Rezension zu Trauma und kollektives Gedächtnis
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Rezension von Holger Seifferth
In Angela Kühners Buch »Trauma und kollektives Gedächtnis« vereinen
sich ein klarer, methodisch gelungener, strukturierter Aufbau der
äußeren sowie der inhaltlichen Form des Textkörpers und
wissenschaftlich fundierte, vielfältige und wechselperspektivische
Forschungspfade auf der Suche nach den kollektiven Traumata
zugrundeliegenden Prozessen. Besondere Beachtung findet hier die
Verbindung zwischen kollektiven Traumata und kollektivem
Gedächtnis. Sämtliche Kapitel erfahren eine Strukturierung durch
eine Einführung in das jeweilige Unterthema, die Darstellung des
existierenden Wissensstandes und eine abschließende Zusammenfassung
der jeweiligen Themenbereiche. Darüber hinaus werden in einer
Zwischenbilanz immer wieder Verbindungen zwischen gewonnenen
Erkenntnissen und dem übergeordneten Thema »kollektives Trauma«
gezogen, ein geschlossenes Netz aus Verbindungsfäden, das das
Bewusstsein für die grundlegenden Fragestellungen stets aktiv hält.
Im Zuge des Studiums wird einem unausweichlich bewusst, wie
essentiell eine solch gute methodische Herangehensweise an ein so
multidimensionales und schwer zu fassendes Thema wie »kollektives
Trauma« ist. Fachbücher, die dieser Prämisse nicht folgen, eignen
sich vielleicht als Pflichtberufslektüre für Experten, jedoch nicht
für ein breiter gestreutes Publikum. Inhaltlich betrachtet kann man
dieses Buch nicht nur Fachleuten auf diesem Gebiet empfehlen.
Gerade auch meine Generation kann stark von dieser Lektüre
profitieren, greift sie schließlich auch die dramatischen
Ereignisse des 11. Septembers, der Terroranschläge auf das
World-Trade-Center in New York, als Beispiel für das Entstehen
kollektiver Traumata auf, ein extrem berührendes Ereignis, welches
sich unauslöschlich in das Gedächtnis unserer Gesellschaft
eingebrannt hat. Mittels dieses Beispiels und einiger anderer
(Holocaust, Amselfeld-Mythos), wird die fachliche
Auseinandersetzung mit dem Thema belebter und anschaulicher, als es
vielen anderen Büchern gelingt. Die große Stärke dieses Buches
liegt in seiner erweiterten Perspektive. Die Autorin richtet
wiederholt den Fokus auf ihre eigentliche Fragestellung, um ihn
sogleich wieder durch vielseitige Gedankengänge und weitergehende
wissenschaftliche Erkenntnisse zu weiten. Interessant wird dieses
Buch auch durch seine einleitende Beschreibung des Begriffs Trauma,
einem Wort, dem man einige Male während seines Studiums begegnen
mag, besonders im Zusammenhang der PTBS, jedoch häufig nur aus
eingleisiger Diagnostischer Perspektive. Die Ausführungen Angela
Kühners erweitern dieses vorhandene Bild um einige Dimensionen.
Nicht zuletzt durch die fachlich konkrete und gleichzeitig
angenehme Sprache bekommt man schnell einen Zugang zur Thematik, ob
man nun zwischen den Kapiteln springt oder von vorne nach hinten
ließt. Ich empfehle dieses Buch nicht nur Studenten der
Psychologie, sondern allen, die etwas über das Massenpsychologische
Phänomen der kollektiven Traumata erfahren bzw. ihr vorhandenes
Wissen erweitern und differenzieren wollen. Ein gelungenes, rundum
zufriedenstellendes Buch, welches gelesen werden will.