Rezension zu Körper, Imagination und Beziehung in der Traumatherapie (PDF-E-Book)
Psychotherapie Forum 04/2007
Rezension von Georg Steiner
Seit 1998 veranstaltet der Arbeitskreis für analytische
körperbezogene Psychotherapie (AKP) im Rhythmus von ein bis zwei
Jahren ein Symposium in Wien. Das letzte fand im September 2006
statt und widmete sich dem Thema der Traumatherapie mit der
speziellen Fragestellung, wie die Beziehung zwischen Therapeut(in)
und Klient(in) zu gestalten sei. Das Buch »Körper, Imagination und
Beziehung in der Traumatherapie« enthält im Wesentlichen die
Vorträge dieser Tagung.
Schon die historische Entwicklung des Arbeitskreises, der sich
ursprünglich aus der Bioenergetischen Analyse gebildet hat, ist
äußerst interessant. Nach Meinung der Begründer(innen) gab der
theoretische Hintergrund dieser Methode zu wenig Erklärung für das
komplexe Übertragungsgeschehen zwischen Klient(in) und
Therapeut(in). Nach einer mehrjährigen Supervision bei Jacques
Berliner, einem belgischen Psychoanalytiker, wurde diese Lücke
geschlossen und das psychoanalytische Theorie- und Therapiekonzept
in die Arbeit miteinbezogen. 1994 wurde der Arbeitskreis
»Analytische körperbezogene Psychotherapie« (AKP) gegründet. Dieser
hat bereits einige Bücher herausgegeben und eine eigene Zeitschrift
(»Psychoanalyse und Körper«) gegründet. In den regelmäßig
durchgeführten Symposien kommt es zu einem intensiven, fruchtbaren
Austausch zwischen namhaften, eher klassisch orientierten
Psychoanalytiker(inne)n und Körpertherapeut(inn)en, die auch
ausgebildete Psychoanalytiker(innen) sind.
Im oben angezeigten Tagungsband wird ersichtlich, dass besonders im
Bereich der Traumatherapie viele der vortragenden Kolleg(inn)en
seit einigen Jahren die Notwendigkeit gesehen haben, die
psychoanalytische Vorgangsweise zu verändern oder zu erweitern.
Dies geschieht entweder durch Einbeziehung körpertherapeutischer
Methoden oder solcher aus der modernen Traumatherapie. Allen
gemeinsam ist der offensichtlich große Erfahrungsschatz und die
Bereitschaft, sich auch theoretisch mit ihrem therapeutischen
Handeln auseinander zu setzen. In allen Beiträgen wird auf aktuelle
Forschungen aus der Bindungstheorie und der traumaspezifischen
Neurobiologie Bezug genommen. Neben der fachlichen Kompetenz ist
die große Empathiefühigkeit und Dialogbereitschaft spürbar. Das war
sowohl während der Vorträge – ich habe nicht nur das Buch gelesen,
sondern war auch beim Symposium dabei – als auch beim Lesen der
Lektüre erlebbar.
In die Traumathematik führt zunächst Georg Engeli aus einer
künstlerisch-philosophischen Perspektive ein. Man konnte vor und
während der Tagung viele seiner Bilder, die sich mit verschiedenen
Aspekten des Traumageschehens, unter anderem Dissoziation und
Spaltung, beschäftigen, Bilder vom Ein Ich und Viel-Ich, aber auch
Bilder vom wachsenden Bewusstsein bewundern. Georg Engeli leitet
auch die Vortragsreihe ein, indem er seine Bilder erläutert und
philosophisch reflektiert. Die sehr ausdrucksstarken Bilder sind im
Tagungsband in schwarz-weiß abgedruckt. Angeregt durch die weiteren
Beiträge der Fachleute, stellt er während der Tagung eine Reihe von
Grafiken her. Als »symbolische Helferfigur« und »personifizierte
Orientierungsfigur« dient Mr. Fivehair, der die Vielzahl der
unterschiedlichen zeitgenössischen Wirklichkeiten bereist und dort
jeweils die Anstrengungen, Hoffnungen und Ängste der Menschen
leibhaftig erfährt. Auch diese Grafiken sind im Tagungsband zu
sehen.
