Rezension zu Coaching an Schulen

Psychologie in Österreich 04-05/2007

Rezension von Dr. Gerald Kral

Wenn heutzutage ein Buch erscheint, das das Zauberwort »Coaching« im Titel führt, ist Vorsicht geboten: Coaching; ja, gut; aber was genau wird denn in diesem Fall unter »Coaching« verstanden? West-Leuer geht an verschiedenen Stellen des vorliegenden Buches auf diese Frage ein: »Coaching bezeichnet einen personenzentrierten Beratungs- und Betreuungsprozess, der berufliche und private Inhalte umfassen kann, zeitlich begrenzt ist und auf der Basis einer tragfähigen Beratungsbeziehung in vertraulichen Sitzungen abgehalten wird« (S. 19). So weit steht West-Leuer in guter Ubereinstimmung mit gängigen Coaching-Definitionen, z.B. der von Hauen: »Coaching ist ein interaktiver, personenzentrierter Beratungs- und Begleitungsprozess, der berufliche und private Inhalte umfassen kann. Im Vordergrund steht die berufliche Rolle bzw. damit zusammenhängende aktuelle Anliegen des Klienten... Coaching findet auf der Basis einer tragfähigen und durch gegenseitige Akzeptanz und Vertrauen gekennzeichneten, freiwillig gewünschten Beratungsbeziehung statt, d.h. der Klient geht das Coaching freiwillig ein und der Coach sichert ihm Diskretion zu« (Hauen 2005; online unter www. coaching-report.de).

Was die Grundannahmen und die theoretische Ausrichtung betrifft, verfolgt West-Leuer den Ansatz des »Psychodynamischen Coachings«, wie sie es an anderer Stelle auch schon beschrieben hat (West-Leuer und Sies 2003): »Psychodynamisches Coaching ist eine Anwendung der Psychoanalyse zu Beratungszwecken im Umgang mit psychischen und sozialen Systemen« (S. 23), und weiter: »Die Seele einer Organisation inszeniert sich als irrationales Handeln und Verhalten der Gecoachten« (S. 25), zu deren Verständnis laut der Autorin die Kenntnis unbewusster Prozesse in verschiedenen Ausformungen – erwähnt werden Abwehrmechanismen und Übertragungsphänomene – notwendig sei. Diese Phänomene seien durch ein von der Autorin so genanntes »Doppeldenkverfahren«, bei dem die unbewusste Dimension immer mitge- oder bedacht wird, verständlich.

Diese psychoanalytisch orientierte Coaching-Sichtweise klingt zunächst einmal ein bisschen ungewöhnlich, jedenfalls interessant, und macht neugierig. Es ist ja womöglich nicht auszuschließen, dass die vorwiegend lösungsorientierte Sichtweise von Coaching ihren Kulminationspunkt überschritten hat, und es gibt sehr spannende Ansätze, die in die Richtung weisen, dass das zumindest zum Teil durchaus seine Berechtigung hat (siehe z.B. Eidenschink, 2005). Die Anwendung psychoanalytischer Grundlagen im Coachingkontext ist ja auch nicht grundsätzlich neu, sie wird ja u.a. seit längerem von Fürstenau vertreten (z.B. Fürstenau 2002), dort aber konturierter herausgearbeitet und explizit auch mit systemischen Elementen versehen. Auch die Anwendung des von der Psychoanalyse entwickelten Verfahrens des »Baby Watching« auf Organisationsberatung in Form der »Organisationsbeobachtung« (vgl. Hinshelwood und Skogstad 2006) ist ein spannender Ansatz.

Der Eindruck, der bei der Lektüre des vorliegenden Buches jedoch entsteht, ist, dass die Errungenschaften systemischer, lösungsorientierter Formen von Beratung, wie z.B. der Anerkennung der Expertise der Klientlnnen und deren Wertschätzung, die sich gerade im Coaching-Kontext als sehr wertvoll erwiesen haben, hier womöglich gefährdet sind und das alte Gespenst »couching« – das Einsickern einer therapeutischen Vorgangsweise – scheint über die Buchseiten zu spuken. Dieser Gefahr begegnet die Autorin wohl nicht ausreichend und erweist mit dieser methodischen Unschärfe dem Ansatz, den sie vertritt, keinen besonders guten Dienst.

Das Buch im Überblick

Im ersten Teil gibt West-Leuer zunächst einen Einblick in das von ihr vertretene Coachingkonzept (siehe oben) und erläutert psychoanalytische Konzepte wie z.B. Übertragung und Gegenübertragung, projektive Identifikation oder Abwehrmechanismen. Für Kenner dieser Konzepte eine Wiederholung, für diejenigen, die mit diesen Konzepten nicht vertraut sind, erscheint die hier gewählte Form zu knapp und zu kompakt.

Teil 2 bringt einen historischen Überblick über Schul-Konzepte und -Verständnis aus den letzten Jahrhunderten; Teil 3 schließlich, und damit der Hauptteil des Buches, beschreibt eine von der Autorin geleitete Veranstaltung mit dem Teil eines Lehrerkollegiums einer Schule. Es scheint mir allerdings keineswegs gesichert, dass die im Hauptteil des Buches beschriebene Veranstaltung eine Coachingveranstaltung ist; sie wird von West-Leuer selbst abwechselnd als Workshop (Seite 70), als Leherfortbildung (Seite 15), zu dessen Beginn die Autorin auch einen Einführungsvortrag (?) hält, und eben als Coaching bezeichnet. Diese Unschärfe ist es, die die Lektüre des Buches schwierig macht und den Gegenstand, um den es geht, manchmal etwas beliebig erscheinen lässt. Wie eingangs erwähnt ist in jedem Fall ein klares Bild einzufordern, was jeweils unter »Coaching« verstanden wird, und mein Eindruck als Rezensent ist, dass das vorliegende Buch diesen Eindruck nicht vermittelt.

Der rezensierte Band wirkt in der Buchreihe, in der er erschienen ist – »Psychoanalytische Pädagogik« – gut aufgehoben; es bleibt die Frage: wieso »Coaching« – womöglich wurde hier auf die Zugkraft eines momentan populären Begriffes gesetzt? Dadurch wird meiner Meinung nach jedoch weder der Psychoanalytischen Pädagogik noch dem Coaching ein besonders guter Dienst erwiesen.



Literatur:

EIDENSCHINK, K. (2005). Lösung und Problem. Vortrag und Präsentation am 2. Coaching Kongress, Frankfurt.

FÜRSTENAU, P. (2002). Psychoanalytisch verstehen Systemisch denken, Suggestiv intervenieren, 2. Aufl. Stuttgart: Pfeiffer.

HINSHELWOOD, R. D. & SKOGSTAD, W (2006). Organisationsbeobachtung. Gießen: Psychosozial-Verlag.

RAUEN, C. (Hg.) (2005). Handbuch Coaching. Göttingen: Flogrefe.

WEST-LEUER, B. & SIES, C. (2003). Coaching – Ein Kursbuch für die Psychodynamische Beratung. Stuttgart: Pfeiffer.

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