Rezension zu Der stumme Schrei der Kinder
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Rezension von Holger Seifferth
In ihrem Buch »Der stumme Schrei der Kinder – Die zweite Generation
der Holocaust-Opfer« gewährt uns Ilany Kogan, die als
Psychoanalytikerin und klinische Psychologin in Israel tätig ist,
einmalige und intime Einblicke in die psychoanalytische Therapie
von Angehörigen der zweiten Generation von Überlebenden des
Holocaust. Sie ermöglicht dem Leser ein Nacherleben der
Therapiesituationen, indem sie teilweise wortgetreue
Gesprächsausschnitte aus den einzelnen Sitzungen zur
Veranschaulichung ihrer Analyse in ihre Präsentation mit einfließen
lässt. Auf diese Weise wird eine intensive Verbindung zwischen
Rezipient und dargestellten Fallbeispielen bewirkt, was zu einem
besseren Verständnis der Thematik beiträgt und einem die
Einzelschicksale realer und lebendiger vor Augen führt. Zudem
erweitert die Autorin ihren Fokus um die Dimension ihrer eigenen
Rolle als Therapeutin. Sie lässt den Leser an den Problemen und
Konflikten hautnah teilnehmen, die während einer Therapie auf den
Therapeuten zukommen können und überwunden werden müssen. Jedes
Fallbespiel beginnt mit einer kurzen Einleitung und einer
Falldarstellung, die einen leichten Einstieg in die darauffolgende
Therapieschilderung ermöglicht. Der Bericht über den
Erkenntnisgewinn während der Therapie, deren Verlauf und
Entwicklung ist nach den verschiedenen Phasen aufgegliedert, welche
sich psychoanalytisch voneinander abgrenzen lassen. Ilany Kogan
gelingt es, die einzelnen Therapieverläufe auf ihre wichtigsten
Kernpunkte und Entwicklungslinien zu komprimieren, ohne dem Leser
das Gefühl zu geben, wichtige Passagen aus der oft langwierigen
therapeutischen Arbeit verpasst zu haben. Jedes Fallbeispiel für
sich ist ein geschlossenes Ganzes, dass ein präzises und
umfassendes Bild der Patienten zu zeichnen vermag und jeweils durch
eine Diskussion abgerundet und noch einmal zusammengefasst wird,
sodass der Leser aus den acht präsentierten Analysen einen
deutlichen Erkenntnisgewinn ziehen kann. Die Kapitel beschäftigen
sich unter anderem mit der Übertragung von Holocaust-Traumata von
Eltern auf das Kind bis zur dritten Generation, der
Wiederherstellung der Fähigkeit, Schmerz und Schuld zu empfinden,
und Schwierigkeiten bei der Entwicklung der Fähigkeit sich zu
verlieben und dauerhaft zu lieben. Ich empfehle dieses Buch jedem,
der sich bereits mit der Thematik generationenübergreifender
Traumata im Kontext des Holocaust auseinandergesetzt hat, und auch
denjenigen, die einen Einstieg in dieses interessante
Forschungsfeld suchen.