Nun zu den Beiträgen der Fachleute. Thomas Reinert beschäftigt sich
seit zirka zwanzig Jahren mit der Borderline-Pathologie. In seinem
Vortrag berichtet er auch über aktuelle Forschungsbeiträge, die
aufzeigen, dass Borderlinepatient(inn)en zu einem großen
Prozentsatz körperliche oder sexuelle Traumatisierung erlebt haben
– gegensätzlich zu der früheren Annahme, dass binnenpsychische
Fehlentwicklungen zur Entstehung der Störung beitragen. Reinert
weist aber auch darauf hin – und er bringt diesbezüglich ein
Fallbeispiel -, dass auch Menschen, die in der frühen Kindheit
nicht angenommen werden, eine solche Störung entwickeln können. Es
gelingt Reinert offensichtlich erfolgreich, mithilfe der
therapeutischen Beziehung diese traumatischen Erfahrungen
durchzuarbeiten und eine nachholende Ich-und Selbstentwicklung zu
ermöglichen.
Der Psychoanalytiker Jörg M. Scharff bringt ein sehr ausführliches
Fallbeispiel eines Analysepatienten, bei dem transgenerationale
Traumata eine Rolle spielen. Er zeigt auf, dass das Opfer eines
Traumas bei seiner Kompensation in der Regel in der nächsten
Generation partiell selbst zum traumatisierenden Objekt werden kann
und damit ungewollt Tätereigenschaften bekommt. Der Erwachsene
braucht dann das Kind zur eigenen psychischen Kompensation. Dadurch
wird das Trauma weitergegeben, und es kommt zu einer
Beeinträchtigung der psychischen Entwicklung des Kindes.
Auch Gabriele Poettgen-Havekost beschäftigt sich mit
transgenerationaler Weitergabe von Traumatisierungen. Dabei geht es
ihr um multiple und kumulative Traumatisierungen innerhalb des
familiären Bezugssystems, wie Vernachlässigung und, oder
Überstimulierung, Missbrauchserfahrungen, Mangel an Reizschutz und
Mangel an Raum für die Entwicklung des eigenen Selbst. In ihren
theoretischen Ausführungen bezieht sie sich unter anderem auf die
Arbeiten von Fonagy. Die Erfahrungen der Patientin (des Patienten)
werden in Form eines »falschen Selbst« internalisiert und sie sind
oft mit Worten nicht zu erreichen. Es kommt zu Körperinszenierungen
(u.a. selbstverletzendes Verhalten). Assoziativ sind die
abgespeicherten Erfahrungen durch Bilder, Laute, Gerüche,
Berührungen und Temperatur aktivierbar. Poettgen-Havekost erweitert
also ihr klassisch-analytisches Vorgehen (Arbeit mit der Couch)
durch die Möglichkeit, auch szenische Handlungen darzustellen. Neue
positive (im Gegensatz zu früher erlebten) Erfahrungen werden so
erarbeitet und erlebbar gemacht (z.B. sich gehalten und geborgen zu
fühlen). Sie betont auch die Wichtigkeit des spielerischen Umgangs,
um korrigierende emotionale Erfahrungen zu speichern.
Ralf Vogt ist neben seiner Ausbildung zum Psychoanalytiker auch
analytischer Körperpsychotherapeut, Therapeut für Familien- und
lösungsorientierte Kurztherapie und EMDR- (Eye Movement
Desensitization and Reprocessing) Therapeut. Er betont, dass bei
Psychotraumapatient(inn)en ein Vorgehen, wie es in der klassischen
tiefenpsychologischen, analytischen Therapie üblich ist,
kontraindiziert ist: Es besteht die Gefahr, dass Patient(inn)en in
eine maligne Regression und in frühe Traumazustände zurückfallen.
Seiner Meinung nach bedarf es spannungsarmer
Beziehungsgestaltungsformen. Häufig verwendet Ralf Vogt in seiner
Arbeit »beseelte Therapieobjekte«.
