Rezension zu Nonverbale Interaktion in der Psychotherapie
Psychotherapie Forum Nr. 2/2006
Rezension von Gerald Poscheschnik
Peter Geißler hat wieder zugeschlagen! Nach Psychoanalyse und
Körper, Über den Körper zur Sexualität finden und Körperbilder
liegen nun auch die Ergebnisse des 4. Wiener Symposiums
»Psychoanalyse und Körper« in Buchform vor. Da selbst eine sehr
geraffte Darstellung aller enthaltenen Beiträge den Rahmen einer
Rezension sprengen müsste, beschränke ich mich auf eine kurze und
bündige Präsentation einiger ausgewählter Beiträge, um so den
Leserinnen und Lesern wenigstens einen Eindruck von aktuellen
Forschungsbemühungen auf diesem Gebiet vermitteln zu können.
Der erste Teil des Buchs enthält eine Reihe von Studien über
nonverbale Prozesse in Psychotherapien. Dabei kommen Videoanalysen
zum Einsatz, welche sich in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten zu
einem fast schon unverzichtbaren Hilfsmittel der psychoanalytischen
Therapieforschung entwickelt haben und auch gewinnbringend im
Rahmen von Ausbildungscurricula und Supervisionen benützt werden
können. Ulrich Streeck stellt in seinem Beitrag die wichtige Rolle
der nonverbalen Interaktion im psychotherapeutischen Dialog heraus.
Er geht dabei von der klinischen Erfahrung aus, dass es dem
erfahrenen Psychotherapeuten oft auf den ersten Blick möglich ist,
zu erkennen, was in einer Beziehung los ist, denn nicht nur Worte
fungieren als Träger von Information, sondern auch der Körper. Das
körperliche Verhalten lässt sich dabei am besten als dialogische
Darstellung begreifen: »Der Psychotherapeut ist an Inszenierungen
nicht nur als Rezipient und Beobachter der Darstellungen des
Patienten beteiligt, sondern er ist deren Mitgestalter, ohne dass
sich in jedem Falle sagen ließe, wessen Verhalten Folge des
Verhaltens des Anderen ist« (S. 43). Solche szenischen
Darstellungen sind omnipräsent, obgleich sie oft verdeckt und
unerkannt ablaufen. In einem Kapitel von Eva Bänninger-Huber wird
mithilfe der Untersuchung mimischer Affektinteraktionen nach jenen
Mechanismen im psychoanalytischen Prozess gesucht, die zu
produktiven Veränderungen führen. Im Zuge dessen werden zwei Typen
von Beziehungsmustern identifiziert: Die PAMs (prototypische
affektive Mikrosequenzen) sind durch Lächeln beider
Interaktionspartner charakterisiert und dienen der interaktiven
Regulation von Störungen in der Beziehung, wie sie durch das
Besprechen konflikthafter Themen ausgelöst werden können. Die Traps
hingegen sind spezifische Muster verbalen und nonverbalen
Verhaltens, die vom Klienten ausgesendet werden, um den Therapeuten
zu einer bestimmten Reaktion zu verführen. Der Analytiker soll dazu
gebracht werden, im Verlauf der Erzählung aktivierte negative
Emotionen im Patienten zu regulieren. Eine mögliche Form von Traps
sind die so genannten Chicken traps. Hierbei wird dem Therapeuten
eine dritte Person mit frevelhaftem Verhalten angeboten, um sich
dann gemeinsam über diese empören zu können. Schnappt die Falle zu,
reagiert der Analytiker den Erwartungen des Analysanden gemäß und
empört sich mit ihm über den Dritten. Kann der Therapeut der Trap
widerstehen, bleibt also psychoanalytisch gesprochen verbal
abstinent, auf der nonverbalen Ebene jedoch neutral oder
freundlich, treten gehäuft produktive Sequenzen auf. Der Patient
wird auf sich selbst zurückgeworfen und erhält so die Möglichkeit
zur Reflexion. Wie Cord Benecke in seinem Aufsatz hervorhebt,
manifestiert sich jede psychische Störung immer auch als
Beziehungs- und Affektstörung. So werden mimisch-affektive Signale
des Anderen von Menschen mit psychischen Störungen
