Rezension zu Coaching an Schulen

Psychologie in Österreich

Rezension von Hannelore Kaserer

Die Gelegenheit, über ein Buch mit dem Titel »Coaching in Schulen« zu schreiben, hatte ich, die ich in der Institution Schule zum einen seit vielen Jahren als Lehrerin, Schulleiterin und seit kurzem als Schulaufsichtsbeamtin und zum anderen als Coach arbeite, von Beginn an als sehr reizvoll angesehen. Die Literatur zu diesem Bereich ist nach wie vor sehr überschaubar, was wohl auch mit den von der Autorin eingangs angeführten befürchteten und bzw. oder erlebten besonderen Schwierigkeiten externer Beraterlnnen im schulischen Feld zusammenhängen mag über falsche Erwartungen oder Was ist Coaching?

Dass nun mit Beate West-Leuer eine anerkannte Psychotherapeutin mit Arbeitsschwerpunkt in psychodynamischer Beratung, die darüber hinaus 10 Jahre als Lehrerin an einem Gymnasium gearbeitet hat, einen Beitrag zum Thema »Coaching an Schulen« vorlegt, bot Anlass zu zweifacher Hoffnung: Zum einen erwartete ich mir, meine eigenen Erfahrungen mit den Möglichkeiten und Grenzen von Coaching in Schulen mit den im vorliegenden Buch aufgezeigten vergleichen und zum anderen Anregungen für die Weiterentwicklung meiner eigenen beruflichen Praxis gewinnen zu können. Ich hoffte auf Berichte von Erfahrungen mit der Wirksamkeit »interner Coaches« und auf Beschreibungen von Veränderungsprozessen, die im Coaching von schulischen Führungskräften bearbeitet wurden. Da es mir ein besonderes Anliegen ist, Coaching als Professionalisierungsinstrument auch für Lehrerinnen (und nicht nur für Schulleiterlnnen) bekannt zu machen, war ich auch gespannt, welche Erfahrungen die Autorin mit Veränderungsprozessen von Lehrerinnen bisher gemacht hatte. »Change is a constant process, stability is an illusion« gilt insbesondere auch für den Lehrberuf und Changement-Prozesse betreffen nicht nur den Berufseinsteiger, und die Kollegin, die – oft nach Jahren – aus dem Karenzurlaub zurückkehrt und sich einer veränderten Schulrealität gegenübersieht, sondern z.B. auch jene, die ihren Unterricht in Richtung offener, individualisierender Lernformen umstellen wollen und mit den veränderten Rahmenbedingungen auch ihre eigene Rolle als Lehrerin hinterfragen und neu definieren müssen. Die Anlässe für Coaching im Schulbereich sind also zahlreich und – in meinem Verständnis – nicht auf die Anliegen von Schulleitungen beschränkt.

Um es gleich vorwegzunehmen: meine Hoffnungen wurden nicht erfüllt. Dass dies so ist, liegt vorrangig am meiner Ansicht nach irreführenden Titel des Buches. »Coaching an Schulen« ist – so heißt es auf der Buchrückseite – eine »psychodynamische Mikroanalyse einer schulinternen Lehrerfortbildung«, für die West-Leuer als Moderatorin eines zweitägigen Workshops fungierte. Diese Beschreibung wird dem Buch allemal gerechter als der dem beschriebenen Ablauf des Workshops von der Autorin im Nachhinein zugeordnete Begriff »(Gruppen- bzw. System-) Coaching«.

Ich möchte diese Einschätzung an zwei für mich wesentlichen Argumentationssträngen festmachen, die die bereits so oft gestellte Frage »Was ist Coaching?« ausleuchten. Die Versuche einer Beantwortung der Frage haben bislang kein befriedigendes Ergebnis im Sinne tatsächlich allgemeingültiger Standards erbracht. Dies macht notwendig, den je eigenen Standpunkt zu explizieren:

Ich beziehe mich in meinem Verständnis auf den »Österreichischen Dachverband für Coaching« (ACC), dem zufolge Coaching beschrieben wird als ein »interaktiver personenzentrierter Beratungs- und Begleitungsprozess im beruflichen Kontext, der zeitlich begrenzt und thematisch (zielorientiert) definiert ist. Die individuelle Beratung von einzelnen Personen, Gruppen oder Teams richtet sich auf die Arbeitswelt bezogene, fachlich-sachliche und bzw. oder psychologisch-soziodynamisehe Fragen bzw. Problemstellungen.« Die in der Definition ausdrücklich vorgesehene Variante des Gruppen-Coachings wird in der Literatur allerdings seit langem kritisch rezipiert: So erhebt Wolfgang Loos bereits in der 1. Auflage von »Coaching für Manager« grundsätzliche Kritik, indem er darauf hinweist, dass eine echte Grenzziehung zwischen Gruppen-Coachings und bereits vorhandenen Formen der auf Gruppen bezogenen Arbeit bzw. Beratung, wie z.B. Seminare, Workshops und Trainingsgruppen, kaum möglich ist. (vgl. 1991, S.156f.) Darüber hinaus bleibt fraglich, ob die für das Gelingen eines Coaching-Prozesses erforderliche Qualität der Beziehung zwischen Coach und Coachee, die sich u.a. durch Intimität und Neutralität auszeichnet, mit einer größeren Gruppe von Personen erreichbar ist. Astrid Schreyögg fixiert die maximale Größe einer Gruppe, die durch einen Coach so betreut werden kann, dass er bzw. sie allen Gruppenmitgliedern gerecht wird, mit 15 Personen. (vgl. 1999, 5. 209) Auf der Grundlage der Definition des ACC, die von individueller Beratung ausgeht, und unter Einbeziehung der genannten Argumente in Hinblick auf die besondere Problematik von »Gruppen-Coachings« kann die Leitung eines zweitägigen Workshops mit 26 Teilnehmerlnnen die Qualitätskriterien von Coaching nicht erfüllen.

In seiner Definition führt der »Österreichische Dachverband für Coaching« weiters aus: »...Coaching arbeitet mit transparenten Interventionen nach dem Prinzip des öffentlich Machens und dem impliziten Vermeiden manipulativer Techniken, die der Entwicklung der Eigenkompetenz und Selbstreflexion entgegenwirken würden.« Für mich beschreibt dieser Absatz ganz wesentlich ein Beratungssetting auf der Grundlage eines Menschenbildes, das davon ausgeht, dass der zu Coachende in seiner Welt autonom und kompetent d.h. »kundig« ist und als »Kundiger« und nicht als »Klient« eine Coaching-Beziehung eingeht. Das auf einem solchen Menschenbild basierende Beratungsverhältnis ist ein symmetrisches. Der Anspruch auf Transparenz und auf das Prinzip des Offentlich-Machens ist die zwingende Folge. In West-Leuers Beschreibung des Unterschiedes zwischen Coaching und dem therapeutischen Kontext ist zwar eingangs ebenfalls davon die Rede, dass der Klient im Coaching stärker als in der Therapie über die beabsichtigten Interventionen aufgeklärt wird (S. 23f.); welche Schwierigkeiten ihr Ansatz, den sie als »Anwendung der Psychoanalyse zu Beratungszwecken im Umgang mit psychischen und sozialen Systemen« beschreibt (S. 23), in der konkreten Umsetzung damit hat, zeigt sie selbst jedoch nachdrücklich auf. (S l07ff)

Dass sie die Grenzen zwischen Psychotherapie und Coaching fließend belässt, lässt sich darüber hinaus nicht nur an Formulierungen wie dieser ersehen »Die Akquiseveranstaltungen dienten für mich zur Datensammlung über latente Konflikte, Affekte, Abwehr- und Bewältigungsmechanismen« (S. 86), sondern auch an der zunehmenden begrifflichen Vermischung im Schlusskapitel »Erziehung ist Beziehung«.
(S. 164ff.)