Ulrich Sachsse ist ebenfalls ausgebildeter Psychoanalytiker. Er
distanziert sich jedoch seit 1994 von seiner früheren Identität als
klassischer Analytiker. In seinem Beitrag »Was ist die optimale
Bühne für die Arbeitsbeziehung, die Bearbeitung der Pathologie und
die Nachreifung in der Psychotherapie?« berichtet er über seine
Arbeit mit komplex traumatisierten Menschen. Er betont, wie wichtig
es bei traumatisierten Patient(inn)en ist, antiregressiv
vorzugehen. Er legt Wert darauf, die Patientin (den Patienten) auf
einer Erwachsenenebene anzusprechen, gemeinsam die Therapieziele zu
formulieren und die Arbeitsbeziehung transparent zu gestalten. Die
Therapeut(inn)en haben die Aufgabe, die Patient(inn)en über ihr
therapeutisches Vorgehen gut zu informieren und deren Zustimmung
einzuholen. Sachsse kooperiert, wie er – und auch andere moderne
Traumatherapeut(inn)en – es nennt, mit dem »Erwachsenen-State« der
Klient(inn)en (hier bezieht er die Ego-state-Arbeit von Luise
Reddemann ein). Auf dieser Basis werden dann die
veränderungsrelevanten, meist traumabedingten States ausgesucht und
bearbeitet. Die Therapeut(inn)en tragen die Verantwortung für die
Gestaltung der therapeutischen Beziehung, aber auch für die Wahl
der veränderungsrelevanten States sowie für die Aktivierung und
Kontrolle der regressiven und pathologischen States.
Die Psychoanalytikerin Renate Hochauf beschäftigt sich mit der
Behandlung von sehr frühen Störungen. Sie gibt einen sehr
detaillierten Überblick über die Wirkung sehr früher Traumata auf
die Symbolisierungsfähigkeit, die Abbildung der Traumata in
verschiedenen Gedächtnissystemen, Dissoziation und Entstehung von
Täterintrojekten etc. In ihre Arbeit bezieht sie imaginative und
körperbezogene Therapieansätze mit ein.
Der Psychoanalytiker Mathias Hirsch setzt sich vor allem mit der
Frage auseinander, wie gute Erfahrungen in der frühen Kindheit – im
Gegensatz von frühen Traumata – im Körper gespeichert werden. Bei
Letzteren wird der Körper als Objekt verwendet und so kann er
selbst zum Opfer werden. Der dissoziierte Körper kann so zum Ort
der Projektion für das Böse werden, d.h. als traumatisches
Introjekt dienen. Dies passiert zum Beispiel beim
selbstschädigenden Verhalten. Bei psychosomatischen Symptomen
handelt der Körper selbstschädigend. Hirsch verwendet zur näheren
Veranschaulichung auch Beispiele aus der Literatur (Kafka und
Patrick Süskind).
Reinhard Plassmann, ursprünglich wie fast alle seiner
Referenten-Kolleg(inn)en ebenfalls Psychoanalytiker, fasst in
seinem Beitrag die Behandlungserfahrungen moderner Traumatherapie
zusammen. Es sind dies folgende Prinzipien: das Prinzip der
Selbstorganisation, das Prinzip der Bipolarität, das Prinzip der
emotionalen Präsenz, das Prinzip der Körperlichkeit und das Prinzip
der Gegenwärtigkeit. Plassmann stellt in seinem Beitrag u. a. die
Methode des bipolaren EMDR ausführlich dar und betont, wie wichtig
es ist, das jeweilige Optimum zwischen Stabilisierung und
Traumaexposition zu finden (»window of tolerance«). Illustriert
werden seine Ausführungen mit einem Fallbeispiel.
Luise Reddemann stellt ihr Konzept der Ego-States und die »Arbeit
mit der inneren Bühne« vor. Auch bei psychisch gesunden Menschen
finden wir, oft abhängig von den verschiedenen sozialen Rollen
(z.B. Beruf, Freizeit und Familie) verschiedene
Persönlichkeitsanteile. Der gesunde Mensch ist sich dessen in der
Regel aber voll bewusst. Bei traumatisierten Menschen wird durch
die überwältigende Erfahrung des traumatischen Geschehens die
Persönlichkeit in zumindest zwei Teile gespalten: in den normal
funktionierenden Teil, die »anscheinend normale Persönlichkeit«,
und den mit dem Trauma verhafteten Teil, die »emotionale
Persönlichkeit«. Bei komplex traumatisierten Menschen findet man in
der Regel mehrere »emotionale Persönlichkeiten«, u.a.
Täterintrojekte. In der »Arbeit mit der inneren Bühne« werden diese
verschiedenen Anteile identifiziert und in Dialog gebracht. Diese
Vorgangsweise hat sich als sehr hilfreich erwiesen.
