Rezension zu Die Krise der Männlichkeit in der unerwachsenen Gesellschaft
LUST 92-2007
An sein Hauptwerk »Der Gotteskomplex« anknüpfend, untersucht der
Psychoanalytiker Horst- Eberhard Richter das Schwinden von
Menschlichkeit im Rausch der wissenschaftlich-technischen
Revolution. Von den erfolgreich konkurrierenden Frauen eingeholt,
müssten die Männer ihrerseits mehr psychologische Weiblichkeit
entwickeln, um den Ausfall an sozialen Bindungskräften
wettzumachen. Geht das Vertrauen in die wechselseitige Abhängigkeit
allen Lebens verloren, würde sich die Armutskluft noch verheerender
erweitern, und der illusionäre Stärkekult würde die Komplizenschaft
von fundamentalistischem Terror und kriegerischer Gegengewalt
verewigen. Prominente Zeugen wie McNamara, Sacharow, Weizenbaum,
Russell u.a. bekräftigen Richters Mahnung.
Psychoanalytisch-therapeutische Erfahrungen über die Fortwirkung
der Nazizeit in den Seelen der Kriegsgeneration, der Kinder und
Enkel bis hin zur RAF ergänzen einen psychologischen Rückblick auf
geistesgeschichtliche Wurzeln der Moderne. Gegenwärtig beobachtet
Richter, wie sich aus allen fünf Kontinenten Frauen und Männer
ebenbürtig zu einer Bewegung für eine »andere Globalisierung«
zusammentun. Sie kommen aus unterschiedlichen Ethnien, Religionen,
sozialen Schichten. Ihre Zuversicht beweisen sie, indem sie
durchweg für ihr gemeinsames Ziel praktisch engagiert sind: »Die
Kritik des Falschen ist das Eine, der praktische Einsatz für das
Bessere ist das Andere.« Das schreibt der Verlag in seinem
Pressebericht über dieses Buch.
Nun ist ja klar, dass ein Psychologe, der sich mit
gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzt, diese eher
psychologisiert und nicht unbedingt aus den z.B. soziologischen
Zusammenhängen heraus erklärt. So wie sich bei Biologen oft
einstellt, dass sie dann die Welt biologistisch interpretieren.
Und so leitet er Terrorismus und die Bedrohung durch die Atombombe,
die politischen Gestalten Stalin, Hitler und Mao von der durch die
Emanzipation der Frau beschädigten Männlichkeit ab und verlangt als
Heilmittel das Rezept von C. G. Jung: »So wird sich der Mann
gezwungen sehen, ein Stück Weiblichkeit zu entwickeln, d.h.
psychologisch und erotisch sehend zu werden, um nicht hoffnungslos
und knabenhaft bewundernd der vorauseilenden Frau nachlaufen zu
müssen, auf die Gefahr hin, von ihr in die Tasche gesteckt zu
werden.«
Aus dieser Sicht der Dinge heraus lesen wir nun eine Weltgeschichte
von den alten Griechen bis zum Terrorismus der RAF, von der
Cuba-Krise bis zur globalisierungskritischen Bewegung. Schade ist
nur, dass bestimmte Eigenschaften immer noch den Geschlechtern
zugeschrieben werden, als ob diese Rollenzuordnungen nicht auch dem
Zeitgeist unterworfen sind.