Rezension zu Stanley Kubrick (PDF-E-Book)
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Rezension von Steffen Wulf
»FÜR STANLEY KUBRICK WAR DER PROMIKULT EINE KRANKHEIT«
Kubrick-Experte und Filmwissenschafter Andreas Jacke, Autor des
Buches ›Stanley Kubrick – Eine Deutung der Konezpte seiner Filme‹
sprach im Tele 5-Interview über das Vermächtnis und die Ängste
eines großen Regisseurs sowie dessen Wettlauf gegen die Zeit.
Tele 5: Herr Jacke, es gibt bereits eine Menge Bücher über Stanley
Kubrick, teilweise sogar Bücher über einzelne Filme von ihm. Fiel
es nicht schwer, überhaupt noch ein neues Kubrick-Buch auf den
Markt zu bringen?
Dr. Andreas Jacke: Nein. Kubricks Filme enthalten so viele
innovative, interessante Konzepte, dass über sie noch längst nicht
alles gesagt worden ist.
Was hat Ihr Buch über Kubrick, was andere nicht haben?
Zunächst habe ich die vielen anderen Bücher gelesen und versucht,
ihren Spuren zu folgen und ihre Interpretationen, wenn ich sie gut
fand, weiterzudenken. Mein Buch verknüpft dabei stärker die
Produktionsbedingungen mit dem Endergebnis.
Was finden Sie persönlich so spannend an Stanley Kubrick, was macht
ihn zu einem der wichtigsten Regisseure der Filmgeschichte?
Sein ungeheurer Mut, etwas anders und dabei besser machen zu
wollen. Dieser Mann hat sich nie damit zufrieden gegeben, eine
durchschnittliche Leistung abzugeben. Er hat immer nach einer
besseren Lösung gesucht und zwar solange, bis er sie gefunden
hatte.
Gab es ein Schlüsselerlebnis oder einen Film, weshalb Sie Stanley
Kubrick-Fan geworden sind?
Ich bin kein Fan, sondern begeisterter Filmwissenschaftler. Bei mir
kommt die Reflexion meistens aus einer Emotion. Das war schon bei
meinem Buch über Marilyn Monroe so. Mein Interesse an Kubrick war
ursprünglich das eines Amateurfilmregisseurs, der einfach
fasziniert und überwältigt ist von der Perfektion der Filme, vor
allem nachdem ich 1980 eine kurze Dokumentation über die
Dreharbeiten von ›The Shining‹ im TV gesehen habe.
Ein Kapitel Ihres Buchs beschäftigt sich mit Kubricks Version eines
James-Bond-Films. Hatte Kubrick denn mal Interesse an diesem
populären Stoff?
Nein, aber sein Film über den Kalten Krieg ›Dr Strangelove‹ (1964)
ist beeinflusst von dem ersten Bond-Film ›Dr. No‹ (1962), den er in
einem Kino in London gesehen hatte. Er engagierte daraufhin Ken
Adam, den Produktionsdesigner dieses Bond-Films für sein eigenes
Projekt. Während James Bond bei seinen damaligen Aufträgen die Welt
immer vor dem atomaren Overkill rettete, liefert ›Dr Strangelove‹
dazu das ironische, aber auch realistischere Pendant. Kubrick ließ
die Bombe nämlich tatsächlich hochgehen.
Ich finde auch sehr interessant, was Sie über Kubricks »Anonymität«
geschrieben haben, dass er sich nicht gern in der Öffentlichkeit
präsentierte. Hat er den »Prominentenkult« verabscheut?
Ja, für ihn war das eine Krankheit. Er hat es aber auch benutzt,
wenn er es gebrauchen konnte, zum Beispiel bei ›Eyes Wide Shut‹, wo
sogar mit einer Intimszene des Ehepaares Cruise und Kidman für den
Film geworben wurde. Er selbst wollte aber sicherlich kein Star
sein. Kubrick hat als Person nichts mit einem Schauspieler zu tun.
Anders als beispielsweise Roman Polanski, über den ich gerade
arbeite.
Stimmt es, dass Kubrick ›Eyes Wide Shut‹ eine Zeitlang sogar mit
Woody Allen in der Hauptrolle verfilmen wollte?
Ja, es gab auch Pläne, den Stoff zu einer Komödie umzuarbeiten.
Damit wäre er Schnitzlers ›Reigen‹ der Perversion vermutlich
gerechter geworden als in der jetzigen Version.
Gibt es Filme, die Kubrick plante und die vielleicht von
gegenwärtigen Regisseuren angegangen werden?
