Rezension zu Körper, Imagination und Beziehung in der Traumatherapie
ZPPM 2-2008
Rezension von Dagmar Hoffmann-Axthelm
In dem Band Körper, Imagination und Beziehung in der
Traumatherapie, herausgegeben von Christine Geißler, Peter Geißler
und Otto Hofer-Moser, sind die Beiträge zum 6. Wiener Symposium
»Psychoanalyse und Körper« dokumentiert, das im Jahre 2006
stattgefunden hat. Thema der Tagung war die moderne
Traumaforschung, und das Vorgehen war insofern interdisziplinär,
als von unterschiedlichen Wissenschaftstandpunkten aus – neben
verschiedenen psychoanalytischen Richtungen waren vornehmlich
neurobiologische Tendenzen vertreten – Verknüpfungen zur
Körperpsychotherapie versucht wurden. Wie es bei solchen
Unternehmungen üblich ist, kam dabei eine recht bunte Mischung
heraus, in der ganz unterschiedliche Patientenstrukturen (vom
Psychosomatiker bis zur Neurotikerin) im Vordergrund stehen und bei
der es nicht immer nur um Traumatherapie und auch nicht immer nur
um den Körperbezug geht.
Charakteristisch für das breite Spektrum ist bereits der
einleitende Beitrag von Georg Engeli. Der Autor ist nicht gelernter
Psychotherapeut, sondern Jurist und Künstler, scheint aber in
seinem Künstlerisches, Philosophisches und Psychologisches mixenden
Cocktail über psychische Traumatisierung gleichwohl den Anspruch zu
erheben, einen therapeutisch relevanten Beitrag zu leisten. Er
versucht dies aus der schizoiden Position heraus, indem er seine
Fragestellungen als Polarisierungen entwickelt: Ist der Mensch
Abbild Gottes oder eigene Erfindung? Eine Scherbe oder ein
Scherbenhaufen? Ist seine Individualität eine Königsburg oder ein
Bunker? Sitzt er mit seiner Existenz auf der geraden Flugbahn eines
»Zeitpfeiles« oder verläuft der Lebensweg in Krümmungen und
Spiralen? – wobei das Ganze in eher vereinnahmender Diktion
gehalten ist. So heißt es von besagtem »Zeitpfeil« (i.e. einem
geradlinigen Zeitverlauf zwischen den Polen von z.B. Geburt und
Tod), »wir« nähmen »z.B. an, dass der Pfeil selbst und seine
Flugbahn erstens richtungsgebunden und zweitens gerade sind.«
Nehmen »wir« das wirklich an? Mit der Darstellung des Konzeptes von
»Wachstumsringen« der seelischen Entwicklung öffnet er weitere
offene Türen – es ist schwer vorstellbar, dass Psychotherapeuten,
an die sich der Beitrag ja richtet, ohne eine derartige
Vorstellungswelt ihr Geschäft der tiefenpsychologisch orientierten
Psychotherapie überhaupt betreiben würden oder wollten.
Nachfolgend diskutiert der Psychoanalytiker Thomas Reinert zum
einen, ob und in welchem Ausmaß eine traumatische Erfahrung zum
Entstehen einer Borderline-Störung beiträgt, zum anderen, in
welcher Weise die vorhandene charakterstrukturelle Prägung beim
Erleiden und Verarbeiten eines Traumas die Störung ausformt. Als
eigentliche Ursache für eine Borderline-Pathologie arbeitet der
Autor – nicht eigentlich Neuland betretend – die Unerwünschtheit
des Kindes in der Herkunftsfamilie und die damit einhergehende
Konsequenz heraus, einen auf Abwehrstrategien basierenden
Lebensstil entwickeln zu müssen, um in einer feindlichen Welt
überleben zu lernen.
Der Psychoanalytiker Jörg Scharf beschreibt die Fortwirkung von
Traumatisierungen über Generationen hinweg und die sich daraus
entwickelnden Abwehrmechanismen (seelische Abtötung, Dissoziation,
Depersonalisierung), die gleichfalls an die nächste Generation
»weitervererbt« werden: Der traumatisierte Erwachsene braucht seine
Tochter oder seinen Sohn, um das eigene Leid zu kompensieren, und
wird damit vom Opfer zum Täter. Für den mit derartigen
Konstellationen konfrontierten Therapeuten ist nach Scharffs
Erfahrung die eigene Gegenübertragung das Mittel der Wahl, die
schwer zu durchschauende Konstellation zu erkennen und zu
deuten.
