Rezension zu Die seelische Krankheit Friedlosigkeit ist heilbar
www.uni-online.de
Rezension von Stefanie Nowitzke
Unbequem und Genial!
Als ich die Kurzbeschreibung des Buches gelesen hatte, wurde zwar
mein Interesse geweckt, aber ich hätte nicht gedacht ein Buch zu
lesen, das mich derartig zum Nachdenken anregt.
Das Buch beginnt nicht wie sonst mit einem Vorwort, sondern mit
einem sehr interessanten und persönlichen Interview, in dem der
Autor zunächst von seinen Erfahrungen als Soldat im zweiten
Weltkrieg erzählt. Er berichtet davon, wie er Menschen tötete und
wie er dabei sämtliche Gefühle ausblendete, um nicht verrückt zu
werden. Er stumpfte ab. Erst als er erfuhr, dass seine Eltern von
russischen Soldaten ermordet wurden, begann er zu trauern und zu
leiden, was, wie er sagt, notwendig gewesen ist, um friedfertig zu
werden. All diese Erfahrungen waren ausschlaggebend für seine
späteren beispielslosen Bemühungen um Frieden. Zum einen finde ich
es sehr mutig, ein solch persönliches Interview zu geben, und zum
anderen finde ich es gut, da der Leser dadurch einen besseren Bezug
zur Materie bekommt.
Die folgende »Übersicht« ist interessant gestaltet: Zunächst erhält
der Leser eine kurze Einleitung zum eigentlichen Thema, nämlich was
die Krankheit Friedlosigkeit eigentlich ist. Der Begriff wurde
geprägt von Carl Friedrich von Weizsäcker.
Es folgen kurze Beschreibungen, worum es in den folgenden Kapiteln
gehen wird. In jedem Kapitel zeigt der Autor auf, wie weit die
Menschen, vor allem in den westlichen Ländern, von der
Friedfertigkeit entfernt sind und warum.
Horst-Eberhard Richter spricht viele Themen in diesem Buch an. Vor
allem beschäftigt er sich mit den Themen Krieg und der Bedrohung
durch nukleare Waffen und versucht, das zerstörerische Verhalten
der Menschen nicht zuletzt mit Hilfe der Psychoanalyse zu
erklären.
Wenn man dieses Buch lesen möchte, sollte ein gewisses Interesse
für die Psychoanalyse vorhanden sein, da die Krankheit
Friedlosigkeit mit Hilfe der Psychoanalyse erklärt wird. Die
Psychoanalyse arbeitet viel mit dem unbewusst Verdrängten, was
vielleicht nicht jedem einleuchtet oder was nicht für jeden
akzeptabel ist. Schließlich gibt es viele Kritiker der
Psychoanalyse und diverse Alternativerklärungen für psychologische
Phänomene.
Erschütternd ist sein Kapitel »Medizin und Gewissen«, indem er von
den Ärzten erzählt, die während des Nationalsozialismus im Zuge der
Euthanasie Menschen umbrachten, obwohl sie sich doch eigentlich der
Heilung und somit dem Schutze der Menschen verschrieben hatten.
Zwar spricht das Buch damit ein Thema an, welches eigentlich
bekannt sein müsste, und doch bedrückt dieses Kapitel, was H.-E.
Richter vermutlich auch erreichen möchte. Der Autor fragt nach dem
»Warum« und kommt zu dem Schluss, dass die Minderwertigkeitsgefühle
schuld sind an den Massenmorden, die im Zuge des
Nationalsozialismus durchgeführt wurden. Überhaupt ist dies das
Hauptanliegen von Horst-Eberhard Richter:
Er möchte, dass die Leute verstehen, warum etwas geschieht. Wie
werden Menschen fähig, solch grausame Taten zu vollbringen? Denn
nur wenn man versteht, wie etwas passiert, kann man verhindern,
dass eine beispiellose Vernichtungswelle, wie der zweite Weltkrieg,
wieder geschieht.
In seinem Kapitel »Alexander Mitscherlich und die Deutschen«
berichtet er von einem guten Freund, der sich nach dem zweiten
Weltkrieg einen Namen machte, in dem er eine Dokumentation über die
amerikanischen Prozesse in Nürnberg veröffentlichte. Alexander
Mitscherlich hat H.-E. Richter in seiner Arbeit beeinflusst.
