Rezension zu ADHS
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Rezension von Stefanie Trikojat-Klein
Die Idee zu dem Buch von Terje Neeral und Matthias Wildermuth
(Herausgeber): »ADHS – Symptome verstehen, Beziehungen verändern«
ist aus einem Intervisionstreffen verschiedener Berufsgruppen
(Kinder- und Jugendpsychiater, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten,
Psychologen) entstanden, die sich anhand von 15 Fallbeispielen
intensiv mit den Ursachen und den Erscheinungsbildern von ADHS
beschäftigt haben. Hierbei stießen sie auf nachvollziehbare Gründe
für das Verhalten der Kinder, welche durch familientherapeutische
Behandlung und Psychotherapie ohne Einsatz von Psychopharmaka
bearbeitbar wurden. Die sehr ermutigenden Erfolge dieser
Behandlungen ließen sich auch in einer Studie im Jahre 2005 an 93
Patientenbeispielen belegen und haben die Autoren dazu bewogen, ihr
Buch als Anreiz zur Diskussion und zum Überdenken der eigenen
Positionen im Umgang mit ADHS herauszugeben.
Das Buch gliedert sich in zwei etwa gleich große Abschnitte über
theoretische Hintergründe und Diskussionsansätze, einen Teil mit
zehn Fallbeispielen sowie einen kürzeren mit Praxisansätzen.
Die theoretischen Ausführungen sind überschrieben mit
»Neurobiologische versus psycho- und familiendynamische
Ursachenerklärungen« und »Derzeitige Theoriekonzepte« und stammen
von Mitherausgeber T. Neraal, Facharzt für psychosomatische Medizin
und Psychotherapie, Psychoanalytiker, Kinder und Jugendpsychiater,
Leiter der familientherapeutischen Sektion am Institut für
Psychoanalyse und Psychotherapie in Gießen. Hier wird in gut
verständlicher und lesbarer Form ausgehend von eigenen Erfahrungen
in Klinik und Ambulanz versucht ein inneres Verstehen der
Verhaltensaufälligkeiten anhand folgender Fragen entstehen zu
lassen: Welche Bedeutungen haben die zunächst sinnlos erscheinenden
Verhaltensauffälligkeiten? Worauf kommt es bei der Diagnostik von
ADHS an? Welche Rolle spielt eine ausführliche
familiendiagnostische Erhebung für die Behandlung? Für T. Neraal
entsteht daraus die Betrachtungsweise, dass sich unter dem
Störungsbild ADHS Symptome präsentieren können, die auch
biologische Ursachen haben können, seiner Meinung nach aber eher
Ausdruck innerer Spannungszustände sind, die eine gründliche
Anamnese der ganzen Familie erfordern. Zu diagnostischen Zwecken
werden auch szenische Präsentationen der Familie, die Möglichkeit
für das kleinere Kind, sich gestalterisch kreativ äußern zu können,
neben einer bewusst auf Schuldzuweisungen verzichtenden Haltung des
Therapeuten den Eltern gegenüber sowie der Fokus auf
Gegenübertragungsphänomene herangezogen, um die inneren Beweggründe
des Handelns des Kindes und der Familie zu verstehen. Im weiteren
Verlauf seiner Ausführungen über derzeitige Theoriekonzepte werden
kurz verschiedene Erklärungsmodelle gestreift, um sich dann
ausführlich mit den entwicklungspsychologischen Schritten des
Kindes, der regulären psychomotorischen Entwicklung des Kindes zu
beschäftigen, bereichert durch sogenannte Exkurse. Fragen nach der
Erfahrbarkeit der Triangularität bei alleinerziehenden Eltern, nach
Bedeutung der Motilität in der Entwicklung des Kindes, der
Mentalisierung und Symbolisierung bei ADHS, oder Bedeutung des
Vaters für die kindliche Entwicklung des Kindes werden hier
anregend ausgeführt. In der jedem seiner Abschnitte angefügten
Zusammenfassungen kommt er zu der gut begründeten und ausgeführten
Auffassung, dass nur über Betrachtung und Arbeit mit der ganzen
Familie eine Änderung im Verhalten des Kindes zu erreichen ist.
Im zweiten Teil des Buches werden zehn Fallbeispiele in
unterschiedlichen Settings von verschiedenen Therapeuten
dargestellt. Sie sind sehr ausführlich vor dem Hintergrund der
eingangs dargestellten theoretischen Aspekte ausgeführt und belegen
eindrucksvoll die positiven Veränderungen, die durch die
Behandlungen möglich wurden. Gut ausgewählt belegen sie die
Bandbreite der Patienten und deren Hintergründe sowie die
Möglichkeiten der Behandlungsansätze.
Im dritten Teil des Buches beschreibt Matthias Wildermuth, Facharzt
für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und
psychosomatische Medizin, Ärztlicher Direktor der Rehbergklinik für
Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der
Rehbergpark g.GmbH Herborn, die Praxeologie sowie dann gemeinsam
mit Anna Maria Sant`Unione die Praxisstudie, die 2005 mit dem Titel
»Zur Therapie des hyperkinetischen Syndroms inkl. seiner
Unterformen (ADS, ADHS, hyperkinetische Störungen des
Sozialverhaltens) sowie der damit einhergehenden komorbiden
Störungen in der sozialpsychiatrischen Praxis« erschien.
Alle drei Teile runden sich zu einem anregenden Gesamtbild ab, das
wertvolle Sichtweisen und Hinweise für den therapeutisch Tätigen,
aber auch für Lehrer und Erzieher liefert. Es ist gut verständlich
geschrieben und bietet durch die Fallbeispiele an die Praxis
angebundene Beispiele, die die theoretischen Ausführungen sehr
plastisch greifbar machen. Meiner Ansicht nach ein sehr wertvolles,
sehr zu empfehlendes Buch für Menschen, die mit Kindern und deren
Familien in dieser Fragestellung zu tun haben.