›Artificial Intelligence‹ wurde bereits von Steven Spielberg
realisiert. Was wenige wissen: auch ›Brennendes Geheimnis‹ (1990)
von Andrew Birkin nach einer Novelle von Stefan Zweig war
ursprünglich einmal ein Stoff, an dem Kubrick 1957 gearbeitet
hatte. Mein Buch enthält außerdem ein Zusatzkapitel über ›Aryan
Papers‹, einen Film über den Holocaust, den Kubrick 1993 nach dem
Roman ›Wartime Lies‹ von Louis Begley verfilmen wollte. Es ist sehr
bedauerlich, dass er dieses Projekt aufgegeben hat. Es gibt auch
bisher leider keine Pläne, es zu verfilmen.
Wieso hat Kubrick das Projekt aufgegeben?
Steven Spielberg arbeitete gerade an ›Schindlers Liste‹ und
Kubricks Einsicht kam zu spät, dass sich beide Filme zu ähnlich
sein könnten. Er hatte ja mit ›Full Metal Jacket‹ ein kleines
Fiasko erlebt, nachdem Oliver Stones ›Platoon‹ kurz vorher in die
Kinos gekommen war. Das wollte er nicht wiederholen.
Worauf gründete sich die Freundschaft zwischen Kubrick und Steven
Spielberg?
Beide hatten ein positives Bild von der Begegnung mit einer fremden
Intelligenz. Auch war Spielberg begeistert von ›2001‹. Umgekehrt
mochte Kubrick ›Unheimliche Begegnung der Dritten Art‹ (1977) sehr
gern. Es war für ihn eine gelungene Mischung aus Realität und
Fiktion. Der Film behandelt auch ein ähnliches Thema wie ›2001‹.
Und Kubrick hatte nie Berührungsängste mit kommerziellem
Hollywoodkino.
»Die wichtigste Implikation von ›2001‹ besteht in der festen
Überzeugung, dass es außerirdische Wesen im Weltraum gibt«,
schreiben Sie in Ihrem Buch. Heißt das auch, dass Kubrick an
Außerirdische geglaubt hat?
Er hielt den Gedanken bei der immensen Größe des Weltraums für
unwiderstehlich. Nur weil wir uns unterdessen so oft darüber lustig
gemacht haben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es andere
Lebensformen im All gibt nicht geringer geworden. Es ist in der Tat
wissenschaftlich gesehen sehr unwahrscheinlich, dass die Erde der
einzige Planet ist, auf dem Leben existiert.
HAL in ›2001‹ ist ein unzurechnungsfähiger Computer. Hatte Kubrick
auch persönlich Angst vor Maschinen oder einem
Überwachungsstaat?
Nein, er hat sich, um das Drehbuch für ›A Clockwork Orange‹ zu
schreiben, gleich selbst einen Computer gekauft. Die Frage nach der
Autorität des Staates hielt er zuweilen vor allem aufgrund der
atomaren Waffen für etwas zweifelhaft. Orwells Ängste hat er also
nicht geteilt.
Können Sie etwas über den Dreh von ›2001‹ erzählen?
Das besondere an den Dreharbeiten waren die unglaublich schwierigen
und aufwändigen Trickaufnahmen. Niemand hatte es bisher geschafft,
die Raumfahrt so realistisch zu zeigen. Kubricks Bilder standen in
Konkurrenz mit den echten aus dem All. Die erste Landung auf dem
Mond stand unmittelbar bevor. Er wollte mithalten und arbeitete
deshalb an einer anspruchsvollen Vision der zukünftigen Raumfahrt.
Die Langsamkeit der Bewegungen trägt sehr zu diesem realistischen
Anspruch bei. Je länger der Film dauert, desto mehr soll sich der
Zuschauer von der Erde entfernen.
Plante Kubrick von Anfang an, den Johann-Strauß-Walzer und ›Also
sprach Zarathustra‹ für die musikalische Untermalung?
Dazu gibt es unterschiedliche Aussagen. Die häufigste ist aber die:
Obwohl es einen komplett komponierten Soundtrack von Alex North
gibt, wollte Kubrick diesen von Anfang an nicht unbedingt
verwenden. Das Studio MGM hätte es nur lieber gesehen, deshalb
wurde North engagiert. Die Musik, wie sie jetzt ist, funktioniert
in diesen beiden Fällen als Zitat, weil der Walzer die Drehbewegung
unterstützt und Also sprach Zarathustra, wie in Nietzsches
Philosphie auf einen bedeutsamen Übergang hinweist. Der Film
übernimmt also nicht nur die Musik, sondern zitiert auch ihre
Bedeutung. Es ist aber wohl falsch, ihn deshalb, wie es in
Deutschland häufiger geschehen ist, als einen Ausdruck
nietzscheanischer Philosophie zu verstehen. Denn die Kraft für den
Übergang kommt von Außen – dem Monolithen – und nicht wie bei
Nietzsche aus einem inneren Willen zur Macht.