Allerdings kritisiert er Mitscherlich dafür, dass er sich den
studentischen Protestbewegungen von 1968 zu wenig geöffnet und sie
missverstanden hat. Der letzte Absatz in diesem Kapitel, in dem er
persönliche Worte über Alexander Mitscherlich verliert, wirkt daher
wie eine kleine »Wiedergutmachung« zur vorher geübten Kritik.
Die nächsten beiden Kapitel »Eine wunderbare Verwandlung« und »Das
Unbehagen am Deutschen Herbst« beziehen sich auf die
Studentenbewegungen von 1968 und der Analyse der RAF-Terroristin
Birgit Hogefeld. Auch hier ist wieder die wesentliche Erkenntnis,
dass man, um etwas ändern zu können, erst einmal verstehen muss,
warum etwas passiert. Dies erklärt H.-E. Richter an einem Beispiel:
Es gab eine Studentengruppe, die helfen wollte, arme Familien zu
unterstützen. Sie sind zunächst auf Ablehnung gestoßen. Aber sie
haben nicht aufgegeben und haben versucht zu verstehen, warum die
Familien mit Ablehnung reagieren. Mit der Zeit haben sie das
Vertrauen der Bewohner gewonnen und konnten gemeinsam mit ihnen die
desolaten Zustände ändern.
Dies ist wieder eine Passage des Buches, bei der man sich fragen
kann, ob man selbst eigentlich immer richtig reagiert. Versuchen
wir immer andere Menschen zu verstehen, oder wenden wir uns schnell
ab, wenn wir nicht gleich das erreichen können, was wir erreichen
wollen?
Großartig finde ich vor allem das Kapitel, in dem H.-E. Richter
über die RAF-Terroristin Birgit Hogefeld berichtet. Er erklärt mit
Hilfe der Psychoanalyse, wie es möglich ist, dass ein Mensch derart
radikal wird. Natürlich bleibt es jedem selbst überlassen, ob er
die Erklärung für sich annehmen kann, dass Birgit Hogefeld zu einer
Terroristin wurde, weil ihr Vater sich nicht genügend gegen die
Nazis aufgelehnt hat, obwohl er es eigentlich gewollt hätte. Am
Ende äußert H.-E. Richter noch einmal seinen Unmut darüber, dass
Birgit Hogefeld nicht begnadigt wurde, obwohl sie seiner Meinung
nach die Krankheit Friedlosigkeit mit seiner Hilfe überwunden hat.
Dieses Thema finde ich persönlich schwierig zu beurteilen. Man kann
da sicherlich nicht nur die Meinung von H.-E. Richter betrachten,
um sich ein Urteil bilden zu können.
Die Kapitel »Atomrüstung und Menschlichkeit« sowie »Es gibt keinen
Frieden unter atomarer Bedrohung« finde ich persönlich sehr
bedrückend. Der Autor hält dem Leser durchgehend die atomare
Bedrohung vor Augen, so dass der Leser gezwungen wird sich mit
diesem unangenehmen Thema auseinander zu setzen. Seine Befürchtung,
dass sich die Menschen gegenseitig ausrotten werden, ist vermutlich
gar nicht so weit hergeholt, und ich habe mich beim Lesen dabei
ertappt, dass ich dieses bedrückende Thema im Alltag selbst gerne
von mir wegschiebe. Der Autor, selbst großer Atomgegner, möchte
unter anderem folgende Botschaft rüberbringen: Die Menschen sollen
ihre Angst zulassen, denn nur wenn sie das tun und die Angst nicht
verdrängen, haben sie eine Chance, dem Atomdesaster zu
entkommen.
Die Kritik, die er an dem Altkanzler Helmut Schmidt übt, ist zum
Teil, denke ich, mit einem Fragezeichen zu versehen. Er stellt
Schmidt als jemanden dar, dem es nur um Macht geht anstatt um gute
Gemeinschaft. Das ist sicherlich nicht ganz richtig, da auch
jüngste Werke von Helmut Schmidt sich mit Völkerverständig
beschäftigen. Beispielsweise geht es ihm gerade um eine gute
Nachbarschaft Deutschlands mit den umliegenden Ländern.