Gabriele Poettgen-Havekost, psychoanalytisch orientierte
Psychotherapeutin, berichtet über schwer kontaktgestörte
Klientinnen, die durch früh erfahrene Beziehungsdefizite dazu
getrieben werden, sich Körperverletzungen zuzufügen. Sie zeigt den
therapeutischen Prozess auf, wie von Seiten der Therapeutin hinter
einer solchen sprachlosen, dem Bewusstsein unzugänglichen
Körpermitteilung durch Empathie, körperorientierte
Gegenübertragung, aber auch durch das aus der Neurobiologie
bekannte Phänomen der Spiegelneuronen die traumatisierende
»Urszene« erkennbar wird und bei erfolgreicher Therapie das
gemeinsame Ringen um eine kognitive und emotionale Verbindung
zwischen dem ursprünglichen Geschehen und den aktuellen
Verletzungszwängen zu einer Beziehungsfähigkeit aus dem »Wahren
Selbst« heraus führen kann.
Ralf Vogt, Familien- und Körpertherapeut, stellt ein von ihm
entwickeltes Konzept mit dem Namen
»Somatisch-Psychologisch-Interaktives Modell in der Standard 20
Version zur Behandlung komplextraumatisierter und anderer
Störungen« (Kürzel: SPIM-20-KT-Ansatz) vor. Er beschreibt, wie er
hiermit unter Benutzung »beseelter Therapieobjekte« (d.h.
Gegenständen, die wichtige Objekte oder Teilobjekte symbolisieren,
wie etwa eine »Riesentonne«, die für den »Mutterbauch« steht)
zeitlich limitierte Behandlungen schwer gestörter Klienten unter
weitgehender Vermeidung von Übertragungsprozessen unternimmt. Da
Vogt aber 1. ausschließlich auf theoretischer Ebene verweilt, 2.
mehrheitlich eine selbst entwickelte Terminologie verwendet und 3.
auf wenigen Seiten zumindest fünf Themenkreise anschneidet, gelangt
die mit seinem Konzept unvertraute Leserin nicht eigentlich in den
Genuss eines roten Fadens kontinuierlichen Verstehens.
Der Psychiater Ulrich Sachsse polemisiert gegen einen
therapeutischen Zugang zu Trauma- und Psychose-Patienten, bei dem
tiefen Regressionsprozessen nicht oder nur unzureichend durch die
Realitätsebenen von Arbeits- und Beziehungsfähigkeit gegengesteuert
wird, wobei sich seine Speerspitze vorrangig gegen die
psychodynamischen Schulen, vor allem die Psychoanalyse richtet. Mit
der Skizzierung einiger Kernpunkte seiner Lehre betritt er manchen
Gemeinplatz – Beispiel im schönsten Psychojargon: »Der erste
psychotherapeutisch veränderungsrelevante State ist die Anwesenheit
der therapeutischen Bezugsperson«, wobei er in diesem Zusammenhang
für uns hilfsbedürftige Therapeuten ein tröstendes Wort übrig hat:
»Wenn Sie Ihren Beruf nicht völlig verfehlt haben, dann wird Ihre
Anwesenheit für die meisten Patienten fast immer primär beruhigend
wirken.« Im Übrigen plädiert er – und hier stimmt man gern zu – für
die Etablierung einer zuverlässigen Erwachsenen-Ebene, von der aus
Therapeut und Klient auf das früh erlittene Trauma blicken
können.
Renate Hochauf zeigt eben dies: Wie vor dem Hintergrund einer
tiefenpsychologischen Perspektive und unter Einbezug von
Übertragungsprozessen eine Traumatherapie aussehen kann. Zunächst
gibt sie ein Bild von der schwierig zu durchschauenden Struktur
eines prä- oder perinatal verursachten Traumas, das durch viele
spätere Auslöser immer neue Überlagerungen erfährt. Im Hinblick auf
die Therapie setzt auch sie – wie dies in der Traumatherapie heute
Standard ist – auf die Etablierung einer Meta-Ebene, die es
erlaubt, das »Hier und Heute« vom traumatisierten »Damals« zu
trennen, wobei ihr die Imaginative Intervention der Königsweg ist:
mit inneren Bildern einen »Sicheren Ort« im »Hier« (z.B. dem realen
Praxiszimmer und der realen Anwesenheit der Therapeutin) zu
etablieren, zu dem die Klientin, in regressive Bedrängnis geraten,
jederzeit zurückfliehen kann.
