Rezension zu Goethe, Schiller und das Unbewusste
Germanistik. Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen
Rezension von Reiner Wild
Die eine Grundthese dieser Arbeit lautet, im Sturm und Drang
entstehe eine Literatur, in der in zuvor nicht gekannter Weise
Unbewusstes zur Darstellung komme: die Basis dafür bilde
insbesondere die Ausbildung der bürgerlichen Familie, die – das ist
die zweite zentrale These – zu einer narzisstischen
Grunddisposition führe, mit (so der durchgehende Tenor) vorrangig
pathologischen Folgen. Zunächst werden Goethes »Werther« und
Schillers »Räuber« in der Perspektive dieser Thesen analysiert und
gedeutet. Es folgen um die Doppelfigur Faust bzw. Mephisto
zentrierte Ausführungen zu Faust, bei denen allerdings, wie auch in
den abschließenden Darlegungen zur »Marienbader Elegie«, der Bezug
zu den Grundthesen eher schwach bleibt. In dichter und intensiver
Arbeit am Text erbringen die Studien durchaus beachtenswerte und
anregende Einsichten. Sie leiden freilich an einer theoretischen
Unentschiedenheit, die den Ertrag schmälert. Der strukturelle Ort
des Unbewussten – im Autor, in den Figuren, in der Inszenierung des
Textes oder als ein kollektiv zu denkendes in den Rezipienten, gar
der Gesellschaft? – wird nicht hinreichend geklärt; die
Ausführungen changieren vielmehr beständig zwischen diesen
Möglichkeiten. Mit einigem Befremden hat der Rez. registriert, dass
die Werke, jedenfalls teilweise, nach Taschenbuchausgaben zitiert
werden und immer wieder Zitate aus Sekundärquellen übernommen
wurden.