Rezension zu ADHS (PDF-E-Book)
suite101.de (und www.uni-online.de)
Rezension von Claudia von Holten
Mittels verschiedener Fallbeispiele werden Lösungsmöglichkeiten
aufgezeigt. Das Buch ist auch für Laien verständlich
geschrieben.
Beschäftigt man sich mit dem als ADHS bezeichneten Syndrom, werden
– so scheint es – die gesellschaftlichen Ursachen oft nicht
ausreichend beleuchtet. Wer entscheidet, was als gesund und was als
krank gilt? Am Ende ist es immer eine Frage gesellschaftlicher
Konventionen. Im Alltag einer Spielsprachschule kann man viele,
unterschiedliche Jungen und Mädchen erleben. Alle Kinder sind, so
zeigt der Alltag mit ihnen, flexibel und lernfähig. Daraus ergibt
sich aber auch, dass sie in der Regel schon sehr früh die
Widersprüche des geselligen Zusammenlebens erleben. Werden ihre
Grundbedürfnisse nicht gestillt und erhalten sie nicht genügend
Liebe und Geborgenheit, treten Bindungsängste, bzw. Störungen in
der Wahrnehmung und Verarbeitung ihrer Lebensrealität auf. Schnell
nennt man auffälliges Verhalten von Kindern und Jugendlichen,
insbesondere, wenn sie sehr impulsiv oder hyperaktiv reagieren oder
womöglich sogar »tillen«, ADHS. Was aber spielt sich im Kind ab?
Wie erhält man einen Zugang zur Innenwelt?
Verständnis für die Symptome und Ansätze, um die zugrunde liegenden
Beziehungen zu verändern
In dem von Terje Neraal und Matthias Wildermuth herausgegebenen
Werk »ADHS« steht zunächst das Verständnis für die Symptome im
Vordergrund. Daraus ergeben sich Ansätze, die zugrunde liegenden
Beziehungen zu verändern. Die familiären Strukturen werden in jedem
Fall ausführlich untersucht. Selbstredend finden sich dahinter
gesellschaftliche Strukturen. Für alle Autorinnen und Autoren ist
ADHS deshalb eine Oberflächendiagnose. Die eigentliche
Kernsymptomatik wird so immer von unterschiedlichen Störaspekten
ergänzt. In diesem Buch geht es um die Analyse und Einbeziehung von
Kindern und Eltern in die Therapie. Zehn ausführliche Fallbeispiele
zeigen ADHS auf und machen die therapeutischen Schritte, die
eingeleitet wurden, nachvollziehbar.
Störungen und Therapie
Aber: Nicht alles, was ADHS genannt wird, ist auch tatsächlich eine
Störung. Die sogenannte gesellschaftliche Normalität ist vielfältig
und manchmal könnte man sie auch als »Wahnsinn« bezeichnen.
Sicherlich verbergen sich hinter der Diagnose ADHS auch familiären
Dramen, die mit dem eigentlichen Syndrom nichts zu tun haben.
Das Buch zeigt, dass eine Therapie sinnvoll und häufig auch,
zumindest in Grenzen, erfolgreich ist. Der Einsatz von Medikamenten
ist weitgehend überflüssig und eher eine Lösung für
Ausnahmesituationen. Es geht nicht um die Frage von Schuld und
Versagen. Schuldzuweisungen helfen weder weiter noch sind sie der
Situation angemessen.
Interessant ist, dass in der Diagnose bei Jungen und Mädchen
Unterschiede gemacht werden. Leider gehen die Autorinnen und
Autoren der einzelnen Beiträge des Buches nur am Rande auf diese
Besonderheit ein. An einer Stelle wird allerdings eine nicht
aufgelöste, sehr enge Beziehung zwischen Mutter und Sohn
gesprochen, vielleicht sollte dieser Aspekt grundsätzlich stärker
vertieft werden. Womöglich wäre es jedoch ein eigenes Buch, welches
diese Aspekte aufgreift und analysiert.
Zielgruppe: alle Berufgruppen, die mit Kindern und Jugendlichen zu
tun haben, und betroffene Eltern und Jugendliche
Es richtet sich einerseits an alle Berufsgruppen, die mit Kindern
und Jugendlichen zu tun haben, andererseits auch an betroffene
Eltern und Jugendliche. Der Eindruck, dass ADHS ein schwammiger
Begriff für alles ist, was Kinder, Jugendliche und ihre
Familienverbände nicht ausreichend verarbeiten können, wird
bestätigt. Das Schwergewicht liegt darin, die psychodynamischen
Grundlagen des als ADHS bezeichneten Syndroms verständlich zu
machen.
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