Rezension zu Unterwelt in Aufruhr
Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse. Bulletin 64/2007
Rezension von Hans-Rudolf Schneider
Die Organisatorinnen des Freud-Institutes Zürich der Tagung zum
150. Geburtstag Freuds ermöglichen mit der Publikation der Vorträge
dem Leser einen anregenden Einblick in aktuelle Diskussionen
zentraler Themen der Psychoanalyse, des »Erbschatz(es) von Freud,
(der) beträchtlich und bis in die heutigen Tage fruchtbar ist«
(Lucia Pinschewer im Schlusswort der Tagung).
In seiner Einführung zur Tagung positioniert Giovanni Vassalli die
Psychoanalyse in einem geistesgeschichtlichen, wissenschaftlichen
und gesellschaftlichen Rahmen.
Die behandelten Themenbereiche Rahmen, Objekt, Trauma und Trieb,
Psychosomatik und als Letzter die Spaltung werden von je zwei
Referenten untersucht und kritisch beleuchtet:
Betty Denzler arbeitet die Bedeutung des Dritten als Garant des
Rahmens heraus und stellt dar, wie vielfältig das Konzept des
Dritten ist und welch wichtige Bedeutung seine triangulierende
Funktion für die Trennung und damit für die Autonomisierung und
Subjektwerdung ist. Wolfgang Walz ergänzt die Gesichtspunkte des
Rahmens als Zwang und Schutz um die Dimension des Rahmens als
Spielraum.
Dieter Bürgin skizziert die verschiedenen Ebenen und Konzepte des
Objektbegriffes in der Psychoanalyse und geht dabei auch auf die
wenig diskutierten Ideen zur pränatalen Entstehung der Objekte ein.
Seine Ausführungen illustriert er mit einem berührenden klinischen
Beispiel aus der Behandlung eines 10-jährigen Buben. Wolfgang Roell
setzt sich kritisch von den pränatalen Konzepten ab und legt
besonderes Gewicht auf die Entwicklung der Objekt- und
Selbstrepräsentanzen in der frühkindlichen Beziehung zu allen
Bezugspersonen und arbeitet die Differenz nachträglicher
Rekonstruktion und Kleinkinderbeobachtung heraus.
Jacques Press stellt der Kontroverse »Trieb oder Trauma« die These
»Trieb und Trauma« gegenüber und zeigt anhand der Entwicklung von
Freuds Überlegungen auf, wie der Gefeierte sein Leben lang Trieb
und Trauma versuchte als untrennbares Paar zu denken, eine Aufgabe,
die sich jedem Analytiker stets von neuem stellt. Er weist auf die
Bedeutung Ferenczis und Winnicotts hin und verknüpft dies mit den
Gedanken der französischen Psychosomatiker. Seine Ausführungen
illustriert May Widmer mit klinischen Beispielen, die leider, wohl
aus Diskretionsgründen, nicht in vollem Umfang publiziert werden
konnten.
Michel de M Uzan fordert den Leser mit seinen Ausführungen zu einer
psychosomatischen Nosografle heraus, einen wohl vor allem für
deutschsprachige Psychoanalytiker ungewohnten Blick auf die
psychischen Prozesse und die Struktur zu werfen, der es ermöglichen
soll, sich relativ rasch über die entscheidenden Strukturmerkmale
eines Analysanden oder Patienten zu orientieren. Diesen Schritten
auf dem Weg zu einer psychoanalytischen Krankheitslehre stellt
Charles Mendes de Leon die deutschsprachigen Klassifikationssysteme
gegenüber, deren Auswirkungen auf den Psychoanalytiker nicht zu
unterschätzen seien. Seine kritischen Bemerkungen bringen ihn zur
Frage, ob, bei aller Hilfe, die sie dem Analytiker bringen können,
es überhaupt angemessen und möglich sei, eine psychoanalytische
Krankheitslehre zu entwickeln, oder ob damit nicht der Boden der
Psychoanalyse verlassen werde.
Alexander Moser ergänzt die bekannten Kränkungen der Menschheit
durch die Funde Galileis, Darwins und Freuds durch eine weitere
Kränkung, die auf Freud zurückgeht. Der Mensch sei nicht nur nicht
Herr im Hause, weil ihm nur ein kleiner Teil seines psychischen
Lebens bewusst sei, nein, auch im bewussten Teil habe der Mensch
wegen der Spaltung weniger Übersicht und Kontrolle, als er meine.
Die Folgen dieser Spaltungen illustriert er nach einer
Begriffsklärung mit zahlreichen Beispielen und weist auf die
destruktiven Folgen für den Einzelnen und die Menschheit hin. Eva
Schmid ergänzt diese Gedanken mit Überlegungen zur Bedeutung des
Traumas für die Spaltung und mit Fragen der Technik und des
Objektes für die Arbeit an der Spaltung.
Dem Leser sei aber auch der Vortrag eines Nichtanalytikers
empfohlen: Georges-Arthur Goldschmidt vermittelt in seiner
berührenden, poetischen Arbeit »Wenn eine Sprache ausfällt, spricht
ganz deutlich der Trieb« Gesichtspunkte, Bedeutung und Wirkung der
Sprache in einer Unmittelbarkeit und Direktheit, die ihresgleichen
sucht. Seine witzigen und anregenden Gedanken lassen aber auch die
mögliche Destruktivität des Menschen hintergründig aufblitzen.
Den Herausgeberinnen sei für die Publikation der Referate der von
ihnen organisierten Tagung gedankt. Sie steht für die Lebendigkeit
der Psychoanalyse, deren Untergang stets von neuem herbeigeredet
wird und sie zeugt von der unglaublichen Reichhaltigkeit des Werkes
des Gefeierten, eines Werkes, dessen Aneignung und Weiterführung
eine unabschließbare Aufgabe ist.