Für den Psychoanalytiker Mathias Hirsch ist »die Theorie unsere
Mentalisierung, die uns hilft, nicht ganz in die Trauma-Welt [der
Klienten] hinabgezogen zu werden und Vorstellungen, Bilder und
Sprache zu finden, die dem Patienten eine anfängliche
Symbolisierung des Undenkbaren bieten«. Konsequent reiht er auf den
Körper bezogene Störungen (Körperdissoziation, psychosomatische
Störungen, Konversion, Hypochondrie) unter Verzicht auf eine
spezifisch körperanalytisch orientierte Sichtweise in ein
kristallines, der klassischen Psychoanalyse verpflichtetes
Theoriekonzept ein. Dabei verzichtet er weitgehend auf
praxisorientierte Kasuistik, veranschaulicht seine Ausführungen
aber durch überzeugende Beispiele aus der Literatur (u.a. Franz
Kafka und Patrick Süskind).
Die Darstellung der modernen Traumatherapie durch den Psychiater
und Neurobiologen Reinhard Plassmann ist in ihrer Praxisnähe und
ihrem Pragmatismus ein Kontrastprogramm zu Hirschs Ausführungen.
Das u.a. von der Physik und Neurobiologie abgeleitete Konzept
basiert auf der angeborenen Fähigkeit des Menschen zur
Selbstheilung. Im Pendeln zwischen dem Negativpol des im Körper
eingeschlossenen Traumas und dem Positivpol der vorhandenen
Heilungsressourcen (z.B. dem »Sicheren Ort«) erfolgt die Suche nach
dem psychischen und körperlichen Gleichgewicht, der oftmals schwer
psychosomatisch behinderten Klienten. Der Therapeut sieht sich
nicht als deutende Übertragungsfigur, sondern als Wächter über
einen optimalen Spannungs- und Entspannungs-Rhythmus zwischen den
Traumata der Vergangenheit verursachenden Energien und denen der
gesunden Selbstanteile der Gegenwart.
Die Psychotraumatologin Luise Reddemann stellt die von ihr
praktizierte »Ego-States«-Therapie nach Federn und Watkins vor.
Hier geht es um die vielen unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile
– früh- und kleinkindliche, adoleszierende, erwachsene,
unterschiedlich schwer traumatisierte und »normale« -, die die
Klientin nicht ausreichend kennt und demzufolge auch nicht
unterscheiden und einordnen kann. Reddemanns Bestreben geht dahin,
verschlossene Zimmer des »Persönlichkeitshauses« zu öffnen und die
dort gelagerten positiven und negativen Affekte adäquat miteinander
in Kommunikation treten zu lassen – ein Therapieansatz, der sich
sicher nicht auf Traumapatienten beschränkt.
Petra Rau, Diplom-Psychologin, bietet eine Erhebung über
»Klinisch-psychologische Diagnostik von Traumafolgestörungen auf
Basis des Kassenvertrages für psychologische Diagnostik in
Österreich«, wobei nicht unbedingt einleuchtet, was diese recht
umfangreiche Arbeit über Krankenkassen-kompatible Diagnostik, die
im entsprechenden Kontext sicher ihren Nutzen hat, in einem
Sammelband über die Zusammenhänge zwischen analytischer
Körperpsychotherapie und Traumatherapie der an diesen Gebieten
interessierten Leserin sagen möchte.
Wolfgang Milch und Silvia Janko, beide Psychoanalytikerlnnen,
nehmen einen Faden auf, an dem schon Jörg Scharff gesponnen hat –
die Wiederkehr des Traumas in der nächsten Generation: etwa die
Benutzung von Kindern durch Eltern als Selbstobjekte, Eltern also,
die ihre Kindheit auf Grund eines Traumas oder einer frühen
Persönlichkeitsstörung nicht kindgerecht erleben durften, womit sie
den eigenen Kindern natürlich gleichfalls eine gesunde Kindheit
nebst gesunder Ablösung verunmöglichen. Es wäre interessant, die
Frage zu untersuchen, ob es überhaupt denkbar ist, dass
traumatisierte oder früh gestörte, untherapierte Eltern ihre
pathologischen Verhaltensmuster nicht an die eigenen Kinder
vererben müssen, vorausgesetzt natürlich, dass Eltern und Kinder in
den prägenden Jahren zusammenleben.
Der Neurologe und Psychiater Karl-Klaus Madert gibt in seinem
umfangreichen Beitrag einen Überblick über die Traumaforschung und
-therapie vor allem aus neurobiologischer Sicht. Das ist eine
ebenso mühe- wie verdienstvolle Arbeit, zumal der Autor nach
eigener Aussage »begeistert [ist], wie viel des bioenergetischen
Erfahrungswissens durch die neurobiologischen Erkenntnisse der
letzten Jahre offenbar wissenschaftlich gestützt wird«. Es ist hier
nicht der Ort, den Beitrag in ausgewogener Form zu würdigen.
