Rezension zu Edith Jacobson
Gesnerus. Schweizerische Zeitschrift für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 64/2007
Rezension von Ruth Kloocke
Die bekannten Autorinnen und Herausgeberinnen Ulrike May und Elke
Mühlleitner haben mit einem Sammelband zur Biographie von Edith
Jacobson eine hochinteressante Veröffentlichung zur Geschichte der
Psychoanalyse vorgelegt. Dieser Band zeichnet in siebzehn
Einzelbeiträgen ein facettenreiches Bild von Edith Jacobson
(1897-1978), die eine der bedeutendsten und einflussreichsten
Psychoanalytikerinnen des zwanzigsten Jahrhunderts war. Jacobson
gehörte zu jener Generation jüdischer Wissenschaftler, die im Laufe
der dreißiger Jahre durch die Nationalsozialisten in die Emigration
gezwungen wurde, damit jedoch zu einem bedeutsamen Wissenstransfer
beitrug.
Edith Jacobson emigrierte erst spät. Anhand von bisher unbekannten
Quellen zeigt Schröter, dass Jacobson bis 1935 in der
gleichgeschalteten Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft sogar
eine exponierte Rolle als Vermittlerin und Beraterin des Vorstandes
zukam. Gleichzeitig – und scheinbar in völligem Widerspruch zu
dieser Rolle stehend – war Jacobson ab 1933 in die linke
Widerstandsgruppe »Neu Beginnen!« involviert. Mühlleitner zeichnet
den Prozess der zunehmenden Politisierung Jacobsons im Laufe der
frühen dreißiger Jahre und ihre Rolle innerhalb der
Widerstandsgruppe detailliert nach. Ein Beitrag von Leggewie
ermöglicht eine zeithistorische Einordnung von »Neu Beginnen!« in
das Spektrum des linken Widerstandes.
Jacobsons Verhaftung unter der Anklage des Hochverrates, ihre
Verurteilung und spektakuläre Flucht stellen May und Müller anhand
von bewegenden autobiographischen Texten, Briefen und Gedichten
dar. Ihren Neuanfang in den USA ab 1938 schildern Wagner und
Thomson. Ehemalige Schüler charakterisieren die Jacobson dieser
Zeit als sehr offene und ungezwungene, äußerst energische, manchmal
irritierende Frau. Otto F. Kernberg würdigt Jacobsons Bedeutung als
Theoretikerin und bezeichnet ihr Buch »The Self and the Object
World« (1964) als »wichtigsten Beitrag zu einer umfassenden
Objektbeziehungstheorie, der innerhalb der psychoanalytischen
Ich-Psychologie verfasst wurde« (S. 363). May untersucht die
Wurzeln von Jacobsons Theoriebildung in ihren ersten Berliner
Veröffentlichungen und schafft damit die Voraussetzungen für eine
differenzierte Betrachtung des postulierten Wissenstransfers.
Der von May und Mühlleitner vorgelegte Band ist methodisch
besonders interessant, da es ihm gelingt, eine sehr persönliche
Sicht auf die Protagonistin mit einer theoriegeschichtlichen
Analyse und einer wissenschaftshistorischen und zeitgeschichtlichen
Kontextualisierung zu verknüpfen. Die Autorinnen und Autoren
kennzeichnen eigene Interpretationen mit hoher Transparenz, und
eine wiederkehrende Reflexion des Forschungsprozesses trägt zu
einem sehr respektvollen Umgang mit der Biographie Jacobsons bei.
Viele Querverweise ermöglichen es, einzelne Aspekte gesondert zu
lesen, und der Rückgriff auf ungewöhnliche, bisher unbekannte
Quellen bietet auch für Kenner der Geschichte der Psychoanalyse
Überraschungen. Ausführliche Anhänge sowie abgedruckte Quellentexte
tragen zum hohen Nutzwert des Buches bei, dem man allenfalls
gelegentliche Übergenauigkeit und Detailversessenheit vorwerfen
könnte.