fälschlicherweise eigenen inneren Mustern entsprechend
interpretiert. Und umgekehrt provozieren Patienten auch mit ihrem
mimisch affektiven Verhalten bei ihren Interaktionspartnern
Reaktionen, die die maladaptiven Muster perpetuieren. Wie
empirische Untersuchungen zeigen, hängt der Erfolg einer Therapie
von der Fähigkeit des Therapeuten ab sich diesem
Interaktionsangebot zu entziehen, wohingegen dyadische
Verstrickung, bei der die Mimik des einen repetitiv auf die des
anderen folgt, eher einen Misserfolg zeitigt. Die therapeutischen
Interaktionsstrategien müssen dabei sehr spezifisch auf das
Beziehungsangebot der jeweiligen Patienten abgestimmt werden. Wie
eine Studie mit Panikpatientinnen zeigt, lassen sich trotz der
gleichen deskriptiven Diagnose zwei Gruppen mit unterschiedlichen
Affektausdrucksmustern bestimmen, die auch verschiedene mimische
Reaktionen des Therapeuten erforderten. Einmal – bei den
manipulativen Patientinnen mit viel Freudemimik – korrelierte
nämlich häufiges Lächeln des Therapeuten negativ mit dem
Behandlungserfolg, das andere Mal – bei den emotional kargen
Patientinnen – zeigte sich eine positive Auswirkung des
Therapeutenlächelns aufs Behandlungsergebnis. Bei ersteren wäre das
Lächeln Ausdruck einer Verstrickung, bei den letzteren eine
Notwendigkeit für den Aufbau einer tragfähigen Beziehung. Ein
besonderes Verdienst des Herausgebers ist es, die Diskussion dieser
stärker forschungsorientierten Vorträge dokumentiert zu haben und
J. Ranefeld und G. Heisterkamp in weiteren Beiträgen des zweiten
Teils praxeologische Folgerungen erörtern zu lassen.
Der dritte und vierte Teil enthalten schließlich eine Reihe
interessanter additioneller Beiträge von einer Riege guter Autoren:
P. Geißler z.B. liefert in einigen Übersichtsartikeln gekonnte
Diskussionen neuerer Theorien, die die psychoanalytische Welt zur
Zeit in Atem halten. Darunter das Konzept der Now moments von
Daniel Stern et al., das einen unorthodoxen Blick auf den
psychotherapeutischen Prozess erlaubt. B. Boothe wendet sich in
ihrem Aufsatz der Artikulation des Traums zu und zeigt, dass sich
Traumerzählungen von gewöhnlichen Narrationen hinsichtlich
fehlender strukturierender Elemente unterscheiden. Dieses narrative
Vakuum wird dann sowohl im Alltags- als auch im
psychotherapeutischen Dialog mit Kontextualisierungen aufgefüllt.
Erwähnenswert scheint mir auch noch der finale Beitrag von R.
Plassmann. Dieser geht auf die stationäre Psychotherapie von
anorektischen Patientinnen ein. Anscheinend kann es durchaus
berechtigt sein, verstärkt auf die Selbstregulationsfähigkeiten
dieser Patientinnen zu bauen. Wie erste Daten – welche m.E. stets
mit Vorsicht zu genießen sind – nämlich nahe legen, könnte eine
therapievertraglich abgesicherte Eigenverantwortung über die
Gewichtszunahme, höhere therapeutische Erfolge aufweisen als
stationäre Psychotherapie unter Standardbedingungen.
Mein Fazit lautet, dass es sich beim besprochenen Buch um ein
lehrreiches Konvolut handelt, von dessen Lektüre man eigentlich nur
profitieren kann. Die eingehende Beschäftigung mit dem Sujet kann
Psychoanalytikern wie Psychotherapeuten helfen, den Blick für die
nonverbale Komponente des therapeutischen Prozesses zu schärfen,
die man sonst vielleicht unter dem Eindruck der Flut von Worten
untergehen lässt. Positiv hervorzuheben ist für mich noch, dass das
Buch auch repräsentativ für eine moderne und offene Psychoanalyse
ist, die weder den interdisziplinären Dialog noch die empirische
Forschung scheut.
(mit freundlicher Erlaubnis aus Psychotherapie Forum Heft 2/06,
Springer-Verlag Wien)
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