Rezension zu Trauma und kollektives Gedächtnis

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Rezension von Georg Blokus

Angela Kühners Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist nun im Jahr 2008 im Psychosozial-Verlag unter dem Titel »Trauma und kollektives Gedächtnis« erschienen.

Der Traumabegriff als einer der populärsten und teilweise auch umstrittensten Begriffe der Psychologie wird in dieser Arbeit sowohl aus individueller als auch aus kollektiver Perspektive durchleuchtet und bekommt durch Beispiele wie das Trauma des Nationalsozialismus und des 11. Septembers 2001 immer wieder eine konkrete Erscheinung. Über die Definitionsprobleme hinaus wird der Traumabegriff aus interdisziplinärer Perspektive angegangen und mündet in einem fundierten Rahmenmodell.

Ausgehend von den Strukturen und den Prozessen von Kollektiven werden das Individuum und die Gruppe in Bezug zum Trauma gesetzt. Die theoretische Basis bildet dabei Freuds Massenpsychologie und ihre Weiterentwicklung in der Ethnopsychoanalyse.

Ein wichtiger Begriff, der hierbei in den Fokus gestellt wird, ist die Identität, sowohl individuell als auch kollektiv. Der Identitätsbegriff wird somit zum Zentrum allen Erinnerns und Verarbeitens von historischen Ausnahmesituationen.

Letztlich mündet die Analyse des Trauma- und Identitätsbegriffs in einem Plädoyer »für ein reflexives Erinnern«, das aus sozialpsychologischer Sicht fundiert konzipiert und begründet wird.

Diese Arbeit zu einem populärwissenschaftlich oftmals verwendeten Begriff ist eine Erhellung für Gefühl und Vernunft, weil eine Basis geschaffen wird, auf der vormals schwammige Begriffe in einen historisch-philosophischen und soziologisch-psychologischen Rahmen eingeordnet werden, der sowohl beschreibende, erklärende, als auch vorhersagende Elemente aufweist.

Es macht unheimliche Freude, die Liebe zum Detail und die Muße bei der Konzeptualisierung dieser Arbeit zu spüren. Vor allen Dingen aus der Perspektive einer sozialwissenschaftlich arbeitenden Psychologie, die sich nicht nur der quantitativ-naturwissenschaftlichen als auch ebenso wenig einzig einer qualitativ-geisteswissenschaftlichen Psychologie verschreibt. Mit einer Mischung aus philosophischer Prägnanz und empirischer Adäquanz gelingt Angela Kühner ein Spagat, der bei solch einem Themenkomplex durchaus nicht selbstverständlich ist.

Besonders interessant sind die Implikationen für die Konfliktforschung, die zahlreich aufgezeigt werden. Es zeigt sich immer wieder eine ganzheitliche und zugleich einzelheitliche Herangehensweise an den Forschungsgegenstand. Die Struktur der Arbeit weist ebenso keine Makel auf und erleichtert, kombiniert mit einem flüssigen und prägnanten Sprachstil, enorm das Verständnis.

Was bleibt letztlich zu sagen? Für mich als Studenten der Psychologie, der zeitweise bombardiert wird mit der Empirie der naturwissenschaftlich orientierten Psychologie, ist es eine Genugtuung, von Zeit zu Zeit Alternativen zum Mainstream kennen zu lernen, da es in Forschung und Lehre oftmals keine Beachtung findet. Gerade von dieser ganzheitlichen und sozialwissenschaftlich orientierten Psychologie, die an der Universität zu Köln mit Prof. Norbert Groeben einen starken Vertreter hatte, ist in den letzten Jahren nicht mehr viel übrig geblieben. Bruchstücke schwimmen auf einem Meer aus Behaviorismus, Kognitiver und Neuropsychologie. Die Zukunft bzw. die Gegenwart spricht aus dieser Sicht ganz stark gegen alternative Lehr- und Forschungsperspektiven. Jedoch macht es Mut, dass diese wertvollen Beiträge zu einer größeren und erwachseneren Psychologie nicht in diesem Meer unterzugehen scheinen, sondern nur wie Eisschollen verstreut über dem Wasser aufblitzen.

Vielen Dank für diese außerordentliche Arbeit zu einem Thema, das nie an Aktualität verlieren wird, solange der Mensch als Individuum, das gleichzeitig in ein Kollektiv gebunden ist, in Konflikte verwickelt wird, die traumatisch wirken können.



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