Immerhin so viel: Die aus der zitierten Erkenntnis zu erwartende
Parallelisierung zwischen »Wissenschaft« und »Empirie« fällt für
die therapeutische Praxis eher bescheiden aus: Nicht nur der
Inhalt, sondern auch die Sprache ist stark naturwissenschaftlich
eingefärbt. Es wird weithin »getuned« und »getriggert«, und ein
Katalog für therapeutische Maßnahmen, die im Rahmen der
Traumatherapie zu ergreifen seien, erweckt bei der Leserin einen
Eindruck, den sie aus ihrer eigenen Erfahrung so nicht bestätigen
kann: (fast) alles sei machbar, wenn nur das richtige Werkzeug zur
Hand ist.
Peter Geißler, Psychotherapeut und Mitherausgeber des Bandes,
stellt vor dem Hintergrund der analytischen Körperpsychotherapie
das Konzept des »Übergangskörpers« und des »Interaktionellen
Körpers« vor. Im ersten Fall ist ein Kontakt zwischen Therapeut und
Patientin gemeint, bei dem durch körperliche Interventionen das
Erleben vormals unzugänglicher Affekte möglich wird, wobei im
zweiten Fall darüber hinaus aus dem Erleben des Körperkontaktes
heraus ein Handlungsdialog entsteht. Wichtig ist dem Autor die
Abgrenzung nicht nur von der Psychoanalyse, sondern auch von der
Bioenergetischen Analyse. Letzteres ist überraschend. Denn zwar
spricht der Autor die Dimension des Handlungsdialoges zu Recht der
Bioenergetik mit ihrem kathartischen Vorgehen ab, wie es in der
»ersten Generation« praktiziert wurde, bei der Alexander Lowen die
Feder führte. Längst aber haben spätere Generationen diesen Ansatz
als zu eng erkannt und ihn auf beziehungsrelevante Konzepte wie
Übertragung, Gegenübertragung und Handlungsdialog ausgeweitet, wie
man es unschwer in zahlreichen Publikationen, etwa der Reihe
»Körper und Seele« (Schwabe Verlag Basel), nachlesen kann.
Summa summarum ist den Herausgebern für ihre Initiative zu danken.
Denn der Band wird Therapeutinnen und Therapeuten, die an der
Traumathematik interessiert sind, als ein nützlicher Überblick
willkommen sein, zumal in vielen Beiträgen unterschiedliche
Techniken dargestellt werden, die das essentielle Ziel der
Traumatherapie ins Zentrum stellen: Die Trennung von mit dem Trauma
verbundenen, der Vergangenheit zugehörigen Affekten von solchen des
Hier und Heute.
Grundsätzlich erscheint mir bei einigen der Beiträge der
Stellenwert bedenkenswert, den die Neurobiologie einnimmt und
hinter dem mir (nicht in allen, aber in einigen Fällen) ein
Rechtfertigungsdrang zu stehen scheint, die Psychotherapie endlich
als exakte Wissenschaft anerkannt zu sehen und sie damit vom Ruch
einer ungenauen, diffusen »Heilkunde« zu befreien.
Charakteristischerweise ist gerade bei diesen Beiträgen eine
gewisse, mit Anglizismen und »Denglisch« angereicherte
Sprachverrohung zu beobachten, die sich gegen die schwierigen, sich
der Sprache entziehenden, beängstigenden, verletzlichen, auch
manchen naturwissenschaftlich wasserdichten Beweis schuldig
bleibenden Anteile unserer Arbeit zu panzern scheint.
Auch dieser Zugang mag seinen therapeutischen Nutzen haben. Nur:
Nimmt man den vorliegenden Band als Spiegel für die derzeitige
Befindlichkeit der analytisch orientierten Körperpsychotherapie, so
kann von einem Gesamtbild nicht die Rede sein. Das schadet aber
nichts, denn ein Bild, das alles Heterogene der unterschiedlichen
Richtungen unseres Faches in einer einzigen harmonischen Berg-,
Meer-, Dorf- und Stadt-Ansicht zu vereinigen wüsste, gehört
wahrscheinlich in den Bereich der Utopie – und Utopien führen
bekanntlich zu jenen Polarisierungen, die die Vergangenheit der
Körperpsychotherapie (W. Reich) und Psychoanalyse (S. Freud)
geprägt haben und zu deren Überwindung dieser Band in all seiner
Vielfalt einen weiteren Schritt tun kann.