Rezension zu Die seelische Krankheit Friedlosigkeit ist heilbar
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Rezension von Eugenia Lazaridis
In »Die seelische Krankheit Friedlosigkeit« zeigt Horst-Eberhard
Richter anhand verschiedener Beispiele die Friedlosigkeit in der
Gesellschaft in einer Zeitspanne von kurz vor dem 2. Weltkrieg bis
in das Jahr 2008 hinein.
An die Stelle eines Vorwortes tritt ein Interview mit dem
TAZ-Journal, in dem der Autor sehr offen von seinen Erfahrungen als
Soldat im 2. Weltkrieg berichtet. Er tötete als Soldat Menschen und
trauerte nach seiner Heimkehr um seine von russischen Soldaten
ermordeten Eltern.
Dies ist eine sehr gut gewählte Einführung, anhand der der Leser
den eigenen Hintergrund des Autors und seinen Einsatz gegen die
Friedlosigkeit erfährt.
In der folgenden Übersicht werden dem Leser die einzelnen Kapitel
kurz, aber prägnant zusammengefasst und steigern das Interesse zum
Lesen. Bereits hier ist die breit gefächerte Themenvielfalt
erkennbar: Einstein, Freud, Mitscherlich, RAF, Atomrüstung oder 11.
September 2001. Viele dieser Schlagworte sind einer breiten
Öffentlichkeit bekannt. Für all dies versucht Richter Erklärungen
aus der Psychoanalyse zu finden.
Der Briefwechsel zwischen den Pazifisten Einstein und Freud im
Kapitel »Einstein und Freud über den Krieg« zeigt sehr
eindrucksvoll die Standpunkte beider Persönlichkeiten gegen den
Krieg.
In »Medizin und Gewissen« werden Gefühle der Minderwertigkeit als
Begründung für die Mitarbeit von Ärzten an Zwangssterilisierungen
und der Ermordung Behinderter während des Krieges beschrieben,
trotz ihrer eigentlichen ärztlichen Profession, Menschen zu
schützen und zu heilen.
Das Kapitel »Alexander Mitscherlich und die Deutschen« beschreibt
Mitscherlich in seiner Rolle als Prozessbeobachter während der
amerikanischen Prozesse in Nürnberg 1946 gegen die Ärzteverbrecher
unter Hitler. Richter thematisiert hier die Anfeindungen, denen
Mitscherlich, selbst Arzt, nach Veröffentlichung seiner
Gerichtsprotokolle ausgesetzt war und versucht die Hitler-Hörigkeit
zu begründen.
»Eine wunderbare Verwandlung« zeigt die unerschütterliche Kraft
eines durch einen Unfall gelähmten, an einer trostlosen Stadtgrenze
lebenden Jungen und einer Gruppe Studenten, die beide ein Ziel
verfolgen: den Kampf für ihre Vorhaben und Erfolge, trotz Ablehnung
und Rückschlägen.
Die persönliche Einsicht Richters in »Das Unbehagen am »Deutschen
Herbst«. Zur Verarbeitung der RAF-Geschichte aus psychoanalytischer
Sicht« rührt durch seine Betreuung der RAF-Terroristin Birgit
Hogefeld. Richter stellt auf beeindruckende Weise dar, wie Gudrun
Ensslin und Birgit Hogefeld den Grausamkeiten verfallen, die sie
zuvor selbst verhindern wollten, und die von ihren Vätern
vermiedene Rebellion während des Nazi-Regimes ausleben. Birgit
Hogefeld hat nach Richters Meinung die Krankheit Friedlosigkeit
besiegt und sollte daher nach all den Jahren der Isolation im
Gefängnis begnadigt werden.
Von Einstein als Sicherung gegen Unheil gedacht, wird die Atombombe
in »Atomrüstung und Menschlichkeit« behandelt. Nach den Bomben auf
Hiroshima und Nagasaki zeigt Richter die Gegenbewegungen der
Atomgegner auf und schreibt auch über den fast weltweiten
Friedenswillen der Menschen bei den Protesten im Jahre 2003, um den
Irakkrieg zu verhindern.
Ein kurzes Interview mit Stefan Köhnlein zum Thema Ängste und
Atomkrieg schließt sich in »Es gibt keinen Frieden unter atomarer
Bedrohung« an.
Mit Papst Urbans II. Ausruf im Jahre 1095 »Hier sind die Freunde
Gottes, dort sind seine Feinde!« begannen die Kreuzzüge und die
Unversöhnlichkeit zwischen Christen und Muslime, die bis zum
heutigen Tage gegenwärtig ist und mit dem 11. September 2001 ihren
Höhepunkt in der westlichen Welt hatte. »Islamophobie – ein Symptom
der seelischen Krankheit Friedlosigkeit« beschreibt, dass es zwar
während dieser ganzen Zeit immer wieder Friedensstifter gab, die
auf Gemeinsamkeiten der Religionen hinweisen wollten, allerdings
lässt sich die heutige »Islamophobie« laut Richter als eine Form
der seelischen Krankheit Friedlosigkeit bezeichnen, die sich nur
durch die Konfrontation mit der Angst bezwingen lässt.
Dauerhaftes, aufrichtiges Handeln steht im Kapitel »Welchen
Menschen braucht die Zukunft?« im Mittelpunkt. Die heute
abverlangte Flexibilität kann für den Menschen selbst und für die
Natur nicht von Vorteil sein. Ganz besonders wird dies anhand der
Klimakrise verdeutlicht. Nur auf lange Sicht gedachte Maßnahmen
können ihren Verfall mindern. Dazu sind Menschen mit eigenen
Gedanken, die sich nicht nur der allgemeinen Meinung unterwerfen,
ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste Instrument.
Abschließend weist Richter in seiner »Rede zum 175. Jubiläum der
Sophie-Scholl-Schule in Berlin« auf nun wieder wachsendes Interesse
zwischen den Menschen und mehr Freiheit, mehr Gleichberechtigung
und mehr Geschwisterlichkeit hin.
Schon das außergewöhnliche Vorwort in Form eines Interviews macht
dieses Buch ansprechend. Die persönliche Erfahrung des Krieges wird
von Richter sehr reflektiert erzählt.
Die aktuellen Themen, die Horst-Eberhard Richter bespricht, regen
zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung an. Besonders mit dem
vom 2. Weltkrieg bis in das Jahr 2008 überspannenden Bogen werden
nahezu alle wichtigen Ereignisse thematisiert. Allerdings können
die einzelnen Kapitel nicht mehr als einen Überblick aufzeigen und
erfordern weitere Hintergrundinformation, um den vollständigen
Kontext wirklich verstehen zu können. Dazu sind die nach jedem
Kapitel aufgeführten Literaturverweise sehr hilfreich. Die
seelische Krankheit Friedlosigkeit wird aber anhand der guten
Erzählstruktur deutlich und nachvollziehbar.
Das Besiegen dieser Krankheit wird für viele ein unerreichbares
Ziel bleiben, dafür zu kämpfen sollte aber das Ziel der Mehrheit
der Menschheit sein, damit auch die nächsten Generationen in
einigermaßen friedlichen Umgebungen aufwachsen können.
Horst-Eberhard Richter hat mit seiner jahrzehntelangen Arbeit einen
großen Beitrag gegen die Friedlosigkeit geleistet.
Ein absolut lesenswertes Buch.