Rezension zu Tat-Sachen

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Rezension von Katharina Georgi

In Ihrem Buch »Tat-Sachen – Narrative von Sexualstraftätern« geben die Psychologen der Sektion Forensischer Psychotherapie der Universität Ulm ihre Ergebnisse einer Analyse von Videomaterial preis, das während gruppentherapeutischer Sitzungen mit inhaftierten Sexualstraftätern entstanden ist. Die Videoaufzeichnungen wurden transkribiert und anschließend qualitativ ausgewertet. Hoffentlich folgen diesem Buch noch weitere ähnliche Arbeiten.

Die qualitative Auswertung mit der Methode der Konversations-, Narrations- und Methapheranalyse, kurz KANAMA, welche die Autoren aus einem psychoanalytischen Grundverständnis heraus entwickelt haben, macht dem Leser auf subtile und differenzierte Art und Weise Ebenen in den Dialogen der Teilnehmer, in ihren Darstellungen und Selbstdarstellungen sichtbar, die sich um den Umgang der Strafgefangenen mit ihrer Tat drehen. In der Gruppentherapie werden die Teilnehmer gezwungen, sich mit ihrer Vergangenheit, ihrer Schuld und Verantwortung auseinanderzusetzen. An ihrer Sprache werden Stellungnahme, Entwicklungen und Veränderungen, aber auch ihre Widerstände und Ängste, dinghaft gemacht. Die Leser erhalten einen tiefen Einblick in das Ringen der Teilnehmer, sich zwischen dem Status eines Gefangenen und dem eines Patienten zu verorten und ihre Position mit allen Konsequenzen als eine Täterposition aufzufassen.

Die Erwartung des Lesers, aus den Ergebnissen der Analysen Kausalhypothesen zu gewinnen, die zu einer allgemeinen Theorie über Sexualstraftaten führen, wird nicht erfüllt. Gewinnbringend sind die Ergebnisse institutionell gesehen für Therapeuten und Gutachter. Der verschränkte Blick auf den linearen Zusammenhang zwischen biografischer Entgleisung und resultierender Tat wird durch die Auseinandersetzung geöffnet für aktualisierte Momente von Motiven und Motivdarstellungen geöffnet. Die Autoren sagen eindrücklich, dass nicht hinter der Sprache nach nicht Wahrhaftigkeit, nach etwas Eigentlichem, etwas Unverstellten, gesucht werden soll, sondern direkt in der Sprache selbst, im Ausdruck, in der Rhetorik, in der Wahl der Metaphern. Den Autoren ist diese Suche gelungen. Durch kniffliges Auseinandernehmen, Teilen, Auspacken, verlieren sie sich bei jeder »Verfolgung« nicht im Detail oder Material, sondern schaffen es, denn Faden zu verfolgen, bis das Wesentliche sichtbar wird.

Nicht für Psychologen, auch für Studenten oder Interessenten bieten die Autoren einen reichhaltigen und interessanten Stoff. Ein Ausdruck im fachüblichen Jargon wurde weitestgehend vermieden. Es ist bemerkenswert, wie einfach und klar, vielleicht gerade deshalb, die Gegenstände im Buch beschrieben und somit für jedermann zugänglich sind.

Ein Großteil des Buches bietet den Lesern einen ausführlichen Überblick über die einzelnen Elemente der Methodik. Die Rolle der Autoren und die Schwierigkeiten, denen sie während der Auswertung des Materials begegnet sind, werden in Zwischenüberlegungen reflektiert. Es ist ein Vorteil dieses Buches, dass die Arbeit weder in die Behandlungs-, noch in das Feld der Prognoseforschung fällt. Dies ermöglicht eine Freiheit für differenzierte gesprächsanalytische Überlegungen, die sich, wie die meisten qualitativen Forschungen über die Behandlung von Sexualstraftätern, schlussendlich nicht auf die retrospektive Erstellung von Prädiktorenkatalogen für Rückfälligkeitsstatistiken reduzieren lassen, die nicht »outcome«-orientiert sein müssen.
Hoffentlich folgen diesem Buch noch weitere ähnliche Arbeiten.


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