihrer Wurzeln zu haben. Dabei können
sie sich auf die ›psychischen Aus- und Einbrüche‹ berufen, die sich
in den 70er Jahren in Encountergruppen und an manchen
Gestaltwochenenden ereigneten. Inzwischen wird in der Psychoanalyse
mehr über den Körper nachgedacht. Aber eben nur nachgedacht oder
auch im phantasmatischen Raum über symbolische Bedeutungen
körperlicher Ausdrucksweisen reflektiert. Der Therapeut bleibt
dabei weitgehend sicher hinter der Couch, obwohl er bzw. sie
natürlich an der sich entwickelnden Interaktion beteiligt ist.
Handlungsdialoge können auf der unbewussten Ebene betrachtet und
gedeutet werden (Klüwer), sie können aber auch als aktiv
angebotene, sich aus dem Unbewussten entfaltende Handlungen
(Heisterkamp) äußerst hilfreich in den therapeutischen Prozess
einbezogen werden. So wird ein altes Wort von Alfred Adler ernst
genommen, wonach der Mensch in seinem Mitteilungsbedürfnis sich mit
allem ausdrückt, was ihm zu Verfügung steht – natürlich auch mit
dem Körper. Die sich unbewusst entfaltende Szene etwa eröffnet den
Zugang zu gut verdrängten Konflikten mit einer immer wieder
beeindruckenden Evidenz, die am ehesten mit dem Gesamteindruck
eines Bildes zu vergleichen ist, dessen Aussage sich uns u.U.
jenseits detaillierter Bildanalysen jählings erschließt.
Schon die Öffnung des Settings, d.h. die Einbeziehung des ganzen
Therapieraumes, die Möglichkeit Couch oder Sessel zu verlassen,
bieten neue Möglichkeiten. Das sind nicht immer spektakuläre
Ereignisse, wie etwa die Patientin, die Freud um den Hals fiel und
er sich aus der Situation nur durch das Eintreten des
Dienstmädchens retten konnte. Z.B. kann lange darüber gesprochen
werden, dass ein Patient in seiner Ehe die zeitweise Distanz in der
Abgegrenztheit der Einzelnen nicht gut ertragen kann. Es lassen
sich biographische Hintergründe aufzeigen, Deutungen werden
intellektuell erfasst aber nicht wirklich verstanden. Das Angebot,
einmal mit dem Therapeuten auszuprobieren, wie sich Nähe und
Distanz anfühlen, wenn sich der Therapeut auf den Analysanden im
Raum zubewegt, führt zu einem emotionalen Verstehen, wenn der
Analysand körperlich wahrnimmt, dass er es nicht aushalten kann,
wenn das Gegenüber in einem armlangen Abstand verharrt. Der
Analysand nimmt den physischen Impuls wahr, diesen letzten Abstand
verkürzen zu wollen, er den Analytiker am liebsten umarmen will.
Der Kommentar des Analysanden: «Jetzt verstehe ich Ihre Bemerkung,
ich könne wohl das Für-sich-Sein des anderen nicht ertragen.«
Wie Handlung zur Erkenntnisquelle in der psychoanalytischen
Therapie wird, davon gibt der vorliegende Band beredt Zeugnis. Die
hier gesammelten Aufsätze sind fast alle in der Zeitschrift
»Psychoanalyse und Körper« erstmals publiziert worden. Geißler
gliedert die Auswahl in drei Kapitel, womit er die Entwicklung von
der verbalen Reflektion körperlichen Geschehens hin zu aktiven
Handlungsdialogen nachvollziehbar macht. Im ersten Kapitel
(»Grundlagen«) finden sich theoretische, z.T. praktische
Reflektionen, die die Grundlagen umreißen. Im zweiten Kapitel
(»Übergangsformen«) steht der Körper zwar schon im Mittelpunkt,
dass Setting ist jedoch nicht grundsätzlich offen. Mit wenigen
Ausnahmen wird dem Patienten der Zugang zum Körper verbal
vermittelt. Im dritten Kapitel (»Der Körper in Interaktion«) wird
die unmittelbare körperliche Interaktion nachvollziehbar, wobei die
sich ergebenden Möglichkeiten und Schwierigkeiten plastisch
dargestellt werden, die ein solches Vorgehen für Patient und
Analytiker bereithalten.
Eine kleine Nachlässigkeit soll gleichwohl Erwähnung finden: Im
Aufsatz von Frau Volz-Boers, der im Übrigen Eingang fand in ihren
Beitrag im Lehrbuch der analytischen Körperpsychotherapie
(»Psychoanalyse der Lebensbewegungen«) findet sich eine
Absatzdoppelung (S. 97). Das hätte auch bei oberflächlicher
Korrektur vermieden werden können.
Der vorliegende Text eignet sich hervorragend zur Einführung in die
Thematik. Die Offenheit, zu der sich das Setting entwickelt hat,
spiegelt sich z.T. in der Offenheit der Darstellung der Autorinnen
wider, worin sich die Beiträge angenehm von den oft
schulmeisterlich anmutenden Darstellungen der »klassischen« Analyse
abheben.