Bilder von Schule

Der zweite Teil des Buches, der der Feldanalyse der gesellschaftlichen Funktion von Schulen und dereinzelnen Schule als System gewidmet ist, beginnt mit einem Zitat Freuds, in dem kulturelle Leistungen – und damit auch jene von SchülerInnen erbrachten – als das Ergebnis von Arbeitszwang und Triebverzicht beschrieben werden. Der äußere Zwang werde allmählich durch Idealbildung verinnerlicht. Diese Ideale entstehen auf der Grundlage der als befriedigend wahrgenommenen Leistungen des Individuums. In Erläuterung des Zitats konstatiert die Autorin, dass es Aufgabe des Lehrers bzw. der Lehrerin sei, »Schülerinnen und Schüler für Leistungen zu gewinnen, die zunächst einmal auch Unlust bereiten« (S.46) und manifestiert damit eine Sichtweise, die davon ausgeht, dass LehrerInnen ihre SchülerInnen zum Lernen erst motivieren müssten. An anderer Stelle wird sie noch deutlicher: »Die Schule ist ein psychosoziales System, in dem Menschen andere Menschen professionell verändern«. (5. 147) ich halte diese Grundannahmen für ebenso problematisch wie verhängnisvoll in ihren Konsequenzen. Problematisch weil sie das Konzept vom unmündigen Kind, das nur entlang der lenkenden Hand des Erwachsenen zum kompetenten und selbständigen Menschen heranwächst, weiter schreiben und verhängnisvoll, weil eine Pädagogik, die auf einem so defizitären Menschenbild beruht, gemäß der Prämisse »Wenn du nichts erwartest, wirst du nichts finden« wertvolle Potentiale von Kindern unerkannt lässt. Nicht nur meinen langjährigen Erfahrungen als Pädagogin zufolge ist der Wunsch nach Kompetenzerweiterung ein dem Menschen von Anfang an innewohnender Antrieb, der nicht erst durch »äußeren Zwang« oder entsprechende Motivation durch Erwachsene herbeigeführt werden muss. »Wir wissen, dass wir das Kind nicht laufen machen, nicht lesen machen, nicht riechen, nicht sehen; wir machen es auch nicht selbständig. Wenn also das Kind die Anlage und die Fähigkeit von Natur aus mitbringt, ein selbständiger verantwortlicher Mensch zu werden, dann kann die Aufgabe des Lehrers nur lauten: hilf dieser Fähigkeit zur vollen Entfaltung«. (Eisner, 1994, 5. 76) Ein so verstandener (reform-)pädagogischer Ansatz führt folgerichtig auch zu einem Menschenbild, dass den Coache als prinzipiell autonomen, intransparenten und nicht instruierbaren Menschen beschreibt. (vgl. Tomaschek, 2003, 5. 58)

West-Leuer fordert eine solche Haltung an anderer Stelle ein, indem sie erklärt, dass SchülerInnen keine psychologisierenden Deutungen, sondern authentische »Ganzobjektbeziehungen« zu ihren LehrerInnen bräuchten, und einräumt, dass letztere in der Regel der Versuchung widerstünden, ihre Schülerinnen entsprechend solcher Deutungen zu behandeln. (S.62) Umso mehr verwundert, dass die Autorin ihre Arbeit mit dem Kollegium einer Schule im Sinne einer »psychodynamischen Mikroanalyse einer schulinternen Lehrerfortbildung« zur Gänze einer solchen Deutung unterzieht. Sie tut das auf der Basis der Theorie des »Doppeldenks«, die sie als Grundlage psychodynamischer Beratungskompetenz ansieht und in einem einleitenden Kapitel beschreibt. Psychoanalytische Konzepte von Übertragung und Gegenübertragung und unterschiedliche Abwehrmechanismen werden dabei in Beziehung gesetzt zu systemischen Ansätzen, die von einer »strukturellen Kopplung« von geschlossenen psychischen und sozialen Systemen ausgehen. (S. 18ff.) Psychoanalytisches Vorwissen ist für das Verständnis dieses Kapitels hilfreich.

