Rezension zu Sucht und Trauma

www.uni-online.de

Rezension von Simone Facktor

Traumatische Erfahrungen insbesondere in der frühen Kindheit bergen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Suchterkrankung im späteren Lebensalter. Die Zusammenhänge zwischen Sucht und Trauma, Wechselwirkung, Ursachen und Behandlungsmethoden stehen im Mittelpunkt des Buches »Sucht und Trauma – Grundlagen und Ansätze einer psychodynamisch-integrativen Behandlung« von Dieter Kunzke. Der Diplom-Psychologie beschäftigt sich in dem gelungenen und wissenschaftlich fundierten Werk neben der Ätiologie auch mit den unterschiedlichen Behandlungsmethoden. Anhand von wissenschaftlichen Studien hat der Autor die Tatsache herausgearbeitet, dass viele Suchterkrankungen entstehen, um die Folgen eines schweren Traumas zu unterdrücken bzw. den schmerzhaften Zustand einer psychischen Verletzung zu lindern. Die künstliche Affektabwehr schmerzhafter Gefühle gelingt den Betroffenen mit Alkohol und Drogen.

Viele traumatisierte Menschen leiden noch Jahre nach dem belastenden Ereignis unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Symptome reichen von Schlafstörungen, Flashbacks, Konzentrationsstörungen, Angstzuständen und Depressionen bis zu einer erhöhten Reizbarkeit. Scheinbar lassen sich die Symptome der PTSD besonders wirkungsvoll mit Suchtmitteln bekämpfen bzw. unterdrücken. Dieter Kunzke zeigt detailliert die neurobiologischen Vorgänge und psychoanalytischen Modelle der Suchtentstehung auf. Außerdem erhält der Leser tabellarischen Überblick in die Wirkungsweise der Drogen.

Kunzke plädiert dafür, bei süchtigen Patienten routinemäßig bereits bei der Diagnose auf mögliche traumatische Vorerfahrungen zu achten. Die sorgfältige Differentialdiagnose erfordert ein behutsames und gründliches Vorgehen des Therapeuten, um einerseits andere psychische Erkrankungen auszuschließen, andererseits ein Trauma zu erkennen, ohne dass es zu einem erneuten Triggern des Traumas und damit verbunden zu einer Retraumatisierung kommt. Als Folge einer Posttraumatischen Belastungsstörung basiert der Behandlungsansatz einer Suchterkrankung darauf, die Abspaltung von Affekten, Perzeption, Kognition und Körpererleben zu integrieren. In der Psychotraumatherapie werden dafür verschiedene Methoden angewandt, wie z.B. Imaginative Verfahren, Hypnose, Gestalttherapie und EMDR. Besonders die letztgenannte Methode schildert Kunzke, selbst ausgebildeter EMDR-Therapeut, sehr ausführlich als hervorragende Erweiterung der psychodynamischen Behandlungstechnik.

Eine gleichzeitige Behandlung von Sucht und Trauma ist derzeit das am ehesten erfolgversprechende Vorgehen bei der Arbeit mit süchtigen Patienten. In seinem Buch weist der Autor darauf hin, dass multimethodale, integrative Programme für suchtkranke und traumatisierte Patienten besser geeignet sind als ausschließlich verbale, tiefenpsychologische oder verhaltenstherapeutische Arbeitsansätze.

Dabei erfordert die Behandlung traumatisierter Patienten eine andere psychotherapeutische Haltung als die »gängige« Psychoanalyse. Regressive Prozesse sollten in der Therapie suchtkranker Menschen möglichst begrenzt werden, damit eine Retraumatisierung des Patienten vermieden wird. Kunzke schlägt vor, bei der Therapie auf die aktuelle Interaktion zwischen Therapeut und Patient zu reagieren und konkrete Antworten statt psychoanalytischer Deutungen zu geben. Die Patienten müssen wieder erfahren, dass sie handlungsfähig sind, und Vertrauen in ihre Selbstwirksamkeit gewinnen. Die gängige Handhabung von Übertragung und Gegenübertragung sollte zugunsten eines therapeutischen, partnerschaftlichen Arbeitsbündnisses verändert werden, in dem der Patient viel Eigenverantwortung übernimmt.

Das gut strukturierte Buch richtet sich in erster Linie an Therapeuten, die mit Sucht- und Traumapatienten arbeiten. Es ist sehr praxisorientiert und die vielen Fallbeispiele untermauern die theoretischen Ausführungen. Sehr gut sind die vielen Hinweise auf die Risiken verschiedener Behandlungsweisen für den Therapeuten. Anhand von Fallbeispielen werden die theoretischen Darlegungen untermauert. Mit dem Buch wird der Blick dafür geschärft, bei suchterkrankten Menschen nicht nur die Sucht und ihre Bewältigung in den Vordergrund zu stellen, sondern nach einem möglichen Trauma als Ursache für eine Suchterkrankung zu suchen.

Fazit: ein gelungenes Buch, das Pflichtlektüre für jeden werden sollte, der mit suchterkrankten Menschen arbeitet.


zurück zum Titel