Welche Bedeutung hat der Monolith in dem Film?
Der Monolith ist sowohl ein Grabmal als auch ein klassisches
Phallussymbol. Das heißt, er ist vor allem kein realer Gegenstand,
sondern ein Symbol. Auch eines, das den Affen das Werkzeug erkennen
lässt. Interessant ist, dass Kubrick bei späteren Filmen zu Recht
vermeiden wollte, dass jemand das Symbol wieder auftauchen sieht.
So gab es beim Dreh von ›Full Metal Jacket‹ einen Wohnblock, der so
aussah wie der Monolith. Kubrick ließ ihn so aufnehmen, dass er
nicht mehr als solcher zu erkennen ist.
Ist ›2001 – Odyssee im Weltraum‹ der philosophischste aller
Science-Fiction-Filme?
Von denen, die in Kinogeschichte eingegangen sind schon – höchstens
vergleichbar mit ›Solaris‹ (1972) von Andrej Tarkowski, der
russischen Antwort auf Kubricks Film. ›2001‹ stellt die Frage nach
unserem Anfang und unserem Ende mit einer unglaublichen Intensität.
Dabei ist die Leere und Größe des Weltraums wohl nie
ausdrucksvoller gezeigt worden.
Es war sicher sehr schwer, den Film überhaupt finanziert zu
bekommen…
Nach dem künstlerischen Erfolg von ›Dr. Strangelove‹ und dem
enormen finanziellen Erfolg von ›Spartacus‹ traute man Kubrick
dieses Projekt zu. Die Produzenten waren allerdings bei der ersten
Vorführung des Films entsetzt und glaubten, der Streifen habe an
der Kinokasse keine Chance. Es waren dann die Jugendlichen, die
massenweise in die Kinos strömten, um ›2001‹ zu sehen. So wurde aus
ihm ein Kultfilm.
Wie wählte der Regisseur die Schauspieler für den Film aus? Keir
Dullea und Gary Lockwood waren alles andere als Stars, war das eine
bewusste Entscheidung Kubricks, keine bekannten Gesichter zu
nehmen?
›2001‹ ist kein Schauspielerfilm, die Darsteller brauchten keine
Stars zu sein. Beide Astronauten haben aber eine sehr auffällige
Kinnpartie, die an Kirk Douglas erinnert, mit dem Kubrick zuvor
zwei Filme gedreht hatte.
Wie sah das Science-Fiction-Genre vor Kubricks ›2001 – Odyssee im
Weltraum‹ aus, wie danach? Wollte Kubrick das Genre bewusst
umkrempeln?
Er wollte einen Science-Fiction-Film mit einem realistischen
Setting machen. Das gab es vorher kaum. Danach war es ›Star Wars‹
(1977) von Georg Lucas, der den kommerziellen Erfolg von ›2001‹
übertraf. Lucas Film zeigt die Raumgleiter ähnlich detailliert im
All wie ›2001‹. Nur das Tempo ist ein ganz anderes und der
realistische Anspruch fällt komplett weg. Ohne ›2001‹ gäbe es die
Filme von Lucas und auch Spielberg in dieser Form wahrscheinlich
nicht. Aber auch in ›Alien‹ oder ›Blade Runner‹ findet man Spuren
von Kubrick.
Wie bewerten Sie die Fortsetzung ›2010 – Das Jahr, in dem wir
Kontakt aufnehmen‹ und was hielt Kubrick von ihr?
Ein exzellenter Spielfilm mit einem überzeugenden Roy Scheider in
der Hauptrolle. Er kommt an das Niveau von ›2001‹ aber überhaupt
nicht heran. Der erste, der das zugeben würde, wäre sein Regisseur
Peter Hyams. Kubrick hatte die Fortsetzung seines Films genehmigt,
hätte es aber selbst niemals gedreht.
›2001‹ lief auch innerhalb der Berlinale-Retrospektive im
70mm-Format. Haben Sie den Film auf großer Leinwand neu erlebt?
Ich würde raten, sich mal zwei Tage von der Welt zurückzuziehen und
ihn sich dann ganz allein zuhause im TV anzusehen. Dann merkt man,
dass der Film von Isolation handelt. Man braucht keine große
Leinwand, sondern das Gefühl allein zu sein, um diesen Film zu
verstehen.
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