Rezension zu Trauma und kollektives Gedächtnis (PDF-E-Book)
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Rezension von Dominika Makowski
Dr. Dipl.-Psych. Angela Kühner untersucht in ihrem Werk »Trauma und
kollektives Gedächtnis«, basierend auf der vor einem Jahr
abgeschlossenen Dissertation mit dem Thema: »Wessen Trauma? Eine
theoretische Perspektive auf kollektive Traumen«, ob es überhaupt
möglich ist, dass Kollektive ein gemeinsames Trauma erleiden
können, und inwieweit psychische Prozesse auf diesen doch recht
skizzenhaften Traumabegriff angewendet werden können. Darüber
hinaus stellt sich Kühner die Frage, was die Psychologie für
Erkenntnisse in dieser Untersuchung leisten kann, um diesen doch
sehr schwammigen Begriffs der »kollektiven Identität« oder des
»kollektiven Gedächtnisses« zu beschreiben.
In ihrem Vorwort formuliert Kühner die Leitfrage, die es in diesem
Werk zu beantworten gilt. Kühner geht es nicht um die Darstellung
einzelner historischer Ereignisse, aus denen Traumen entstanden
sind, sondern es steht vielmehr im Vordergrund zu beobachten,
welche Prozesse einzelne historische Ereignisse »zu einem Trauma
für das kollektive Gedächtnis werden lassen« (vgl. S. 15).
Kühner gliedert ihre Ausarbeitung in fünf Oberkapitel. Zunächst
gibt sie in »Vom individuellen zum kollektiven Trauma« (S. 30-74)
eine Definition des Traumabegriffs und gibt darüber hinaus einen
breiten Überblick zum Traumadiskurs. In diesem ersten Schritt
problematisiert Kühner den Begriff des individuellen Traumas und
den daraus abgeleiteten Faktoren und versucht, diese gewonnenen
Überlegungen auf die Ebene des Kollektiven zu übertragen. Mit den
Terroranschlägen vom 11. September 2001 versucht Kühner ein
Fallbeispiel aufzuzeigen, anhand dessen sie die individuellen
Faktoren auf die kollektive Ebene transferieren will, und
traumatische oder traumaähnliche Phänomene gesehen werden
können.
In einem nächsten Schritt untersucht Kühner »Kollektive Prozesse
aus psychoanalytischer Sicht« (S. 115-160) und beschreibt hierbei,
wie massenpsychologische Phänomene auf den Begriff des »kollektiven
Traumas« anzuwenden sind. In diesem Abschnitt werden verschiedene
theoretische Entwürfe (Freud, Mentzos, Volkan etc.) vorgestellt und
für die Erklärung eines kollektiven Traumabegriffs fruchtbar
gemacht.
In einem dritten Schritt nutzt die Autorin den Begriff der
»Identität«, um über das »kollektive Trauma« zu reflektieren.
Zunächst einmal skizziert Kühner verschiedene Identitätsdiskurse,
um mit Jeffrey Alexanders theoretischen Überlegungen einen
Ansatzpunkt für die Überlegungen in Bezug auf »kollektive Traumata«
herzustellen.
Im vierten Kapitel stellt Kühner Überlegungen zum »Trauma und
kollektivem Gedächtnis« (S. 209-270) an. In diesem Kapitel stellt
Kühner die Überlegungen der Gedächtnisdiskurse (Habermas etc.)
vor.
Im letzten Kapitel »Wessen Trauma? Bilanz und Ausblick« (S.
271-284) reflektiert Kühner abschließend über ihre Untersuchungen
und stellt kritisch heraus, dass der Begriff des »kollektiven
Traumas« ein schwer zu fassender und überaus mannigfaltig
interpretierbarer Begriff ist. Dies fängt dabei an, welchen
Stellenwert man verschiedenen historischen Ereignissen beimisst.
Hierbei stellt Kühner hervor, dass es doch Unterschiede zwischen
dem Holocaust und dem 11. September gäbe, diese jedoch, wenn man
nach einer zentralen Definition von »kollektivem Trauma« suche,
nicht gegeben werden kann. Kühner formuliert diesen Gedanken sehr
präzise, indem sie sagt, dass sich »Vergleiche zwischen
unterschiedlichen kollektiven Traumata [...] (lohnen können), wenn
Klarheit darüber besteht, was verglichen werden soll, und nicht das
Ziel besteht, daraus eine umfassende Theorie abzuleiten« (Vgl. S.
272).
Verständlich und gut nachvollziehbar erklärt Angela Kühner in ihrem
Werk, wie bestimmte Begriffe wie kollektive Identität, kollektives
Gedächtnis oder sogar die Massenpsychologie auf den Begriff des
»kollektiven Traumas« angewendet werden können. Diese Konzepte
werden der Reihe nach in je einem Kapitel besprochen und nach
gründlicher Analyse auf ein bestimmtes Fallbeispiel bezogen.
Insgesamt lässt sich also sagen, dass Kühners Überlegungen zum
Thema »Trauma und kollektives Gedächtnis« wissenschaftlich fundiert
und strukturell überaus überzeugend dargelegt werden. Ebenso ist
hervorzuheben, dass Kühner an keiner Stelle dieses Buches den
Anspruch erhebt, dass ihre Überlegungen immer anwendbar seien,
sondern vielmehr den Begriff des »kollektiven Traumas« und das, was
die Psychologie an Ansätzen liefert, kritisch und problematisierend
zu hinterfragen. Die aufgezeigten historischen Fallbeispiele
(Holocaust, 11. September etc.) unterstreichen die vielfältig
mögliche Interpretation anhand diverser psychologischer oder
soziologischer Zugangsweisen.
So ist festzuhalten, dass es vielmehr um die Auseinandersetzung mit
der Thematik und der sich daraus ergebenden Problematisierung der
Begriffe »Trauma« und »kollektives Gedächtnis« geht, als ein Werk
zu liefern, welches das »kollektive Trauma« als ein
festgeschriebenes, statisches Ganzes beschreibt und darüber hinaus
ein determiniertes Instrumentarium liefert, ein solches zu
beschreiben.