Beide Kapitel lassen den Leser darüber nachdenken, sich in Zukunft
vielleicht stärker und kritischer mit diesen Themen
auseinanderzusetzen. Das Wettrüsten geschieht nur aus Angst und die
Menschen werden heutzutage so manipuliert, dass sie glauben,
Atomwaffen böten Schutz.
Das Zustandekommen der »Islamphobie« wird sehr eindrucksvoll
geschildert. Das Problem ist eigentlich kein neues, sondern besteht
schon seit über 1000 Jahren. Die Islamphobie ist, laut H.-E.
Richter, eine Variante der Krankheit Friedlosigkeit. Die
Islamphobie kommt nach der Psychoanalyse dadurch zustande, dass die
westliche Welt ihren verdrängten Selbsthass auf ein anderes
Hassobjekt überträgt. So können die Menschen sich von ihren eigenen
Problemen ablenken. Um die Krankheit Friedlosigkeit zu überwinden,
ist wichtig, dass die Völker für eine bessere Verständigung
untereinander sorgen. Ich finde es sehr gut, dass H.-E. Richter
dieses Thema in seinem Buch angesprochen hat. Gerade bei diesem
Thema lassen sich die Leute häufig durch Massenmedien aufhetzen.
Dem Leser wird gleichzeitig eindrucksvoll aufgezeigt, dass es gar
nicht so leicht ist, sich dem zu entziehen. Um die »Islamphobie« zu
überwinden, ist schließlich wieder einmal die Auseinandersetzung
mit der Angst notwendig. Gerade durch die Medien kommt es bei einem
Großteil der Bevölkerung gar nicht zu dieser
Auseinandersetzung.
In seinem vorletzten Kapitel fragt H.-E. Richter: »Welchen Menschen
braucht die Zukunft«? Im Wesentlichen werden die vorherigen Inhalte
noch einmal zusammengefasst. Sein Anliegen ist, dass die Menschen
wieder längerfristig handeln. In der heutigen Zeit wird von den
Menschen verlangt, dass sie möglichst flexibel und biegsam sind und
sich somit in kurzer Zeit diversen Situationen anpassen können. Um
die großen Probleme dieser Welt zu lösen, wie z. B. die atomare
Bedrohung oder auch die Klimakatastrophe, ist es wichtig, dass die
Menschen das Miteinander wieder fördern. Dazu ist Verlässlichkeit
und Vertrauen wichtig, was nicht kurzfristig hergestellt werden
kann. Dazu ist ein langer Prozess notwendig.
Weiterhin benötigt die Zukunft einen Menschen, der sich nicht dem
Gehorsam unterwirft, sondern eigenständig denkt, Dinge hinterfragt
und sich nicht von der Masse mittragen lässt.
Durch das gesamte Buch hinweg wird H.-E. Richter nicht müde, seine
eigenen Werke zu erwähnen und zu berichten, wie erfolgreich sie
gewesen sind. Dieses Kapitel, in dem H.-E. Richter nach dem
Menschen der Zukunft fragt, wirkt daher auch so, als wäre er selbst
der Mensch, den die Zukunft braucht. Aber ist das wirklich negativ?
Sicherlich sind nicht alle Punkte, die der Autor anspricht,
kritiklos zu übernehmen, aber eine gewisse Scheibe könnte sich doch
jeder von ihm abschneiden.
Wie schon die Überschrift mitteilt, ist dieses Buch genial und
überaus interessant geschrieben. Ich habe es sehr gerne zur Hand
genommen. Es liest sich sehr angenehm, und auch wenn viele Themen
angesprochen werden, so kann man einen roten Faden, die Krankheit
Friedlosigkeit, doch immer erkennen.
Unbequem ist das Buch deshalb, weil natürlich nur Themen
angesprochen werden, die die meisten in unserer Bevölkerung
wahrscheinlich am liebsten tatsächlich verdrängen. Dieses Buch regt
sehr zum Nachdenken an. Schließlich gehen Themen wie Atomkrieg,
Islamphobie und Klimakatastrophe jeden etwas an. Es sollte
sicherlich mehr Menschen wie Horst-Eberhard Richter geben, die den
Menschen so ins Gewissen reden.
Ich hoffe, dass viele Leute dieses Buch lesen werden, um sich
vielleicht ein wenig inspirieren zu lassen.