Rezension zu Zeit der Macheten
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Rezension von Johanna Fleischhauer
Aus den Berichten von zehn Tätern, die sich im Gefängnis bereit
erklärten, mit dem Autor zu sprechen, rekonstruiert dieser den
Verlauf des Völkermordes in der Gemeinde Nyamata, beginnend mit dem
11. April 1994. Die meist unkommentierten Gesprächspassagen sind
thematisch so gebündelt, dass sich allmählich nicht nur der
konkrete Verlauf des Genozids an einem südruandischen Ort, sondern
die psychische Verfassung der Täter erschließt.
Einige Kapitel und der Anhang enthalten Informationen über die
Vorgeschichte des Völkermords und seine politischen Hintergründe
sowie Angaben zur Biografie der zehn Mörder. Ein kurzer Abschnitt
informiert über den Autor, einen Sonderberichterstatter der Zeitung
Liberation. Hans-Jürgen Wirth, der Leiter des
Psychosozial-Verlages, vertieft den dokumentarischen Hauptteil des
Buches durch Gedanken zur Analyse der Tätermotive und ihrer
Persönlichkeitsdynamik; abschließend reflektiert er die Frage nach
ihrer Traumatisierung.
Frappierend nicht nur für Zeitzeugen, sondern auch für Leser ist
die Gelassenheit der Täter. Sie äußern sich erstaunlich offen,
nüchtern und präzise, lassen individuelle Unterschiede und
zahlreiche Details ihres Lebens während der Mordaktionen deutlich
werden und bringen ihre Erklärungen zur Sprache. So berichtet einer
der Männer, dass Jugendliche zu den extremsten Gewalttätern
gehörten und sie sich über das Leiden ihrer Opfer belustigten; er
begründet dies damit, dass sie der Tod in ihrem Alter persönlich
»nur von fern« berühre. Die Offenheit erklärt sich unter anderem
dadurch, dass die meisten Täter ihre Reintegration in die
ruandische Gesellschaft mit Zuversicht erwarteten; wie
selbstverständlich gingen sie davon aus, die Überlebenden würden
ihre Entschuldigungen akzeptieren. In den Gesprächspassagen fällt
auf, dass sie wohl über ihre Beobachtungen anderer Täter, aber fast
nie über sich selbst sprechen. Die Verantwortung für ihre Taten
lasten sie allein den politischen Befehlshabern an; auch
nachträglich übernehmen sie keine Verantwortung für ihre Taten.
Viele Kapitel widmen sich den Faktoren, die diese Haltung aufgebaut
und verfestigt und das Morden psychologisch ermöglicht haben. Eine
Auswahl kann hier genannt werden.
So hielten die Anführer, die Täter und ihre Familien die Fiktion
aufrecht, das organisierte Töten sei eine quasi normale »Arbeit«,
die täglich von 9.30 bis 16.00 Uhr erledigt wurde. Das Böse war
auch in Ruanda banal:
»Außerhalb der Sümpfe hatten wir ein ganz normales Leben. Wir
trällerten auf dem Weg vor uns hin, wir tranken Primus oder
urwagwa, je nachdem, was man sich leisten konnte… Wir zogen unsere
Sachen an, mit denen wir aufs Feld gingen. Wir erzählten uns in der
Kneipe den neuesten Klatsch, wir schlossen Wetten ab, wer von uns
wie viele töten würde, wir machten unsere Scherze über Mädchen, die
unseren Messern zum Opfer gefallen waren…« (S. 264).
Wie in der Sprache der Nationalsozialisten wurden die Opfer
entmenschlicht und als »Kakerlaken«, »Schlangen« oder andere
verabscheute Tiere bezeichnet. Mitgefühl und soziale Beziehungen
verloren ihre Gültigkeit, Nachbarn, Mitschüler, Mitglieder der
Kirchengemeinde und des Fußballclubs, bisher geachtete Lehrer,
Pfarrer etc. wurden gedemütigt, gefoltert und abgeschlachtet. Der
Besitz der Opfer durfte straflos geraubt und geplündert werden,
dies stellte eine offizielle Belohnung dar. Die völlige Entgrenzung
bis hin zu »Blutgier und Selbstekel« wird aus der Logik der Täter
nachvollziehbar und macht gleichzeitig fassungslos.
Es ist dem Autor wichtig, das Wesen eines Völkermordes deutlich von
kriegsbedingten Verbrechen und Massakern abzugrenzen:
»Bei einem Völkermord wird gegen die gesamte Bevölkerung gewütet,
besonders gegen die Kleinkinder, die jungen Mädchen und Frauen,
weil sie die Zukunft verkörpern« (S. 113).
Die fehlende Aufarbeitung gibt Anlass zur Sorge, was bei einem
erneuten Umschwung politischer Verhältnisse geschehen könnte:
»Am Ende dieser Zeit der Macheten in den Sümpfen waren wir zutiefst
enttäuscht, dass wir es nicht ganz geschafft hatten. Wir waren
völlig entmutigt … und wir hatten eine Heidenangst… Aber im Grunde
genommen waren wir der Sache kein bisschen überdrüssig« (S.
264).
Wirth betont in seinem vertiefenden Aufsatz, dass ohne Reflexion
der begangenen Taten die Gefahr eines Wiederholungszwanges immer
gegeben ist. Er diskutiert, ob sich in der Verwandlung
Hunderttausender zu Mördern das Wirken eines Todestriebes
manifestiert. Machtkalkül, Gehorsamsbereitschaft, Narzissmus und
das Fanatismus-Syndrom sind für ihn Schlüsselbegriffe, um die
Psyche der Täter analytisch zu erfassen. Abschließend geht er der
Frage nach, ob die Täter insgesamt oder einzelne Gruppen unter
ihnen traumatisiert sind, obwohl sie, im Unterschied zu den
extremen Leiden der Opfer, meist keine Traumatisierungssymptome
zeigen.
Ergänzende Literatur aus der Perspektive Überlebender:
Hatzfeld, Jean: Nur das nackte Leben. Berichte aus den Sümpfen
Ruandas. Gießen 2004, Haland und Wirth im Psychosozial-Verlag
Mujawayo, Esther und Souad Belhaddad: Ein Leben mehr. Wuppertal
2004, Peter Hammer Verlag
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