Rezension zu Sucht und Trauma
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Rezension von Lisa Wißner
Diese Rezension beschreibt die einzelnen Kapitel hinsichtlich ihrer
Thematik und ihrer Vor- und Nachteile. Abschließend folgt eine
kurze Zusammenfassung.
In dem Buch »Sucht und Trauma – Grundlagen und Ansätze einer
psychodynamisch-integrativen Behandlung« von Dieter Kunzke wird
zunächst das Thema Sucht einzeln behandelt. Dafür beschäftigt sich
anfangs ein Kapitel mit der Prävalenzrate von Suchtabhängigen
verschiedener Substanzen. In diesem sehr statistischen Kapitel
befinden sich viele Grafiken und Tabellen, die allerdings nur
selten gedeutet bzw. interpretiert werden, sodass es kein runder
Überblick ist.
Anschließend folgen längere Kapitel über unterschiedliche Modelle
der Sucht und ihrer Ursachen. Dafür wird zunächst auf verschiedene
psychoanalytische Modelle eingegangen, bevor der Autor sich den
neurobiologischen Ansätzen widmet. Für die psychoanalytischen
Modelle ist psychoanalytisches Vorwissen unbedingt empfehlenswert,
um Sätze wie den Folgenden verstehen zu können: »Substanzen haben
vereinfacht ichpsychologisch gesprochen die Funktion, diese Form
intrapsychischer Konflikte psychopharmakologisch zu lindern und zu
harmonisieren, beispielsweise indem sie den Über-Ich-Druck senken,
Triebspannungen vermindern oder unbeschränktes Ausleben von
Triebimpulsen ermöglichen«. Das Kapitel über die psychoanalytischen
Modelle beginnt mit der historischen Entwicklung und führt zu den
aktuell diskutierten Ansätzen und Problemen. Dabei werden die
verschiedenen Ansätze ausgiebig diskutiert und hinsichtlich ihres
Realitätsbezugs überprüft. Dieses Kapitel ist einerseits sehr
spannend, andererseits aber auch theorielastig.
Auch für das eher knapp gehaltene Kapitel über die
neurobiologischen Grundlagen der Sucht sollten Grundkenntnisse über
die Hirnstrukturen vorhanden sein. Diese werden in dem Kapitel
nicht erklärt! Es wird hauptsächlich eine Übersicht über
Forschungsergebnisse gegeben, so z.B. ob die Wahrscheinlichkeit,
einmal Substanzabhängig zu werden, eher durch die Gene oder durch
die Umwelt bestimmt ist.
Anschließend wird das Thema Trauma einzeln behandelt. Um ein
ausreichendes Basiswissen über die Posttraumatischen
Belastungsstörung (PTBS) zu vermitteln, gibt der Autor zunächst
kurz einen Überblick über wichtige Gedächtnisannahmen und
neurobiologische Funktionsmodelle. Danach geht er auf
Prävalenzraten und Erscheinungsformen ein. Dieses Kapitel ist auch
für interessierte Laien gut verständlich und mit vielen Abbildungen
versehen.
Das Kapitel zur Diagnostik in der Psychotraumatologie ist
insbesondere für angehende Therapeuten interessant, da es sehr
praxisorientiert ist. So werden nicht nur die Möglichkeiten der
Diagnostik mittels Fragebögen etc. behandelt, sondern z.B. auch
detaillierte Hinweise zu einem Erstgespräch mit traumatisierten
Patienten gegeben. In diesem Teil werden nicht nur konkrete
Formulierungshilfen angegeben, sondern es wird auch auf die
speziellen Belastungen für den Therapeuten sowie typische Fallen,
die sich ihm bieten können, eingegangen. Das Kapitel endet mit
einer spannenden Diskussion, inwieweit retrospektive Aussagen zu
Kindheitserinnerungen glaubhaft sind.