Petra Rau berichtet über die Bedeutung der klinisch-psychologischen
Diagnostik von Traumafolgestörungen auf der Basis des
Kassenvertrags-für-psychologische-Diagnostik in Österreich. Die
Erfahrung zeigt, dass Betroffene von Traumafolgestörungen oft
fehldiagnostiziert werden und meist ohne spürbare Besserung von
einem Arzt zum anderen geschickt werden. Die Symptomatik
verschlimmert sich immer mehr, und die darunterliegende
ursprüngliche Traumasymptomatik wird immer schwieriger
erkennbar.
Ärzte und Ärztinnen und Psychotherapeut(inn)en nehmen das Angebot
der psychologischen Diagnostik, wie sie seit dem Kassenvertrag der
Psycholog(inn)en möglich ist, zunehmend mehr in Anspruch. Petra Rau
ist der Überzeugung, dass damit im Gesundheitssystem unnötige
Kosten erspart werden können. Sie weist in ihrem Beitrag auch auf
die typischen Schwierigkeiten bei der Diagnosestellung von
Traumafolgestörungen hin und erläutert die konkrete Gestaltung der
klinisch-psychologischen Untersuchung und die Verwendung der
testpsychologischen Verfahren.
Der Beitrag von Silvia Janko und Wolfgang Milch behandelt die
transgenerationale Transmission von traumatischen Erfahrungen. In
den Fallbeispielen geht es im Besonderen um die Nachkommen von
Holocaust- und kriegstraumatisierten Menschen.
Klaus Madert ist als Psychoanalytiker, aber auch als
Bioenergetiker, systemischer Familientherapeut und in Feldenkrais,
craniosacraler Chirotherapie und EMDR ausgebildet. Er ist
begeistert davon, wie sehr das bioenergetische Erfahrungswissen
durch die neurobiologischen Erkenntnisse der letzten Jahre
wissenschaftlich unterstützt wird. Er stellt in seinem Beitrag sehr
ausführlich die neurobiologischen Forschungen und Erkenntnisse der
modernen Traumatherapie und die Ergebnisse der Bindungsforschung
dar. Auch er verwendet v.a. in der Stabilisierungsphase imaginative
Techniken, aber auch Feldenkraisübungen und Übungen aus der
Bioenergetik. Dysfunktionale Bewältigungsstrategien verändert er
oft durch bioenergetische Übungen ohne direkte Ansprache des
traumatischen Materials. Zur Reduzierung von Stressreaktionen
bezieht er auch körperliche Berührungen in die Therapie mit ein. Um
wirkliche Veränderung zu bewirken, sieht er in der
Traumaexpositionsphase die emotionale Katharsis als unbedingt
notwendig an. Bei bewussten Erinnerungen, die vermutlich mit dem
traumatischen Komplex in Zusammenhang stehen, setzt Madert auch die
Methode des EMDR ein.
Im letzten Artikel des Buches diskutiert Peter Geißler seine
Überlegungen zur theoretischen Konzeptualisierung des Körpers in
der analytischen Körpertherapie. Er stellt in seinem Beitrag zwei
Modelle theoretischer Konzeptualisierung des Körpers vor: den
Körper als »Übergangskörper« und den Körper als »interaktionellen
Körper«. Peter Geißler unternimmt mit diesem Beitrag den Versuch,
den Einsatz bestimmter aktiver Körpertechniken zu verstehen, um
seinen Patient(inn)en weiterzuhelfen, die ohne diese Techniken
schwer oder gar nicht erreichbar sind. Der Zusammenhang mit dem
Traumatherapiethema besteht insofern, als bei diesen Patient(inn)en
häufig somatoforme Störungen vorliegen, hinter denen nicht selten
eine Traumagenese steckt. Geißler führt hier auch das Fallbeispiel
einer Kopfschmerzpatientin an.
Somit gibt dieses Buch einen hervorragenden Überblick über den
derzeitigen wissenschaftlichen Stand in der Traumatherapie. Es
bietet sehr viel Information und Anregungen sowohl für
Kolleg(inn)en, die sich noch nicht intensiv mit Traumatherapie
beschäftigt haben, als auch für solche, die ihr Wissen vertiefen
wollen.