Wie aus Kunden Klienten werden

Der Hauptteil des Buches ist der Beschreibung und Analyse einer schulinternen Fortbildung gewidmet, die als zweitägiger Workshop konzipiert wurde. Dass West-Leuers Beratungsansatz nicht auf einem symmetrischen Beratungsverhältnis beruht und dass Transparenz nicht zu dessen Qualitätsmerkmalen zählt, wird bereits zu Beginn sichtbar: Nachdem es trotz der Bedenken des Schulleiters gegen die psychodynamisch-systemisehe Ausrichtung der Autorin im Rahmen einer eigenen Akquiseveranstaltung zur Auftragsklärung und -erteilung gekommen war, erstellte diese auf der Basis des etwas sperrigen Beratungsauftrages »Durchführung einer Ist-Analyse zu Schulstruktur und Schulklima als Einstieg in einen Schulentwicklungsprozess hin zu mehr Selbstorganisation und Teilautonomie« eine Tagesordnung, die der Strukturierung des Workshops dienen sollte. Obwohl diese Tagesordnung auf der Basis eines Beratungsauftrages erstellt worden war, der lediglich von den bei der Akquiseveranstaltung anwesenden KollegInnen ausgesprochen worden war – das waren in etwa die Hälfte der beim Workshop letztlich Anwesenden -, empfand die Autorin die Bitte einer Workshopteilnehmerin, zu Beginn den gesamten Ablauf des Workshops erklärt bekommen zu wollen, als Störung und wiegelte die als unbequem empfundene Frage ab. Der ernstzunehmenden »Kundin« wird damit die Rolle der die besondere Position der Beraterin antastenden »Klientin« zugeschrieben; dass es sich hierbei um kein symmetrisches Beratungsverhältnis handelt, ist an dieser Stelle geklärt. Ihr strukturierendes Verhalten beschreibt West-Leuer als »›wohlwollend-autoritären‹ Führungsstil«. (S. 108) Dass daraufhin auch andere KollegInnen auf einer Vorab-Klärung bestanden, löste »bei mir Verärgerung und auch das Gefühl des Gekränktseins aus« (S. 109), schreibt die Autorin im Rahmen ihrer mikroanalytischen Aufarbeitung. Ihre mehrperspektivischen Deutungen dieser Situation als Widerstand der Teilnehmerlnnen und als Versuch, die Moderatorin zu isolieren, und ihren eigenen Verdrängungsprozess, der sich als Versuch äußert, die fragende Kollegin zu isolieren, sind durchaus aufschlussreich. LeserInnen, deren pädagogisches und bzw. oder beraterisches Handeln auf dem Bild vom autonomen »kundigen« Menschen basiert, werden das beschriebene Vorgehen der Autorin schlicht als wenig wertschätzend bezeichnen und von den angesprochenen psychodynamischen Deutungen nicht viel mitnehmen können. Sie selbsttransferiert die beschriebene Anfangssituation im Kapitel Psychogramm der Institution »Schule« auf die Ebene der Lehrer-Schüler-Beziehung und beschreibt damit nachvollziehbar psychodynamische Prozesse im Klassenzimmer, wie sie in der Realität – und insbesondere wohl bei unerfahrenen LehrerInnen – vorkommen: »Als sich eine Schülerin gegen die Stundenplanung wehrt, versucht die Lehrerin, diese Schülerin zu isolieren. Daraufhin reagieren mehrere Schüler deutlich aggressiv. Die Lehrerin ist gekränkt, auch verärgert. Sie deutet an, dass ihr der Unterricht in der Klasse keinen ›Spaß‹ macht. Diese Reaktion spaltet die Klasse: Eine Gruppierung ist nun bemüht, sich den Vorstellungen der Lehrerin anzupassen, eine zweite Gruppierung reagiert mit verstärkter Opposition«. (S. 150) Interessant an diesem Transfer ist die Umdeutung des Teilnehmerlnnenverhaltens: aus der Bitte der Seminarteilnehmerin wird das Sich-Wehren der Schülerin. Ja, solche Situationen entstehen in Klassen; sie entstehen als Reaktion von SchülerInnen auf entweder unbewusst ungeschicktes oder bewusst autoritär angelegtes Lehrerlnnenhandeln; professionelles pädagogisches Handeln sieht anders aus.

Spannend liest sich das Kapitel über die »Sprachspiele von Status und Gender«, die auf der Grundlage einer »Strukturalen Analyse Sozialen Verhaltens« (SASB) des Beratungstagebuches entschlüsselt wurden und detaillierte Aussagen über die quantitative Beteiligung der Workshopteilnehmerlnnen im Plenum, die Adressaten von Gesagtem und die Qualität von Aussagen im Spannungsfeld von Nähe und Distanz bzw. Autonomie und Kontrolle zulassen. Dass alle beobachteten Phänomene, z.B. das Ausmaß von (Un-) Freundlichkeit der Teilnehmerlnnen der Moderatorin gegenüber, psychoanalytisch gedeutet werden, wird für Leserlnnen, die stärker systemisch ausgerichtet sind, wenig befriedigend bleiben.

Insgesamt betrachtet blieb ich nach der Lektüre dieses Buches mit unerfüllten Erwartungen, der nicht ganz neuen Erfahrung, wie unterschiedlich unsere Bilder von Schulen und den Grundlagen pädagogischen Handelns doch sind, und größerer Klarheit darüber zurück, wie bedeutungsvoll der Unterschied zwischen therapeutischen Beratungssettings und Coaching für mein beraterisches und pädagogisches Selbstverständnis ist.


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