Ebenfalls sehr ausführlich erläutert sind die Therapiemöglichkeiten
einer PTBS. Die unterschiedlichen Methoden werden bezüglich ihrer
Ziele, Vorteile und Vorgehensweisen dargestellt. Dabei gibt es
nicht nur eine »Schritt-für-Schritt-Anleitung« zur Durchführung,
sondern es werden auch wieder viele Tipps und Fallen dargelegt.
In dem nun folgenden Abschnitt geht es um die Wechselwirkungen bzw.
Beziehungen zwischen Suchterkrankungen und Erfahrung eines Traumas.
Dafür erläutert der Autor zunächst die neurobiologische Wirkung von
Drogen und ihre Anwendung durch PTBS-Patienten. Auch hierfür ist
ein gewisses neurobiologisches Vorwissen nötig! Es werden
hauptsächlich die vier möglichen Hypothesen bezüglich kausaler
Zusammenhänge hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeit diskutiert.
Bezüglich des Kapitels über die speziellen Interventionsformen von
traumatisierten, süchtigen Patienten lässt sich sagen, dass auch
hier verschiedene Behandlungsansätze bzgl. ihrer Vor- und Nachteile
und Besonderheiten näher beschrieben werden. Dabei werden einige
Methoden allerdings nur kurz erwähnt, während andere recht
ausführlich und wieder mit Tipps und ausführlicher Anleitung
versehen dargestellt werden. Auf weitere Fallen und Probleme, die
bei der Behandlung dieser Patienten beachtet werden müssen, wird
noch einmal im letzten Kapitel eingegangen. Ein Kritikpunkt: Da
erfolgreiche Behandlungsmodelle zur parallelen Behandlung von Sucht
und Trauma aus der Verhaltenstherapie kommen, wird auf diese nicht
näher bezeichneten Modelle in dem Buch von Dieter Kunzke nicht
näher eingegangen.
Abschließend gibt es noch zwei weitere Kapitel zur psychoanalytisch
orientierten Einzel- bzw. Gruppentherapie bei Suchtpatienten, die
jeweils mit der Frage beginnen, welche der beiden Therapieformen
besser ist. Hierfür werden viele Studienergebnisse einschließlich
ihrer Versuchsdesigns vorgestellt, auf die Einzeltherapie selbst
wird dabei kaum eingegangen. Bezüglich der Gruppentherapie werden
mit Hilfe von Fallbeispielen viele zu beachtende Aspekte erläutert.
So geht es beispielsweise um das spezifische Gruppenklima, das
sowohl von der Substanz als auch von der Gruppengröße abhängig ist.
Dieser Teil spricht einerseits sicherlich wichtige Punkte an,
andererseits finde ich ihn zu theoretisch in dem Sinne, dass kaum
Lösungsstrategien für die angesprochenen Probleme genannt werden.
Das Kapitel schließt mit einem Screeningverfahren ab, welches dem
Therapeuten helfen soll, sein Interventionsverhalten besser auf die
Patienten abzustimmen. Hierfür ist nicht nur der Fragebogen selber
abgedruckt, sondern es werden auch die einzelnen Skalen und eine
Beispielauswertung erklärt.
Zusammenfassend lässt sich zu diesem psychoanalytisch orientierten
Buch sagen, dass es über weite Teile sehr praxisorientiert ist und
nach der Einführung in die Grundlagen der Thematik viele Tipps,
Formulierungshinweise und Beschreibungen von typischen
Therapeuten-Schwierigkeiten (vor allem bei der Therapie von
Trauma-Patienten) enthält. Des Weiteren enthält es viele spannende
Diskussionen über Grundthemen der Psychologie. Ein kleiner
Wermutstropfen ist der Aufbau des Buchs, da die Anordnung der
Kapitel meiner Meinung nach nicht immer logisch ist.
Nichtsdestotrotz finde ich das Buch sehr empfehlenswert für
psychoanalytisch interessierte, angehende oder erst kurz im
Berufsleben stehende Therapeuten mit entsprechendem
Grundwissen.