Rezension zu Tat-Sachen

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Rezension von Jeanette Fordyce-Macon

Das Buch Tat-Sachen bietet einmalige Einblicke in das Spannungsverhältnis zwischen Therapeut und Sexualstraftäter in den Rahmenbedingungen einer Psychotherapie als Teil des Vollzugs. Essentiell ist dabei die Verwandlung der Straftäter zu Patienten, wobei sich der Therapeut mit methodischer und nicht moralischer Strenge auf die Suche nach Ursachen für das Verhalten des Patienten begibt.

Als zentrale Psychotherapieanalysetechnik wird KANAMA – Konversations-, Narrations- und Metaphernanalyse – vorgestellt und anhand der Therapiegespräche mit zwölf Patienten, mit den verschiedensten Hintergründen, sehr anschaulich dargestellt. Dabei wird sowohl umfangreich auf die methodischen Grundlagen von KANAMA als auch auf verschiedene Strategien der Gesprächsführung eingegangen.

Es geht hierbei nicht nur um das Gespräch und das Erzählte oder Preisgegebene an sich, sondern auch um Selbstdarstellung der Sexualstraftäter, um deren Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit und auch zwischen den Zeilen des Gesagten zu lesen bzw. zu interpretieren. Nach der Abhandlung über das Spektrum verschiedener Analysemethoden wird auf die allgemeinen Rahmenbedingungen der Gespräche eingegangen, wie eingestiegen wird etc. Darauf folgt ein Kapitel über die verschiedenen Erzählstrukturen der Patienten. Hier fand ich besonders interessant, wie die Sexualstraftäter ihre Taten beschreiben. Beispiele machen hier sehr anschaulich, wie die Täter die Taten für sich, den Therapeuten und die anderen Patienten/Straftäter darstellen. Interessant dabei ist auch wie der eigentliche Täter dabei teilweise die Rolle des Zeugen oder auch des Opfers einzunehmen versucht und welche Rolle das tatsächliche Opfer der Straftat zum Täter oder zumindest zum provozierenden Akteur in der Handlung hat.

In dem Kapitel zu Mikrostrukturen der Konversation wird daraufhin konkret betrachtet, wie ein Therapiegespräch vom Therapeuten geleitet werden kann, sodass ein solches Gespräch überhaupt zustande kommen kann, ohne dass sich der Patient bedrängt oder unverstanden fühlt. Man bekommt hier einen sehr schönen Einblick in die Techniken, die benutzt werden, sodass der Therapeut trotz der Situation des Vollzugs Vertrauen erwerben kann, um mehr über die Vergangenheit und das Leben des Sexualstraftäters zu erfahren. Des Weiteren wird auf die verschiedenen Arten von Metaphern eingegangen, die die Straftäter/Patienten zur Beschreibung ihres eigenen Lebenslaufes benutzen, da diese sich oftmals wiederholen.

Alles in Allem bietet das Werk Tat-Sachen meiner Meinung nach einen einmaligen, anschaulich von Beispielen gestützten Einblick in den moralische Grenzen überschreitenden Bereich der Psychoanalyse von Sexualstraftätern im Umfeld des Strafvollzugs. Unabhängig von der eigenen (der breiten Masse entsprechenden) Meinung gegenüber Sexualstraftätern, die von Angst und Unverständnis den Tätern gegenüber geprägt ist, werden auch diese in der Psychoanalyse zu Patienten. Man muss ihr Vertrauen gewinnen, um zu den Ursachen zu gelangen, die linear oder puzzelartig innerhalb ihres Lebenslaufes zu den jeweiligen Straftaten geführt haben können. Es ist sehr interessant zu sehen, wie mithilfe von Metaphern, Ausweichformulierungen etc. bestimmte Dinge ausgedrückt werden können, sowohl vom Therapeuten, um nicht die Ablehnung des Patienten zu erfahren, als auch vom Patienten, um nicht Dinge teilweise direkt aussprechen zu müssen.

Ich selbst studiere Sozialpsychologie und habe, was analytische Methoden angeht, nicht allzu viel Vorwissen. Dennoch ist das Werk für mich sehr verständlich geschrieben, da sich konkrete Beispiele mit Methode die Waage halten. Auch außerhalb des Studiums, unabhängig von eventuellen Kursen, halte ich dieses Buch für ein sehr lesenswertes Werk, da es einem eine ganz neue Perspektive auf Psychoanalyse bietet.


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