Rezension zu Patient Familie

Buchhändler heute 4-2008

Rezension von Helmut Benze

Die sanfte Macht der Glaubwürdigkeit

Klein ist die Zahl derjenigen Autoren, die durch fachliche Brillanz, überzeugende Darstellung wie auch durch ein hohes Maß persönlicher Glaubwürdigkeit die Gefolgschaft geistig unabhängiger Leser und Zuhörer auslösen.

Zu dieser kleinen Gruppe bedeutender Autoren zählt Horst-Eberhard Richter, dieser Maß gebende, anrührend achtsame, stets inspirierende Psychotherapeut und Sozialphilosoph. Was mich seit den sechziger Jahren für diesen Wissenschaftler, Mediziner, Sozialarbeiter und mitreißenden Wortführer pazifistischer Gruppen besonders einnimmt, sind seine sanfte Beharrlichkeit, vorbildliche Offenheit, stete Lernbereitschaft, seine gewinnende Bescheidenheit und makellose Glaubwürdigkeit.

Fast alle seine Bücher habe ich jüngst nochmals gelesen. Und habe im Abstand von Jahrzehnten noch besser begriffen, welche bahnbrechenden und wegweisenden Erkenntnisse und Erfahrungen ihm Millionen Leser in vielen Ländern verdanken. So die Entstehung seelischer Deformationen und Neurosen durch krankmachende Familiensysteme (Patient Familie), Ohnmacht der Kinder gegen die Übermacht der Eltern (Eltern, Kind und Neurose), Möglichkeiten und Grenzen der Arbeit in und mit Gruppen (Die Gruppe) oder Herausforderung und Gebot praktizierter Solidarität im privatem und öffentlichem Leben (Lernziel Solidarität).

Vom Kanonier zum charismatischen Arzt und Psychotherapeuten

Horst-Eberhard Richter, geboren am 28. April 1923 in Berlin, wurde gleich nach dem Abitur an die Ostfront kommandiert. Widerwillig versah er einen von Verbrechern befohlenen Dienst, der ihn zwang, andere Menschen zu hassen.

Er desertierte. Aus Mut zur Friedfertigkeit. Nazirichter jener Sorte, die es in der Bundesrepublik vom Schergen- auf den Ministerpräsidenten-Sessel schafften, hätten ihn erschießen lassen, wären sie seiner habhaft geworden.

Nach dem Krieg, den Richter schon damals als Auswuchs kollektiver seelischer Krankheit erlitt und später ebenso treffend diagnostizierte wie die wahnhaften »Missionen« des Kreuzseglers Bush, schloss er seine Studien als Dr. phil. und Dr. med. ab, absolvierte eine Ausbildung zum Psychotherapeuten, baute ab 1962 das Gießener Psychosomatische Universitätszentrum auf und leitete von 1991 bis 2002 das Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt a.M.

Er war u.a. Mitbegründer der Deutschen Sektion »Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges« und gilt bis heute als hoch geschätzter großer alter (in Seele und Kopf so jung wie wach gebliebener) Mahner vor der Weltseuche Krieg sowie vor der zwanghaft anmutenden Zerstörung des Lebensraums Erde infolge krankhafter Selbstüberschätzung des modernen Menschen.

Geistige Gastfreundschaft eines großen Glaubwürdigen gewinnen

Außer den oben genannten Büchern empfehle ich nach wiederholter Lektüre:
- Flüchten oder Standhalten
- Ist eine andere Welt möglich? Für eine solidarische Globalisierung
- Psychoanalyse und Politik. Zur Geschichte der politischen Psychoanalyse
- Wer nicht leiden will, muss hassen. Zur Epidemie der Gewalt
- Die Chance des Gewinns. Erinnerungen und Assoziationen

Wer sich der Persönlichkeit dieses außergewöhnlichen Menschen nähern, das wissenschaftliche, humanitäre und politische Wirken ermessen möchte, findet überdies Anregungen zu weiterer Lektüre. Wer sich gleich das Hauptwerk erschließen und von daher zu anderen Büchern Richters geführt werden mag, wird reiche Erkenntnisse über die Wurzeln der Gefährdung der Menschheit und über Möglichkeiten persönlichen Verhaltens gegenüber der neurotischen Selbstbedrohung der Menschen gewinnen: Der Gotteskomplex. Die Geburt und die Krise des Glaubens an die Allmacht des Menschen.

Deutschland, Europa und die Welt hatten viele grobe Versäumnisse und schwere bis heute nachwirkende Fehler nach zwei Welt- und zahllosen anderen Kriegen vermieden, hätten Politiker Richters Bücher gelesen und vor allem beherzigt. Richters ruhiger und immer bestens begründeter Ritt, Richters ebenso leidenschaftlich wie besonnen vorgetragene Appelle könnten noch heute zu humanen Entwicklungen in Gesellschaft und Politik führen. Deutschland leidet nicht nur an Lehr- und Lernmängeln seiner Pauker und Pennäler, sondern auch an der Misere politischer Bildung – nicht zuletzt bei vielen Politikern.

Ein derartiger Ausnahmeautor verdient einen exzellenten Hauptverlag. Er hat ihn gefunden. Allen Kollegen sei empfohlen, sich unter www.psychozial-verlag.de (Psychosozial-Verlag Gießen) weitere Informationen zu besorgen.

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