Rezension zu Fanatismus

Psychische Störungen Heute 12-2007

Rezension von Volker Faust

Fanatismus (Auszug)

... Das ist ein weites Feld – und deshalb gibt es dafür auch reichlich Literatur, Fachliteratur, allgemeinverständliche Beiträge und natürlich auch propagandistisch angehauchte Schriften, auch wenn man sie auf den ersten Blick nicht als solche entlarven kann. Deshalb ist auch alles so schwierig. Die Fachliteratur stellt Voraussetzungen, die die meisten von uns nicht haben, schon gar nicht in der notwendigen Breite über verschiedene Fachgebiete hinweg. Die allgemeinverständlichen Beiträge sind weit verstreut, meist Artikel in Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen. So informativ sie sein mögen, meist auf eine aktuelle Fragestellung bezogen, man kommt nicht mehr an sie heran. Die tendenziösen Schriften überfluten uns zwar, aber wir spüren auch rasch, dass man uns hier manipulieren will. Also auch das bringt uns nichts.

Deshalb sei auf ein Buch verwiesen, das zwar ebenfalls von einem Experten seiner Disziplin geschrieben ist und ein gewisses Verständnis-Niveau voraussetzt, dafür aber einen um Objektivität bemühten und erfreulich weit gespannten Überblick vermittelt. Gemeint ist das Buch Fanatismus – Der Drang zum Extremen und seine psychischen Wurzeln von Prof. Dr. Günter Hole, evangelischer Theologe und Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, früher Ordinarius für Psychiatrie an der Universität Ulm und Ärztlicher Direktor der Abteilung Psychiatrie I der Universität Ulm in Ravensburg-Weissenau, jetzt emeritiert und in eigener Praxis tätig.

Die Menschheit lernt nichts dazu. Das ist eine traurige Erkenntnis. Das wird uns begleiten bis ans Ende unserer Tage. Das lehrt uns schon die Geschichte. Besonders betroffen macht uns die offensichtliche Zunahme von individueller und kollektiver Aggressivität in unserer Zeit – und das nach zwei verheerenden Weltkriegen in Europa und einer nicht mehr überschaubaren Zahl von kriegerischen Auseinandersetzungen über den gesamten Erdball verteilt.

In diesem Zusammenhang begegnet uns oft das Stichwort »Fanatismus« oder der Zusatz »fanatisch«. Und damit assoziieren wir sofort einen anderen Begriff, nämlich »Gewalt«. Das wird häufig gleichgesetzt, ist aber nicht so.

Denn Gewalt und erst recht Aggressivität im weiteren Sinne ist ein anderes Phänomen als Fanatismus. Ob die Motive in Machtstreben und in Besitzvermehrung, in sozialem Neid und in Eifersucht, in Geltungsbedürfnis und Größenideen, in Hass oder Rachegefühlen liegen – mit Fanatismus hat dies zunächst nichts zu tun, erklärt G. Hole in seiner Einleitung. Fanatismus hat ganz andere Wurzeln und läuft auf unterschiedlichen Ebenen ab, auch wenn die Endstrecke dann tatsächlich viel Gemeinsames mit Gewalt hat.

Der Fanatismus, also ein Drang zum Extremen, erwächst nicht einfach aus ungezügelten Triebregungen und kurzsichtigen Kompensations-Bedürfnissen, sondern – und das ist der entscheidende Unterschied – aus bestimmten ideellen Einstellungen und Identifikationen mit hohen Zielen. Das ist übrigens der Punkt, der diejenigen am meisten verwirrt zurücklässt, die das Phänomen tiefer zu durchdenken versuchen: die hohen Ziele auf der einen Seite und der Absturz in die brutale Gewalt auf der anderen, und beides soll miteinander kompatibel sein.

Daneben aber – auch das gilt es zu bedenken -, hat der Fanatismus ganz andere Seiten, z.B. den stillen, unauffälligen, persönlichen Fanatismus Einzelner. Er kann aber genauso gut unerschütterlich, hartnäckig bis extrem oder gar gnadenlos sein, wie die Verwirklichung einer Idee, die Millionen fasziniert und in den Sog unerklärlicher Reaktionen reißt.

Die zentrale Bedeutung – und das ist das besonders Beklemmende an diesem Urphänomen der Gesellschaft -, aber ist und bleibt, dass der Fanatismus seinem Wesen nach geradezu elementar in den hellen, ideell-ausgerichteten Bereichen der menschlichen Psyche wurzelt (G. Hole). Oder vereinfacht ausgedrückt: Fanatismus ist die Gefahr »von oben«, nicht die Gefahr »von unten«.

Man kann es sich zwar nicht vorstellen, besonders angesichts schrecklicher Auswirkungen fanatischen Verhaltens, doch das Kernmotiv des Fanatismus ist das Ergriffensein und die Begeisterung von hohen ethischen Werten und Menschheits-Zielen. Wer Fanatismus nur mit nackter Gewalt gleichsetzt, wird ihn nie verstehen, deshalb auch nie effektiv korrigieren können. Darauf aber kommt es an. Die Experten, die nun wirklich den »konstruktiven Durchblick« haben (leider gibt es von ihnen nur wenige und die meisten haben auch nicht die Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen oder gar die Macht, etwas langfristig Hilfreiches durchzusetzen), diese Experten haben schon immer vor der »einseitigen Pathologisierung des Fanatikers« gewarnt; man darf diese Menschen nicht zu Kranken, oder noch extremer zu »Geisteskranken« stempeln. Es gilt vielmehr die »Destruktivität von Idealen« zu erkennen und korrigierend zu nutzen. Oder etwas ausführlicher, dafür verständlicher: »Nicht das Ausleben primär destruktiver (zerstörerischer) Impulse ist gemeint, nicht Machtstreben, Gewaltlust, Sadismus, Rache und »Böses« zählt, sondern der Impuls zur extremen, also vollkommenen Verwirklichung ursprünglich positiv erlebter, hochgesteckter Ziele«, so Hole. Und wer Beispiele braucht, der studiere die Weltgeschichte von heute bis ins Altertum zurück, ob im weltlichen oder – fast noch häufiger – im religiösen bzw. religions-politischen Bereich; er wird vor der Fülle fanatischer Reaktionen mit gnadenloser Konsequenz zurückprallen.

Solche Beispiele, die sich unverbrüchlich aufdrängen, sind nicht zuletzt die dogmatischen Streitigkeiten der Kirche bis hin zur Hexenverfolgung, die Französische Revolution, die kommunistische Bewegung, der Nationalsozialismus, die autoritären Sekten, der heutige Terrorismus und Rechtsextremismus u.a.

Aber wie ist das möglich, wie entwickelt es sich und explodiert dann in verheerender Weise, fragen sich die meisten. Die Experten können dazu noch viel mehr (ungelöste) Fragen beitragen. Dazu gehören Stichwörter wie religiöse Vollkommenheits-Imperative, politische Zielsetzungen, persönliche Interessen, Geltungsbedürfnis, Massenverhalten, Gruppendruck, »Führer und Gefolgschaft«, und aus neuro-psychologischer Sicht die Fragen von »Über-Ich«, Gewissen und ethischen Grundlagen usw.

Allerdings finden die Fachleute auf jeden Fall eine Basis-Voraussetzung, und die lautet: Alle diese Bewegungen (letztlich mit und ohne fanatische Konsequenzen) sind aber nicht denkbar ohne die zündende Aktivität bestimmter (fanatischer) Einzelpersönlichkeiten.

Und deren Psychologie gilt der besondere Schwerpunkt in der Analyse von Prof. Dr. Hole in seinem lesenswerten Buch. ...

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