Rezension zu Das (Nicht-)Sprechen über die Judenvernichtung
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Rezension von Robert Fuchs
Der Holocaust ist das einschneidendste Ereignis der jüngeren
deutschen Geschichte. Theodor Adorno etwa fragte, ob »nach
Auschwitz noch sich leben lasse«. Die Folgen wirken auch nach
mehreren Generationen noch fort, ganz besonders natürlich bei den
vom Nationalsozialismus verfolgten Juden, aber auch bei
nicht-jüdischen Deutschen. Betrachtungen zum deutschen
Nationalgefühl führen unweigerlich auf die NS-Zeit und die Shoah
zurück, egal ob es um das angeblich gehemmte Verhältnis der
Deutschen zur eigenen Nation geht oder um Fähnchen schwenkende
Fußballbegeisterung im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft
2006.
Wie der Holocaust in mehreren Generationen nicht-jüdischer
Deutscher psychisch weiterwirkt ist Thema von Katharina Rothes beim
Psychosozial-Verlag veröffentlichter Dissertation Das
(Nicht-) Sprechen über die Judenvernichtung. Die Autorin wendet
sich dabei zunächst der von ihr als Jungvolkgeneration bezeichneten
Altersgruppe zu, welche während des Nationalsozialismus die Schule
besuchte und aufgrund ihres Alters zwischen 10 und 14 Jahren noch
nicht der Hitlerjugend, sondern ihrer Vororganisation, dem Jungvolk
angehörte. Im Fokus des Interesses stehen aber auch die Kinder und
Enkel der Jungvolkgeneration. Die Datenerhebung fand statt im
Rahmen von Gruppen- und Einzelinterviews mit ehemaligen Schülern
einer Schule in einer aus Gründen der Anonymität nicht genannten
hessischen Kleinstadt. Auch mit ihren Nachkommen wurden Interviews
geführt. 1941 wurde diese Schule, neben anderen, als Sammelstelle
für die zu deportierenden Juden aus der Kleinstadt und ihrer
Umgebung genutzt. Die bei den Interviews genutzte Methode ist die
themenzentrierte Gruppendiskussion, die auf der themenzentrierten
Interaktion von Ruth Cohn basiert.
Rothe griff bei ihrer Forschung auf einen qualitativen Ansatz
zurück und versucht die in den Interviews zu Tage getretenen
Konsequenzen und die Verarbeitung des Holocausts mit
psychoanalytischen Methoden zu erklären und ihnen Sinn zu geben.
Leitmotiv ist dabei, das »Allgemeine im Besonderen« zu finden. Die,
wie sie richtig bemerkt, jedem qualitativen wie auch quantitativen
Forschungsansatz innewohnende Subjektivität der Forschenden
versucht sie nicht »wegzuobjektivieren«, sondern will, ganz im
Gegenteil, durch Deutlichmachung ihrer persönlichen Verwobenheit
mit dem Thema diese im Vorhinein deutlich machen um mit dadurch
auftretenden Artefakten angemessen umgehen zu können.
Die wesentlichen Ergebnisse in Bezug auf die Jungvolkgeneration
bestehen in der Aufdeckung von Verleugnung des Holocaust – die sich
freilich selten im direkten wörtlichen Sinne manifestiert – und dem
Grade an emotionaler Involviertheit (Affekt) der Interviewten,
welche beim Sprechen über die Judenvernichtung auffallend gering
ist, aber bei Beschreibungen der oft spielerisch gestalteten
Aktivitäten im Jungvolk hoch ist. Weitere Analysen beziehen sich
auf die Konstruktion von Identitäten und Gruppenbildern: »wir
Deutsche« versus »die Juden«. Die Interviews mit den Nachkommen der
Jungvolkgeneration beziehen sich vor allem auf die Konsequenzen der
Shoah für das Konzept der deutschen Nation und auf Erlebnisse im
Ausland, bei denen in scherzhafter Weise auf den
Nationalsozialismus Bezug genommen wurde, welche aber die
angesprochenen Deutschen oft als despektierlich oder sogar
schockierend empfanden.
Katharina Rothe hat sich ein zweifelsohne interessantes und
bedeutendes Thema gewählt. Freilich bleibt festzustellen, dass der
ganz überwiegende Teil ihrer Erkenntnisse, wie von der
Jungvolkgeneration mit dem Holocaust umgegangen wird, allen bekannt
sein dürfte, die sich mit dem Thema beschäftigt haben. Auch dass
viele Deutsche in für sie schockierender Weise im Ausland mit dem
NS konfrontiert werden, etwa plötzlich jemand die rechte Hand
hochreißt, »Heil Hitler« ruft und dies urkomisch findet, ist nicht
neu. Aufschlussreich werden die Analysen hingegen, wo die Autorin
nach Denkmustern, etwa Verleugnungsstrategien, sucht – einer der
Interviewten meinte z.B. nach mehrmaliger Präsentation eines Videos
über Konzentrationslager kurz nach dem Krieg zweifelsfrei zu
erkennen, dass die Leichenberge nicht aus KZs stammen können,
sondern von einem Luftangriff auf Hamburg. Der psychoanalytische
Ansatz kann dabei jedoch kaum etwas beitragen. Treffend sind
darüber hinaus die Ausführungen zur Konstruktion der Nation.
Wertung:
Gesamt:
4/6 Punkten
Anspruch:
4/6 Punkten
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